Als in den Jahren 2015/2016 ca. 1,2 Millionen Asylsuchende nach Deutschland kamen, waren die drängendsten Fragen, wo die Menschen untergebracht und wie sie versorgt werden sollen. Aufgrund der dezentralen Verteilung von Geflüchteten wurden auch viele ländliche Räume mit der Unterbringung und Betreuung von Geflüchteten in Kontakt, die bis dahin wenig Erfahrung mit Migration und Flucht hatten. In der Diskussion um die Interner Link: Unterbringung wurde auch die Hoffnung geäußert, die humanitäre Aufnahme von Asylsuchenden mit der Regionalentwicklung verbinden zu können, weil einige Dörfer und Kleinstädte aufgrund von demografischer Alterung und Abwanderung ihrer Bevölkerung mit einer schrumpfenden Einwohnerzahl zu kämpfen hatten. Während in Großstädten mit angespanntem Wohnungsmarkt Asylsuchende lange in Gemeinschaftsunterkünften leben mussten, konnten Geflüchtete in ländlichen Räumen mit hohem Leerstand schnell dezentral in Wohnungen untergebracht werden. Generell galten verfügbarer freier Wohnraum, ein – zumindest in strukturstarken Regionen und manchen Branchen wie etwa dem Handwerk – hoher Arbeitskräftebedarf sowie freie Plätze in Betreuungs- und Bildungseinrichtungen wie Kitas und Schulen als Vorteile der ländlichen Räume gegenüber urbanen Zentren. Gleichzeitig wurden aber auch Nachteile erkannt, wie zum Beispiel fehlende Mobilitätsmöglichkeiten aufgrund eines schwach ausgebauten öffentlichen Nahverkehrs, wodurch Asylsuchende etwa zentrale Einrichtungen und Unternehmen nur schwer erreichen konnten. Auch lange Wartezeiten auf passende Sprachkurse und fehlende Anschlussmöglichkeiten an migrantische Communities, die die Anfangsintegration hätten erleichtern können, wurden als ungünstig erachtet.
Die Kommunen in ländlichen Räumen reagierten sehr unterschiedlich auf den Zuzug von Asylsuchenden. Nicht alle betrachteten ihn als Chance gegen Bevölkerungsschwund und Arbeitskräftemangel. Zudem waren einige Kommunen skeptisch, ob die Geflüchteten tatsächlich auf dem Land verbleiben oder aber nach Ablauf des Asylverfahrens und der 2016 durch das Interner Link: Integrationsgesetz eingeführten Wohnsitzauflage in Städte weiterwandern würden.
Bislang gibt es in Deutschland kaum systematische und überregional vergleichende empirische Forschung zum Leben von Geflüchteten in ländlichen Räumen, kleinen Städten und Landgemeinden, da sich die Migrationsforschung Interner Link: eher auf Städte konzentrierte. Die hier präsentierten Ergebnisse zu Chancen und Schwierigkeiten der Integration von Geflüchteten in ländlichen Räumen beruhen im Wesentlichen auf zwei Forschungsprojekten, die zwischen 2015-2017 und 2017-2020 am Thünen-Institut für Ländliche Räume durchgeführt wurden und werden. Das erste war ein Pilotprojekt in zwei Landkreisen in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Das zweite wird aktuell in vier Bundesländern mit Partnern der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen, der Stiftung Universität Hildesheim und der Technischen Universität Chemnitz durchgeführt. Die hier dargestellten Ergebnisse wurden im Wesentlichen aus Interviews im Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) und den Landkreisen Northeim und Vechta (Niedersachsen) gewonnen.
