Wenn von komplexen Beziehungen zwischen Migration und Sicherheit die Rede ist, dann beginnt diese Komplexität bei der Definition der Begriffe. Sicherheit ist nicht einfach zu beschreiben oder abzugrenzen, denn jeder versteht unter Sicherheit etwas Anderes. Sicherheit definiert sich darüber, welche materiellen und ideellen Werte ein Individuum, eine Gruppe oder politische Gemeinschaft für schützenswert erachtet und wie der Schutz dieser Werte umgesetzt werden soll. Entsprechend vielfältig sind die Vorstellungen darüber, wer oder was eine Bedrohung für etwas oder jemanden darstellen könnte – und
Fehlende Eindeutigkeit besteht auch im Hinblick auf Migration.
Diese Differenzierung ist wichtig, um zwei unterschiedliche Beziehungen zwischen Migration und Sicherheit zu verstehen:
die Perspektive der staatlichen Sicherheitsbehörden, die sich mit allen Formen von grenzüberschreitender Mobilität und deren Auswirkungen auf die allgemeine Sicherheitslage auseinandersetzen müssen, und …
… die diskursive Ebene, bei der Geflüchtete häufig gezielt als Gefahren dargestellt werden, um z.B. Wähler zu mobilisieren oder eine restriktivere Asylpolitik zu rechtfertigen.
Die Perspektive der Sicherheitsbehörden: Mobilität und Wissensproduktion
Ein Großteil der relevanten Sicherheitsrisiken, mit denen sich Polizei- und Grenzschutzorganisationen sowie Geheimdienste auseinandersetzen müssen, geht von der eigenen Bevölkerung aus. Es handelt sich dabei um Kriminalität, politisch motivierte Gewalttaten oder terroristische Anschläge, die von Gruppen oder einzelnen Personen begangen werden.
Gerade religiöser oder politischer Extremismus hat häufig gravierende Konsequenzen. Es ist daher die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Gewalttaten bereits im Vorfeld zu verhindern. Es ist zwar umstritten, ob sich etwa terroristische Anschläge mit ausreichender Genauigkeit vorhersagen lassen. Im Zuge eines präventiven Sicherheitsauftrags sehen sich die Behörden jedoch mit der Herausforderung konfrontiert, auf der Grundlage von Informationen möglichst präzise Einschätzungen über die aktuelle Gefahrenlage zu produzieren und auf Grundlage dieser Einschätzungen zu handeln. Die entscheidende Frage aus der Perspektive der staatlichen Sicherheitsbehörden lautet dabei: Was wissen wir über unsere Bevölkerung und welche Schlüsse können wir aus diesem Wissen ziehen?
"Bevölkerung" ist hier im Sinne des französischen Philosophen und Sozialwissenschaftlers Michel Foucault als ein dynamischer Begriff zu verstehen, der die Menge der Personen meint, die sich im Land aufhalten. Wenn also Schüler und Studierende, Arbeitnehmende, Geschäftsleute, Touristen oder
Für die staatlichen Sicherheitsbehörden bedeutet ein dynamischer Bevölkerungsbegriff, dass die Produktion von Wissen über die Bevölkerung und die damit verbundene regelmäßige Aktualisierung der Gefahreneinschätzung ein fortlaufender Prozess sein muss. Dabei müssen kontinuierlich Informationen über Personen eingeholt werden, die ins Land – oder im Fall der Europäischen Union in den gemeinsamen Schengenraum – einreisen. An Grenzübergängen wird deshalb nicht nur kontrolliert und überprüft, wer einreist, sondern auch, was über diese Person bekannt ist. Dies geschieht etwa durch einen Abgleich der Personendaten mit verschiedenen Datenbanken oder durch eine direkte Befragung der Person durch Grenzbeamte.
Die generelle Annahme in Bezug auf Sicherheit ist dabei: Je mehr verlässliche Informationen über eine Person zur Verfügung stehen und je besser diese Informationen die "Harmlosigkeit" dieser Person belegen, desto geringer fällt ihre Risikoeinstufung aus. Im Umkehrschluss heißt diese Annahme: Je weniger verlässliche Informationen über eine Person zur Verfügung stehen, desto höher stufen Behörden das potenzielle Risiko ein, dass von dieser Person ausgehen könnte.
Angesichts massiv gestiegener grenzüberschreitender Mobilität suchen Staaten neue Wege, um verlässliches und schnelles Wissen über einreisende Personen zu erlangen. Das Sammeln von Informationen geschieht häufig schon im Vorfeld des eigentlichen Grenzübertritts. Es ermöglicht den Sicherheitsbehörden, Risikoeinschätzungen durchzuführen, bevor die Person selbst den Grenzübergang erreicht. Beispiele dafür sind elektronische Anträge zur Visumbefreiung (etwa das amerikanische Electronic System for Travel Authorization, ESTA) oder die gesetzliche Verpflichtung von Luftfahrtgesellschaften, Passagierdatensätze (Passenger Name Record, PNR) an die Behörden zu übermitteln. In der Europäischen Union gibt es darüber hinaus Bestrebungen, Datenbanken aus den Bereichen Sicherheit, Migration und Grenzmanagement zu vernetzen, um möglichst schnell umfassende Informationen über einzelne Personen abrufen zu können.
