Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Deutschland | bpb.de

Deutschland

Christian Joppke

/ 4 Minuten zu lesen

Erste Ansätze der zivilen Integration gab es in Deutschland im Zusammenhang mit den so genannten Aussiedlern, Zuwanderern aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion, die aufgrund deutscher Vorfahren nach deutschem Recht als Rückkehrer gelten.

Die Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Maria Böhmer, stellt neue Plakate zu einer Integrationskampagne vor. (© picture-alliance/dpa)

Seit den 1990er Jahren bietet der deutsche Staat potenziellen Aussiedlern Sprachkurse in den jeweiligen Herkunftsländern an, in denen sie auf eine Statusüberprüfung im Vorfeld einer etwaigen Einreise vorbereitet werden sollen. Daneben umfasste die Aussiedlerpolitik von Beginn an eine Reihe von Eingliederungshilfen nach der Einreise, u. a. Sprachunterricht, die für andere Zuwanderergruppen nicht zugänglich waren.

Mit den neuen Integrationskursen, die durch das Zuwanderungsgesetz von 2004 eingeführt wurden und deren Fokus auf Sprachunterricht liegt, wurde jenes Programm, das zunächst für Aussiedler gedacht gewesen war, auf Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern ausgeweitet. Die eigentliche Neuerung liegt darin, dass jetzt allen Zuwanderern ein Programm von 600 Stunden Sprachunterricht und 30 Stunden Landeskunde angeboten wird. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit herrschte in Deutschland ein zögerlicher Umgang hinsichtlich der Frage, ob die Teilnahme an solchen Kursen – den niederländischen oder französischen Beispielen folgend – zur mit Sanktionen verknüpften Pflicht werden sollte. Seit Integrationskurse zum ersten Mal im Jahr 2001 durch die so genannte Süssmuth-Kommission (die das Zuwanderungsgesetz von 2004 im Wesentlichen vorbereitete) angeregt wurden, ist immer wieder das "Recht" zur Teilnahme betont worden, obwohl es nie wirklich Zweifel daran gab, dass die Teilnahme an Integrationskursen verpflichtend sein sollte. Die Süssmuth-Kommission drückte es folgendermaßen aus: "... die Kurse [sollten] verpflichtend sein. Sanktionen bei einer Nichtteilnahme sind jedoch ... nicht für alle Zuwanderer durchsetzbar und haben sich ... als wenig praktikabel erwiesen." Wie aber kann es Verpflichtung ohne Sanktionen geben? Dieselbe Logik ergibt sich aus den wenigen Sätzen des Zuwanderungsgesetzes von 2004, in denen die "Förderung von Integration2 und die Ausgestaltung der Kurse abgehandelt werden. Paragraph 44 des Aufenthaltsgesetzes sieht eine "Berechtigung" zur Teilnahme für Zuwanderer aus Nicht-EU-Staaten vor. In § 44a hingegen ist von einer "Verpflichtung" für diejenigen die Rede, die nach vorgehendem Absatz "Anspruch" auf eine Teilnahme haben, aber nicht in der Lage sind, "sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen" zu können (dies gilt in gleichem Maße für bereits ansässige Zuwanderer, die auf Sozialhilfe angewiesen sind). Nach diesem Konstrukt sind Neuankömmlinge einerseits "berechtigt" und andererseits "verpflichtet", sich in Integrationskurse einzuschreiben.

Wenn es Debatten über die neuen Maßnahmen gab, konzentrierten sich diese vor allem auf die Frage nach Sanktionen – sollten diese positiv oder negativ sein – und auf die Frage, wer finanziell für die Kurse aufkommen sollte (die Migranten oder der Staat, und wenn letzterer, der Bund oder die Länder?). Die Konfliktlinie verlief wie gewöhnlich zwischen dem konservativen Lager (CDU/CSU), das Teilnahmegebühren bzw. harte Sanktionen bei Nichtteilnahme (meist in Form von Kürzung der Sozialleistungen) forderte, und der Mehrheit der damals regierenden Koalition aus SPD und Grünen, die sich in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Süssmuth-Kommission für positive Anreize aussprach (wie die Verkürzung der Mindestaufenthaltsdauer für Einbürgerungswillige) und eine Übernahme der Kosten durch Bund und Länder vorsah.