DEN ländlichen Raum gibt es nicht
Eine vom Externer Link: Thünen-Institut für Ländliche Räume entwickelte Externer Link: Typisierung ländlicher Räume unterscheidet zwischen eher ländlichen und sehr ländlichen Räumen sowie zwischen einer guten und einer weniger guten sozio-ökonomischen Lage. Eine Region ist demnach umso ländlicher,
je geringer die Siedlungsdichte und das Bevölkerungspotenzial sind;
je höher der Anteil der land- und forstwirtschaftlichen Fläche und der Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser ist und
je schlechter große Zentren erreicht werden können.
Die Unterscheidung in eine gute und weniger gute sozio-ökonomische Lage geschieht mittels der Indikatoren
Höhe der Arbeitslosenquote und der Bruttolöhne,
kommunale Steuerkraft (beurteilt die wirtschaftliche bzw. finanzielle Leistungsfähigkeit von Kreisen und Externer Link: Gemeinden)
Wanderungssaldo,
Wohnungsleerstand und
Lebenserwartung.
Nach dieser Typisierung zählen über 90 Prozent der Fläche Deutschlands als ländliche Räume, in der mit 47 Millionen Einwohner*innen über die Hälfte der Bevölkerung lebt.
Aufgrund der unterschiedlichen Migrationsgeschichte der Regionen und Landkreise in Deutschland, variieren im bundesweiten Vergleich die Anteile der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung in ländlichen Räumen stark. Die Spannweite reicht von 1,9 Prozent in den thüringischen Landkreisen Altenburger und Weimarer Land bis hin zu 32 Prozent im hessischen Landkreis Groß-Gerau. Während Geflüchtete 2015/2016 auch in dezentralen Ortsteilen von Dörfern und Kleinstädten untergebracht wurden, konnte in den Folgejahren mit dem Interner Link: Rückgang der Zahl der Asylsuchenden eine verstärkte Zentralisierung der Unterbringung in die Unter- oder Mittelzentren beobachtet werden.
Letztlich können sich die äußeren, strukturellen Rahmenbedingungen für die Integration von Geflüchteten auf dem Land von Landkreis zu Landkreis und von Kommune zu Kommune stark voneinander unterscheiden. Darüber hinaus variieren auch die Handlungsmöglichkeiten einzelner Kommunen bei der Gestaltung von Integrationsprozessen.
Kommunale Integrationspolitik auf dem Land
Integrationspolitik in ländlichen Räumen hat zum einen eine strukturelle und zum anderen eine inhaltliche Besonderheit.
Strukturell liegt die Besonderheit in der Zuständigkeit von zwei gleichberechtigten Akteur*innen der kommunalen Selbstverwaltung – der Landkreis- und der Gemeindeverwaltungen –, die zum Teil widersprüchliche Interessen verfolgen können. In großen kreisangehörigen Kommunen gibt es eine ausdifferenziertere Verwaltung, die aufgrund von langjährigen Erfahrungen mit Zuwanderung häufig über ausgeprägte Strukturen im Bereich der Integrationsarbeit verfügt. Durch unterschiedliche Erfahrungen im Bereich von Migration und Integration kann es zu Konkurrenzsituationen zwischen solchen Kommunen und der Landkreisverwaltung kommen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn größere kreisangehörige Kommunen einen hohen Ausländeranteil aufweisen, die Integrations- und Beratungsstrukturen aber in der Kreisstadt angesiedelt werden und daher teilweise an den Bedarfen in den Kommunen vor Ort vorbeigehen.
Darüber hinaus hängen die Aufgaben und die personelle Ausstattung von kleinen und mittleren Kommunen innerhalb eines Landkreises im Bereich der Integration stark von der Aufgabenverteilung zwischen Landkreis und kreisangehörigen Gemeinden ab. Bei einer zentralen Aufgabenverteilung sind die hauptamtlichen Integrationsmitarbeitenden in der Landkreisverwaltung angesiedelt und agieren aus der Kreisstadt heraus oder in mobilen Teams.
