Herkunftsländer
Jeder Vorschlag zur Regulierung steht grundsätzlich vor dem Dilemma, die Rechte und Bedürfnisse der beteiligten Hauptakteure – Fachkräfte im Gesundheitswesen, Industriestaaten sowie Entwicklungsländer – miteinander in Einklang zu bringen. Die meisten Beobachter der Globalisierung sind sich einig, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit zur Verbesserung von beruflichen und persönlichen Perspektiven ein grundlegendes Menschenrecht ist. Dieses Recht zu verleugnen kann für Herkunftsländer keine dauerhafte Strategie sein, adäquat mit dem Abwanderungsproblem umzugehen. Unfaire Handelsbedingungen und die Altlasten des Kolonialismus haben jedoch Voraussetzungen geschaffen, in denen eine freie Entfaltung des Arbeitsmarktes verheerende Auswirkungen für die medizinische Versorgung in Entwicklungsländern hätte. Es muss dringend sichergestellt werden, dass medizinische Ausbildungscurricula sich vorrangig auf einheimische und nicht auf ausländische Probleme der Gesundheitsversorgung konzentrieren
Verbesserungen bei der Bezahlung, den Arbeitsbedingungen und den Karriereaussichten würden mit großer Sicherheit den Emigrationsanreiz abschwächen. Einige Staaten erproben weniger kostspielige Anreize, indem sie für bessere Unterbringung sorgen, Anfahrten der Angestellten zur Arbeit finanziell unterstützen und billige Kredite für den Autokauf bereitstellen. Da jedoch viele der ärmsten Länder nicht die Mittel haben, um solche Verbesserungen zu finanzieren, überlegen einige Entwicklungsländer, internationale Entwicklungsfonds für Lohnpakete für die medizinischen Fachkräfte einzusetzen – eine Option, über die diese Länder bislang nicht verfügten
Auch die Herkunftsstaaten könnten intervenieren, indem sie durch Steuern oder Zölle auf entsprechende Transaktionen die Kosten für die Anwerbung von Pflegekräften und Ärzten aus Entwicklungsländern erhöhen. Mit den daraus resultierenden Einnahmen könnte auch ein Teil der Ausbildungskosten gedeckt werden
Eine andere Strategie, die einige Entwicklungsländer seit kurzem verfolgen, verpflichtet Absolventen von medizinischen Ausbildungsprogrammen dazu, eine bestimmte Zeit im Ausbildungsland zu arbeiten – als eine Art "Teilrückzahlung" der öffentlich geförderten Ausbildung. Die Implementierung und Durchsetzung solcher Maßnahmen hat sich jedoch als schwierig erwiesen
Angesichts der Tatsache, dass sich bislang keine etablierten und effektiven politischen Konzepte herausgebildet haben, wohl aber ein Konsens darüber im Entstehen begriffen ist, dass die gegenwärtigen Globalisierungstrends im Gesundheitssektor den Interessen der Entwicklungsländer zuwiderlaufen, haben einige Beobachter diese Länder aufgerufen, sich dem derzeitigen System der Abwanderung und Anwerbung entgegenzustellen. Zum Beispiel hat die Menschenrechtsorganisation Physicians for Human Rights (PHR) afrikanischen Staaten empfohlen, Bestrebungen der Welthandelsorganisation WTO entgegenzutreten, Dienstleistungen im Gesundheitswesen zu liberalisieren
Zielländer
Strategien, die von Zielländern eingesetzt werden, um ihre Probleme zu lösen und gerechtere Ergebnisse für alle Parteien zu erzielen, sollten sich vor allem darauf konzentrieren, pull-Faktoren zu vermindern, die Migration künstlich steigern.
Einige Staaten haben bereits auf freiwilliger Basis dahingehend Maßnahmen eingeleitet
Ein anderer Ansatz zur Steuerung der Abwanderung von medizinischen Fachkräften verfolgt das Ziel, durch zwischenstaatliche Abkommen Kontingente für die Anwerbung von Fachkräften festzulegen, um so den Schaden für die Herkunftsstaaten und ihre Gesundheitssysteme so gering wie möglich zu halten. Das Vereinigte Königreich hat im Jahr 2000 ein entsprechendes Abkommen mit Spanien unterzeichnet, durch das spanische Pflegekräfte "systematisch und strukturiert" für den staatlichen Gesundheitsdienst angeworben werden sollen
Im Jahr 2003 haben der britische National Health Service und die südafrikanische Regierung ein Abkommen über Austauschprogramme geschlossen, innerhalb derer medizinische Fachkräfte aus beiden Ländern bis zu sechs Monaten im jeweils anderen Land arbeiten können. Auch wenn das Programm möglicherweise mehr südafrikanische Pflegerinnen und Pfleger bzw. Ärztinnen und Ärzte ins Vereinigte Königreich bringen wird als umgekehrt, wird doch die Zuwanderung wenigstens auf eine bestimmte Zeit begrenzt
Der direkte Weg, die Macht der pull-Faktoren in Industriestaaten zu verringern, kann nur darin bestehen, die eigentlichen Gründe für den Fachkräftemangel entschlossener anzugehen. Letztlich ist die Anwerbung von Pflegekräften und Ärzten aus dem Ausland nur eine Übergangslösung. Die betroffenen Industriestaaten müssen einfach mehr Aus- und Weiterbildungsanstrengungen hinsichtlich der einheimischen Bevölkerung unternehmen, um ihren Bedarf zu decken. Rückläufige Immatrikulationszahlen an medizinischen Fakultäten sind beispielsweise in den USA eine der Hauptursachen für den Ärztemangel; ein weiterer Faktor sind die rasant ansteigenden Haftpflichtversicherungsbeiträge für Ärzte.
Fazit
Die hier vorgestellten Politikempfehlungen stellen brauchbare erste Schritte dar, um die Probleme anzugehen, die sich aus der gestiegenen Migration medizinischer Fachkräfte infolge krisenhafter Entwicklungen nationaler Gesundheitssysteme ergeben.
Für eine langfristige Lösung bedarf es jedoch einer aktiveren Beteiligung einer ganz bestimmten Akteursgruppe: internationale und regionale Organisationen wie die WHO, die ILO und die PHR. Diese Organisationen haben bereits eine wichtige Rolle dabei gespielt, das Ausmaß der Migration im Gesundheitsbereich zu untersuchen und darzustellen. Zudem haben sie Richtlinien und Verhaltensregeln entwickelt, die die beteiligten Parteien ermutigen sollen, sich für verantwortliche und moralisch vertretbare Handlungsweisen einzusetzen
Obwohl diese Organisationen über die nötige Expertise verfügen, um Herkunfts- und Zielländern gleichermaßen zu helfen, scheinen sie gegenwärtig nicht über ausreichende Autorität zu verfügen, um dem Arbeitsmarkt für Fachkräfte im Gesundheitssektor Regelungen aufzuerlegen, die nötig wären, um die komplexen und dynamischen Aspekte des Problems anzugehen. Als eine mögliche Strategie zur Verbesserung der Position internationaler und regionaler Organisationen könnten formale Abkommen zwischen regionalen und nationalen staatlichen und quasi-staatlichen Institutionen dienen, durch die einer neu zu schaffenden internationalen Aufsichtsbehörde zu einem gewissen Grad die Autorität übertragen würde, Migrationsprozesse im Gesundheitswesen zu überblicken und zielgerichtet zu steuern.