Letztlich wurde in beiden Fragen ein Kompromiss ausgehandelt. Hinsichtlich der Sanktionen wurde als positiver Anreiz verankert, dass sich bei erfolgreicher Teilnahme an einem Integrationskurs die Mindestaufenthaltsdauer für eine Einbürgerung von acht auf sieben Jahre reduziert. Dem steht ein Katalog negativer Sanktionen gegenüber, etwa eine leichte Kürzung von Sozialleistungen bei Nichtteilnahme. Durch eine recht dehnbare Formulierung (in § 8 Abs. 3) können auch bestehende Aufenthaltsgenehmigungen betroffen sein. Die Nichterfüllung der Teilnahmepflicht "kann" dazu führen, dass befristete Aufenthaltsgenehmigungen nicht verlängert bzw. unbefristete Aufenthaltsgenehmigungen verwehrt werden – vorausgesetzt, dass die jeweilige Bewilligung Ermessenssache ist. Dieses "Kann" ist an weitere Bedingungen geknüpft (vor allem müssen auch familiäre und soziale Bindungen berücksichtigt werden), so dass es in der Praxis keine größeren Auswirkungen haben dürfte.

Dennoch bildet auch die deutsche zivile Integration immer deutlicher einen Zwangscharakter heraus. Nach heftigen Debatten über so genannte "Ehrenmorde" in türkischen Migrantenfamilien und von ethnischen Minderheiten ausgeübte Gewalt an Berliner Schulen entschieden der Bundesinnenminister und die Innenminister der Länder im Mai 2006, dass die Teilnahme an Integrationskursen mit einem abschließenden standardisierten Sprachtest Voraussetzung für die Einbürgerung werden sollte. Es erscheint nur folgerichtig, die Bedingungen für eine "normale" Aufenthaltsgenehmigung auch zur Voraussetzung für die Einbürgerung zu machen – eine Neuerung, die auch in anderen Ländern, die bereits die zivile Integration praktizieren, Schule machen dürfte. Dies bedeutet jedoch die Umkehrung eines liberalen Trends in der Einbürgerung in ganz Westeuropa, dessen Höhepunkt 1999 die Einbürgerungsreform in Deutschland markiert hatte.

Darüber hinaus ist kürzlich mit der Reform des Zuwanderungsgesetzes von 2007 eine Klausel zur "Integration im Ausland" eingeführt worden. Auch hier werden Regelungen aus dem Bereich der Aussiedlerintegration übernommen: Seit 2005 wird von nicht-deutschen Familienangehörigen von Spätaussiedlern der Nachweis von Grundkenntnissen der deutschen Sprache verlangt, bevor sie in den Aufnahmebescheid einbezogen werden können. Durch die jüngste Reform müssen nun auch Familiennachzügler aus Drittstaaten (mit Ausnahme jener aus Industriestaaten wie den USA oder Australien) zum Zeitpunkt der Einreise Grundkenntnisse der deutschen Sprache vorweisen können. Diese Maßnahme ist von Vertretern der großen türkischen Zuwanderergemeinschaft (hauptsächlich muslimischen Verbänden), die sich durch die Reform gegenüber Zuwanderern aus anderen Ländern benachteiligt fühlen, heftig kritisiert worden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für weitere Informationen zu Integrations- und Zuwanderungsthemen in Deutschland siehe Özcan, V. und Grimbacher, S. (2007): "Deutschland" focus Migration Länderprofil Nr. 1.

Dr. Christian Joppke ist Professor für Politikwissenschaft an der Graduate School of Government, The American University of Paris.