Auf Landkreisebene ist in den letzten Jahren durch Einwerbung von Drittmittelprojekten (Bundes- und Landesprojektstellen) eine differenzierte Stellenstruktur für den Integrationsbereich geschaffen worden. Dass diese Projektstellen in der Regel befristet sind, stellt ein allgemeines Problem der Integrationsarbeit dar, weil sich dadurch eine hohe Fluktuation der Mitarbeitenden ergibt, die den Aufbau eines konsequenten Integrationsmanagements erschwert und keine verlässlichen Ansprechpersonen bietet.
Aufgrund dieser zentralen Aufgabenverteilung zwischen Landkreis und den kleineren kreisangehörigen Kommunen gibt es in den Kommunen selbst nur wenig hauptamtliches Personal für die Integration von Migrant*innen und Geflüchteten. Das führt auch dazu, dass das Thema Integration in diesen Kommunen kaum verankert ist. Demgegenüber sind bei einer dezentralen Aufgabenteilung zwischen Landkreis und Kommunen auch die kreisangehörigen Kommunen für die Integration von Geflüchteten zuständig und haben hierfür häufig hauptamtliches Personal. Als Beispiel kann der Landkreis Vechta genannt werden, wo es in allen Kommunen sogenannte Familienbüros oder Externer Link: Mehrgenerationenhäuser gibt, in denen hauptamtliche kommunale Mitarbeiter*innen (Beratungs-)Angebote für Geflüchtete und Einheimische anbieten. Aufgrund ihrer Präsenz vor Ort sind sie für Geflüchtete und andere Einwohner*innen leichter erreichbar als das Personal in den weiter entfernt liegenden zentralen Verwaltungseinrichtungen. Zudem tauschen sie sich regelmäßig in kommunalen Ausschüssen aus. Während es in Groß- und Mittelstädten im Integrationsbereich eine differenzierte Aufgabenteilung in der Verwaltung u.a. in die Bereiche Wohnen, Arbeit, Sprache, Bildung und Ehrenamtsbetreuung gibt, konzentrieren sich in Landgemeinden oft alle diese Aufgaben auf nur wenige Verwaltungsangestellte.
Die inhaltliche Besonderheit im Bereich der Integrationspolitik liegt darin, dass Integrationsmaßnahmen, wie die Erstellung von Integrationskonzepten oder die Einrichtung von Beratungsstellen, keine kommunalen Pflichtaufgaben sind, sondern zu den freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben einer Kommune zählen. Dadurch fehlen (Qualitäts-)Standards, was sich nachteilig auf die Ausgestaltung der Integrationsarbeit auswirken kann. Interner Link: Integrationspolitik als Querschnittspolitik findet in vielen Fachdiensten der Kommunalverwaltung statt. Dadurch kann es zu Reibungsverlusten oder widersprüchlichen Interessen kommen. Um eine kohärente Integrationspolitik zu verfolgen, bei der die Integrationsmaßnahmen für die Geflüchteten aufeinander aufbauen und viele unterschiedliche Akteure zusammenarbeiten, versuchen einige Landkreise, eine Integrationspolitik "aus einem Guss" zu entwickeln. So eröffnete zum Beispiel der Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) 2018 eine "Migrationsagentur", in der unter einem Dach Mitarbeitende des Integrations- und Ausländeramtes, des Jobcenters, des Jugendamtes, des Wirtschaftsamtes und des Amtes für Bildung, Kultur und Sport, der Agentur für Arbeit, des Kreissportbunds, der Kreisvolkshochschule und des Kirchenkreises Naumburg-Zeitz zusammenarbeiten.
Als zentral für die Interner Link: Integration von Zugewanderten gelten der Erwerb von Deutschkenntnissen und ihre Teilhabe am Arbeitsmarkt. Das gilt auch mit Blick auf Geflüchtete in ländlichen Regionen.
