Lange Jahre galt das niederländische Konzept des multikulturellen Zusammenlebens in anderen Ländern Europas, und vor allem in Deutschland, als Vorbild einer erfolgreichen Integration von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Religion.
Was ist das "niederländische Modell"? Hintergründe, Entstehung, Merkmale
/ 4 Minuten zu lesen
Die Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh durch einen radikalen Islamisten im November 2004 hat jedoch rege Diskussionen über den Erfolg bzw. Misserfolg dieses multikulturellen Integrationsmodells sowohl in den Niederlanden als auch europaweit ausgelöst.
Worin besteht das "Niederländische Modell"? Warum diente es Deutschland als Vorbild? Ist das niederländische Integrationsmodell gescheitert?
Vom "niederländischen Modell" spricht man in Bezug auf ganz unterschiedliche Politikfelder. In zahlreichen Analysen wurde vor allem auf das sogenannte "Poldermodell" hingewiesen, das im Konsens zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und der Regierung eine Politik der Lohnzurückhaltung, des Abbaus staatlicher Ausgaben und Deregulierung repräsentierte.
In gesellschaftspolitischer Hinsicht lassen der Verkauf "weicher Drogen" in Coffee Shops, die legale Ermöglichung von Sterbehilfe und die Adoptionsmöglichkeiten von Kindern durch homosexuelle Paare den Eindruck eines liberalen, spezifisch niederländischen Laissez-Faire-Wegs entstehen.
Die hier relevante Dimension des "niederländischen Modells" bezieht sich jedoch auf die Integrationspolitik. Ein zentrales Element dieses seit 1979 als "Minderheitenpolitik" bezeichneten Ansatzes war die Förderung und Emanzipation ethnischer Gemeinschaften. So stellten die wichtigsten ethnischen Minderheiten mit Hilfe staatlicher Förderung Beratungsgremien, die dem Prinzip der "Integration als Querschnittsaufgabe" folgend von staatlichen Organisationen und Behörden zu jeder sie betreffenden Maßnahme angehört werden sollten. Die Beratungsgremien, die zwar bis heute weiter bestehen, aber nicht mehr regelmäßig angehört werden müssen, waren dementsprechend mit einer großen Bandbreite von Fragestellungen befasst. Darüber hinaus förderte der Staat die verschiedenen Minderheitengruppen auch in der Produktion eigener Radio- und Fernsehsendungen, ermöglichte unterschiedlichen Konfessionen und Religionen die Gründung eigener Schulen und sicherte Schülern aus Einwandererfamilien muttersprachlichen Unterricht zur gesellschaftlichen Emanzipation "aus der eigenen ethnischen Identität" heraus zu.
Das zu Grunde liegende Ideal, Minderheitengruppen mit staatlicher Hilfe zu einer gleichberechtigten Position zu verhelfen, ist jedoch nicht ausschließlich eine Folge der Integration von Einwanderern in den 1970er und 1980er Jahren. Es basiert vielmehr auf der so genannten "Versäulung" als niederländische Tradition der Nationalstaatsgründung (Wielenga/Taute, 2004). Dem zufolge stellen die verschiedenen kulturellen, religiösen oder politischen Gruppen die Säulen dar, die gemeinsam das Staatsgebäude tragen, wobei das demokratische Handeln im versäulten Staat auf der Mitwirkung aller etablierten Minderheiten beruht. Durch das 1985 vergebene kommunale Wahlrecht an Ausländer, eine vergleichsweise leichte Einbürgerung und eine umfassende Antiiskriminierungsgesetzgebung aus dem Jahr 1994 sollte diese gleichberechtigte Mitwirkung ethnischer Minderheiten am gesellschaftlichen Leben gefördert werden. Damit zeichnen sich alle hier kurz angesprochenen Politikfelder durch das Streben nach Konsens und Toleranz und die Einbeziehung aller jeweils relevanten Gruppen aus. Dies waren auch die Qualitäten, mit denen die Niederlande zum Modell im Ausland wurden. Im internationalen Kontext der 1990er Jahren bezeichneten sich die Niederlande gerne selbst als "gidsland" - als führendes Land (Böcker/Thränhardt, 2003), Ministerialbeamte sprachen auf internationalen Konferenzen vom "Modell Niederlande".
Dieser vergleichsweise selbstbewusste Umgang der Niederlande mit der eigenen Integrationspolitik steht im diametralen Gegensatz zu den Diskussionen in Deutschland. Über Jahrzehnte hinweg galt deutsche Migrations- und Integrationspolitik als "misslungen", "defizitär" und "schlechter als die der europäischen Nachbarn". Im altbekannten Triptychon der Integrationsmodelle "Assimilation" (Frankreich), "Multikulturalismus" (Niederlande) und "Gastarbeitermodell" (Deutschland) galt das "deutsche Anti-Integrationsmodell" sowohl in Frankreich als auch in den Niederlanden als Negativbeispiel und hob damit die Qualitäten der jeweils eigenen Integrationspolitik besser hervor. In Deutschland wurde das niederländische Modell zum Teil in verklärter Form als Beweis für die Möglichkeit eines multikulturellen und toleranten Zusammenlebens von Menschen verschiedener Kulturen herangezogen. Diese Wahrnehmung der Niederlande als Vorbild wurde durch die ausländerfeindlichen Brandanschläge und Übergriffe auf Ausländer in Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre noch einmal verstärkt. So haben nicht nur die Bundesausländerbeauftragte, sondern auch andere offizielle Institutionen, und nicht zuletzt die "Süssmuth-Kommission"
1996 | 2005 (Januar) | 2020 (Prognose) | |
Allochtonen* insgesammt | 2.498.715 (16,1%) | 3.112.431 (19,1%) | 4.152.415 (24,7%) |
Türken | 271.514 | 357.911 | 451.717 |
Surinamer | 280.615 | 328.312 | 374.720 |
Marokkaner | 225.088 | 314.699 | 431.957 |
Niederländische Antillen, Aruba | 86.824 | 129.721 | 188.865 |
EU-24 | 810.070 | ||
Nicht-westliche Ausländer (Türkei, Afrika, Lateinamerika, Asien, mit Ausnahme von Indonesien und Japan) | 1.171.113 (7,5%) | 1.691.982 (10,4%) | 2.425.016 (14,4%) |
Gesamtbevölkerung Niederlande | 15.493.889 | 16.292.847 | 16.799.820 |
* Bei der Gesamtbevölkerung wird unterschieden zwischen "Autochtone" und Allochtone". Dabei gilt in der offiziellen niederländischen CBS-Statistik jede Person als "allochtoon", die mindestens einen im Ausland geborenen Elternteil hat und dabei selbst entweder in den Niederlanden oder im Ausland geboren wurde. Diese Form der Berechnung ist allgemein unüblich und kann daher im internationalen Vergleich zu "überhöhten" Werten führen. Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek (CBS). |
Ines Michalowski ist Doktorandin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster und am Centre de Sociologie des Organisations (Sciences-Po/CNRS), Paris.
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!