Der Fokus auf Informationsproduktion an der Grenze bringt allerdings potentiell Probleme im Umgang mit erzwungener Migration mit sich. Während Informationen über Erasmus-Studierende oder Geschäftsleute vergleichsweise leicht einzuholen und zu überprüfen sind, stellt sich die Situation im Fall von asylsuchenden Personen schwieriger dar. Geflüchtete verfügen häufig nicht über vertrauenswürdige Ausweisdokumente, etwa, weil sie diese auf der Flucht verloren haben. Hinzu kommt, dass Asylsuchende manchmal bewusst versuchen, ihre Identität zu verschleiern, weil sie sich so bessere Chancen auf einen
Während der sogenannten "
Dass solche Bedenken nicht komplett aus der Luft gegriffen waren, verdeutlichen exemplarisch zwei Fälle. Der spätere
In beiden Fällen wurde ungeregelte grenzüberschreitende Mobilität zu einem Sicherheitsproblem. Der Fall des deutschen Bundeswehrsoldaten zeigt aber auch, dass dieses Sicherheitsproblem nicht einer speziellen Gruppe von einreisenden Personen zuzuordnen ist (in diesem Fall Geflüchteten). Mangelnde oder fehlerhafte Registrierungen und Informationsproduktion können Gründe sein, die die Gefahreneinschätzung der Sicherheitsbehörden erschweren, aber aus einer Sicherheitslogik sind Geflüchtete zunächst einmal nicht als "gefährlicher" einzustufen als Touristen oder Austauschstudentinnen. Das gilt auch dann, wenn verlässliche, sicherheitsrelevante Informationen in Fällen von erzwungener oder
Der politische Diskurs: Migration und Versicherheitlichung
Nichtsdestotrotz wird Migration – insbesondere Flucht und Asyl – im öffentlichen Diskurs immer wieder mit Sicherheitsrisiken in Zusammenhang gebracht. Warum ist das so?
Betrachtet man den aktuellen politischen Diskurs in Europa (und darüber hinaus), so stößt man auf viele Äußerungen von Politikerinnen und Politikern, die in Migration eine fundamentale Bedrohung sehen. Migrantinnen und Migranten werden in diesen Aussagen etwa mit Terrorismus und Kriminalität in Verbindung gebracht, als "Sozialschmarotzer" bezeichnet oder als Gesundheitsrisiko betrachtet, da sie Krankheiten einschleppen könnten. Sie werden dabei nicht nur als wirtschaftliche Belastung dargestellt, sondern auch als eine Bedrohung von Werten und Identitäten.
Solche Aussagen zielen auf eine pauschalisierende Herabsetzung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Nationalität oder Religion. Der Politikwissenschaftler Jef Huysmans hat analysiert, wie politische Akteure dabei bewusst diffuse Ängste vor dem Fremden bedienen und darauf setzen, dadurch Legitimation für die von ihnen angebotenen Lösungsstrategien zu gewinnen.
Möglich wird die diskursive Verbindung von Migration und Sicherheit durch die eingangs erwähnte konzeptionelle Offenheit des Sicherheitsbegriffs. Dadurch ist es im Prinzip möglich, jedes gesellschaftliche Thema zu einem Sicherheitsproblem zu erklären, somit auch die Anwesenheit von Geflüchteten. Wird beispielsweise eine behauptete Verbindung zwischen Migration und Terrorismus hinreichend oft von einflussreichen Personen oder Institutionen wiederholt und findet sie Anklang bei Teilen der Bevölkerung, dann kann es gelingen, Migration in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich als anerkanntes Sicherheitsrisiko zu etablieren – auch wenn es keine faktischen Belege für diese Verbindung gibt. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass eine solche "Versicherheitlichung" von Migration ins Leere laufen kann, wenn sie keine Zustimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern findet.
Die Forschung zeigt, dass eine bewusste Verbindung von Migration und Sicherheit aber nicht nur im Interesse politischer Parteien ist, sondern auch von den Sicherheitsbehörden vorangetrieben wird. So gelingt es ihnen, neue Kompetenzen und technologische Werkzeuge, erhöhte Budgets und mehr politisches Mitspracherecht zu erhalten. Anders als im politischen Diskurs agieren Sicherheitsakteure häufig nicht öffentlich, sondern machen ihre auf Expertenwissen gegründete Autorität in Fachgremien und in Gesetzgebungsprozessen geltend.
Trotz dieser unauffälligen und häufig bürokratischen Form der Versicherheitlichung ist der Einfluss von Sicherheitsbehörden auf die politische Agenda nicht zu unterschätzen. Gerade im europäischen Grenzschutz ist eine technologische Hochrüstung zu beobachten, die zum Teil auf die Lobbyarbeit von nationalen Sicherheitsbehörden, aber auch von europäischen Organen wie der Grenzschutzagentur FRONTEX oder der "Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" (eu-LISA) zurückzuführen ist. Naturgemäß haben auch Unternehmen, die beispielsweise Technologien zur Überwachung und Sicherung von Grenzen entwickeln und verkaufen, ein Interesse daran, die Verbindung zwischen Mobilität und Sicherheit immer wieder zu betonen.
Fazit
Das Ziel dieses Beitrags ist, die Komplexität des Verhältnisses von Migration und Sicherheit zu beleuchten. Aus einer staatlichen Perspektive lautet eine der heutigen Hauptherausforderungen in Bezug auf Sicherheit nicht "Migration", sondern in einem weiteren Sinne "grenzüberschreitende Mobilität". Als eine von vielen Migrationsformen stehen dabei Fluchtbewegungen häufig im Fokus staatlicher Sicherheitsbemühungen, weil sie besondere Herausforderungen bei der Identifizierung von Personen und bei der Produktion von Wissen über diese Personen darstellen. Das bedeutet aber nicht, dass Migration per se mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko gleichzusetzen ist.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers "
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