Arbeitsmarkt – oft sehr spezialisiert, fehlendes Matching
Wie eingangs erwähnt, war in den Jahren 2015/2016 die Hoffnung groß, dass Geflüchtete den in (einigen) ländlichen Räumen beispielsweise im Handwerk vorhandenen Arbeitskräftemangel abschwächen könnten. Verschiedene Länder- und Bundesprogramme sowie Programme des Interner Link: Europäischen Sozialfonds versuchen daher Geflüchtete für den deutschen Arbeitsmarkt zu qualifizieren und sie mit Arbeitgeber*innen zu vernetzen. Eine Interner Link: schnelle Arbeitsmarktintegration hängt dabei neben der Interner Link: Frage nach den Qualifikationen und dem Aufenthaltsstatus auch stark von der jeweiligen Situation auf dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaftsstruktur vor Ort ab.
In kleineren Kommunen mit einer geringen Anzahl an Betrieben und Geflüchteten kann es zu Matching-Problemen kommen, da vorhandene und gesuchte Qualifikationen nicht zusammenpassen. Zudem haben Geflüchtete meist wenig Kenntnis über den regionalen Arbeitsmarkt und wissen nicht genau, welche Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort bestehen. Gleichzeitig kennen sich Arbeitsmarktakteure häufig nicht mit den Regularien aus, die bei der Anstellung von Asylantragssteller*innen und Personen mit Interner Link: Schutzstatus zu beachten sind. Dieses fehlende Wissen kann durch gezielte lokale Arbeitsmarktprogramme oder durch das Engagement von Ehrenamtlichen ausgeglichen werden. Sie können eine Mittlerfunktion zwischen Geflüchteten und lokalen Unternehmen einnehmen. Arbeitsmarktbezogene Förder- und Qualifizierungsprogramme wiederum werden zumeist nur in den Groß- und Mittelstädten angeboten, wo sich auch die meisten potenziellen Arbeitgeber*innen befinden. Daher sind Mobilität und Erreichbarkeit ein entscheidender Faktor mit Blick auf die Flüchtlingsintegration auf dem Land.
Mobilität und Erreichbarkeit, die größten Herausforderungen in ländlichen Räumen
Die meisten Landkreise bringen Geflüchtete dezentral in den verschiedenen Gemeinden im Landkreis unter. Da Geflüchtete vor allem am Anfang meist keinen eigenen PKW besitzen, die meisten Angebote – wie Supermärkte, Bildungs-, Beratungs- und Kultureinrichtungen sowie Arbeitsplätze – aber in den Mittelzentren zu finden sind, ist der Ort der Unterbringung und damit die Erreichbarkeit der Mittelzentren essentiell für eine selbstbestimmte Lebensgestaltung.
Die Abbildung zeigt, dass die Erreichbarkeit der drei Mittelzentren Naumburg, Zeitz und Weißenfels im Burgenlandkreis (Sachsen-Anhalt) (grüne Felder) je nach Wohnort im Landkreis sehr unterschiedlich ausfällt.
Für die Möglichkeit der eigenständigen und selbstbestimmten Fortbewegung im Landkreis sind ein dichtes Netz und günstige Ticketpreise des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) entscheidend. Vor allem Familien mit Kindern, die kein eigenes Auto besitzen und daher auf den ÖPNV angewiesen sind, haben Schwierigkeiten bei der Bewerkstelligung langer Wege zu Einrichtungen, die täglich oder regelmäßig besucht werden (müssen) – Kindergarten, Schule, Sprachkurse, Arbeitsstellen etc. Viele Landkreise, Kommunen und auch Verkehrsunternehmen versuchen, den durch die Präsenz von Geflüchteten gestiegenen Bedarf an ÖPNV mit einer Reihe von Maßnahmen zu verbessern.
So möchte zum Beispiel der Landkreis Northeim (Niedersachsen) zusammen mit der Universität Göttingen im Projekt "Externer Link: Mobilitäts-App für Neuzugewanderte" (MAZ) eine Smartphone-App einrichten, die die Termine von Neuzugewanderten in der Verwaltung mit den Erreichbarkeiten des ÖPNV abstimmt.
Darüber hinaus engagiert sich der Landkreis Externer Link: im europäischen Projekt "Match-Up" und lädt die Bevölkerung ein, in Austauschforen (sogenannten Mobility Cafés) über die Zukunft der Mobilität im ländlichen Raum zu diskutieren.
Externer Link: Mitfahrerbänke in der Stadt Speicher (Eifelkreis Bitburg-Prüm, Rheinland Pfalz) sollen die Mobilität der Einwohner*innen erleichtern und haben bundesweit Nachahmer gefunden. Anrufbusse wie der Externer Link: "Moobil+"-Bus im Landkreis Vechta sind eine weitere Möglichkeit, die Mobilität von Geflüchteten, aber auch allen anderen Einwohner*innen, die in ländlichen Räumen auf eine gute Verkehrsverbindung angewiesen sind, zu unterstützen.
Einige der Ideen zur Verbesserung der Mobilität in ländlichen Räumen setzten dabei auf ein Merkmal, das Landgemeinden von größeren Städten unterscheidet: Überschaubarkeit und soziale Nähe.
"Man kennt sich" – Überschaubarkeit als großes Plus für ländliche Räume?
Das Zitat im Titel dieses Beitrags stammt von einem Geflüchteten aus einer niedersächsischen Kleinstadt mit ca. 7.000 Einwohner*innen. Es steht für die viel beschworene "Überschaubarkeit des lokalen Raumes". Diese soziale Nähe – dieses "Man kennt sich" – scheint es Geflüchteten leichter zu machen, in Kontakt mit der Ortsbevölkerung zu kommen. Als großer Vorteil von ländlichen Räumen gelten zudem das ehrenamtliche Engagement und der zivilgesellschaftliche Zusammenhalt in vielen Kleinstädten und Dörfern. Sportvereine spielen eine große Rolle für die niedrigschwellige Kontaktaufnahme zwischen Einheimischen und Geflüchteten. Auch die dezentrale Unterbringung in Wohngebieten bietet eine gute Möglichkeit, die soziale Integration durch Nachbarschaft zu fördern.
Mit der sozialen Nähe geht aber auch einher, dass die Haltung von Einzelpersonen und lokalen Autoritäten, deren Meinung große Reichweite und Gewicht hat – etwa Bürgermeister*innen und Pastor*innen, Mitglieder von Sportvereinen und Feuerwehren oder engagierte Ehrenamtliche –, die Diskussionskultur in ländlichen Räumen tendenziell stärker prägen als in großen Städten mit einer Vielzahl von Akteur*innen. Durch ihre Position können sie die Haltung und Stimmung vor Ort beeinflussen und dadurch sowohl integrativ als auch ausschließend wirken. Wie Geflüchtete vor Ort aufgenommen werden, scheint allerdings auch teilweise von ihrer Herkunft abzuhängen. Darauf deuten erste Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt "Externer Link: Zuflucht für Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutschlands" hin. So scheinen es Familien aus Syrien leichter zu haben, von der lokalen Bevölkerung akzeptiert und aufgenommen zu werden, als alleinreisende Männer aus afrikanischen Ländern, die auch in Medien und Öffentlichkeit stärker als "problematische Andere" markiert werden. Die Überschaubarkeit des ländlichen Raums kann also auch Nachteile mit sich bringen, etwa dann, wenn aus der räumlichen Nähe eine große soziale Kontrolle erwächst und damit der Anpassungsdruck auf die Geflüchteten steigt.
Vielfältige Lebensentwürfe von Geflüchteten prägen Verbleibwünsche
Viele Gemeinden fragen sich, ob die von ihnen aufgenommenen Geflüchteten sich dauerhaft im ländlichen Raum niederlassen werden. Aufgrund der Wohnsitzregelung, die die Bundesregierung mit dem Interner Link: Integrationsgesetz 2016 einführte , haben sie in einigen Bundesländern eingeschränkte Möglichkeiten der Wohnortwahl. Ob sich Geflüchtete an dem zugewiesenen Wohnort eine Zukunft vorstellen können, hängt von mehreren Faktoren ab: Zuallererst vom Ausgang des Asylverfahrens, denn nur wer in Deutschland ein Bleiberecht erhält, kann sich auch Gedanken über seine Zukunft machen und etwa an einem Interner Link: Integrationskurs teilnehmen.
Weitere wichtige Aspekte sind die eigene Biografie: Hat man im Herkunftsland in der Stadt oder auf dem Land gelebt? Welche Bildungs- und Arbeitsmarktinteressen und -möglichkeiten bestehen? Auch Teilhabemöglichkeiten für Familienangehörige, wie zum Beispiel von Kindern in Kindergärten und Schulen, sowie ausreichender, bezahlbarer und adäquater Wohnraum, aber auch die Frage, wie offen die Haltung der lokalen Bevölkerung gegenüber den Neuankömmlingen ist, sind wichtige Aspekte, die die Entscheidung über einen Verbleib in der Kommune beeinflussen können. Zudem spielen Aufenthaltsdauer und soziale Kontakte eine Rolle. Da viele Geflüchtete erst seit kurzem in Kleinstädten und Dörfern leben, haben sie oft (noch) keine enge Bindung zu ihrem Wohnort, sodass ein Umzug leichter fallen kann. Oft leben auch Verwandte und Freunde in anderen Teilen Deutschlands, wodurch der Wunsch entstehen kann, wegzuziehen.
In den kommunalen Verwaltungen variiert das Bewusstsein, aktiv Einfluss auf die Verbleibwünsche nehmen zu können. Die Haltung der Kommunen bewegt sich zwischen einer optimistischen Sichtweise, Geflüchtete aktiv zum Bleiben bewegen zu können, und einer pessimistischen Perspektive, eher wenig dazu beitragen zu können, dass sich Geflüchtete dauerhaft in der Gemeinde niederlassen. Als Beispiele für eine aktive Haltung können hier der Burgenlandkreis in Sachsen-Anhalt und der Landkreis Vechta in Niedersachsen gelten, die explizite Programme zur Integration von Geflüchteten in den lokalen Arbeitsmarkt aufgelegt haben und/oder das Thema Migration in ihre Bevölkerungsentwicklungspläne integriert haben. Auch einige Bundesländer – wie etwa Hessen mit dem Pilotprojekt "Externer Link: WIR – Wegweisende Integrationsansätze Realisieren" – unterstützen Landkreise und Kommunen sowie zivilgesellschaftliche Akteure bei der Finanzierung von Personal, der Erstellung von Integrationskonzepten oder der Bezuschussung von Projekten.
Fazit
Langfristiger Verbleib und Integration von Geflüchteten in ländlichen Räumen hängen einerseits von strukturellen Rahmenbedingungen vor Ort und andererseits von persönlichen biografischen Aspekten der Geflüchteten ab. Beispiele aktiver kommunaler Integrationspolitik zeigen, dass Kommunen durchaus Einfluss auf das Bleibeverhalten von Geflüchteten nehmen können, etwa dann, wenn Geflüchtete und Migrant*innen als Teil der Regionalentwicklung mitbedacht und gezielt in die Regelstrukturen vor Ort integriert werden. Aufgrund der häufig fehlenden Motorisierung von Geflüchteten und ihren Familien bei gleichzeitig hoher Dominanz der PKW-Mobilität in ländlichen Räumen, sollten sie allerdings bevorzugt in Ortschaften untergebracht werden, die ein Mindestmaß an Nahversorgung bieten und durch den Anschluss an den ÖPNV eine selbstständige Lebensweise ermöglichen.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Migration in städtischen und ländlichen Räumen.