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Einleitung

Christian Joppke

/ 3 Minuten zu lesen

In den letzten Jahren ist der Ruf nach einheitlicheren und effizienteren Integrationsmaßnahmen für Zuwanderer lauter geworden. Widerhall findet er u. a. in den Empfehlungen des Rates der Europäischen Union von 2004 zu "Gemeinsamen Grundprinzipien" für die Integration von Zuwanderern.

Erklärtes Ziel der Integrationskurse ist u.a., Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von Sozialleistungen bei Zuwanderern zu verringern. (© Susanne Tessa Müller)

Darin wird vor allem die Notwendigkeit verbesserter Integration in den Arbeitsmarkt betont. Sie soll durch bessere Kenntnisse der Sprache des jeweiligen Aufnahmelandes sowie durch die Achtung der "Grundwerte der EU" ermöglicht werden. Dazu soll wiederum die Vermittlung von Wissen über Geschichte und Institutionen des Aufnahmelandes beitragen. Seit den 1990er Jahren wird in verschiedenen Ländern, darunter in den Niederlanden, Österreich, Dänemark, Frankreich, Deutschland und im Vereinigten Königreich, in dieser Hinsicht bereits eine Strategie verfolgt: verpflichtende Integrationskurse und -tests für Neuankömmlinge (im Nachfolgenden "zivile Integration" genannt). Diese Kurse dauern zwischen 12 und 24 Monaten und zielen insbesondere auf gering qualifizierte Zuwanderer aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Im Mittelpunkt steht der Spracherwerb, daneben aber auch die Vermittlung von Kenntnissen der Geschichte, der Institutionen, der Kultur und des alltäglichen Lebens in der Aufnahmegesellschaft.

Formal gesehen gründet die zivile Integration auf zwei Hauptanliegen: die Senkung wirtschaftlicher Kosten und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Hinsichtlich der Kosten gilt es, Zuwanderer in bezahlten Lohnarbeitsverhältnissen unterzubringen, um so die Arbeitslosenquote zu verringern, die bei Migranten in Westeuropa in der Regel mindestens doppelt so hoch ist wie bei einheimischen Arbeitnehmern (vgl. Tabelle), und die staatlichen Kosten für Sozialleistungen zu senken.

 
Absolute und relative Arbeitslosigkeit bei Staatsbürgern und Nicht-EU-Ausländern in den Niederlanden, in Frankreich, in Deutschland und im Vereinigten Königreich (2005)
 
Arbeitslosigkeit StaatsbürgerArbeitslosigkeit Nicht-EU-AusländerRelative Arbeitslosigkeit bei Nicht-EU-Ausländern
Niederlande4,5 %18,7 %4,2 %
Frankreich8,8 %25,1 %2,9 %
Deutschland10,5 %23,7 %2,3 %
Vereinigtes Königreich4,3 %9,3 %2,2 %
Quelle: Münz (2007)


Mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt will die zivile Integration Werte und Grundsätze der freiheitlichen Demokratie vermitteln und Zuwanderer mit der Geschichte und der Kultur des jeweiligen Landes vertraut machen. Dieses Thema hat angesichts der in vielen EU-Staaten zunehmenden Besorgnis über ein mögliches Scheitern der Integration muslimischer Minderheiten und deren mangelnde Identifikation mit der Gesellschaft des jeweiligen Landes bzw. ihrer Werte stark an Bedeutung gewonnen. Diese Problematik wurde durch die Unruhen und terroristischen Aktivitäten, die seit 2001 in Westeuropa mit muslimischen Gruppen verbunden werden, zu einem Anliegen von höchster Dringlichkeit.

Das folgende Dossier gibt einen Überblick über die Entwicklung der zivilen Integration in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland und stellt diese ähnlich ausgestalteten, aber in geringerem Maße verpflichtenden Maßnahmen im Vereinigten Königreich gegenüber. Auf dem europäischen Festland beinhaltet die zivile Integration

  1. einen Umschwung von freiwilligen auf obligatorische Kurse, mit härteren Strafen bei Nichtteilnahme;

  2. eine neue Synthese von Integrations- und Zuwanderungspolitik, durch die Integrationspolitik zu einem Instrument wird, das die Zuwanderung von bestimmten Migranten beschränkt; und

  3. eine Ausrichtung der Integrationsmaßnahmen auf Zuwanderer aus Entwicklungs- und Schwellenländern, die durch Ausnahmeregelungen für Zuwanderer aus Ländern wie Nordamerika, Australien, Neuseeland und Japan verdeutlicht wird und die Annahme widerspiegelt, dass Migranten aus Entwicklungsländern sich weniger erfolgreich integrieren können als solche aus Industriestaaten.

Abschließend wird die Wirksamkeit der zivilen Integration hinsichtlich der von ihr gesetzten Ziele diskutiert. Dabei wird nahegelegt, dass die tatsächliche Bedeutung dieser Maßnahmen möglicherweise ganz woanders liegt, nämlich in der Beschwichtigung der einheimischen Mehrheitsbevölkerung, die neuen Zuwanderern notorisch misstrauisch gegenübersteht.

Fussnoten

Dr. Christian Joppke ist Professor für Politikwissenschaft an der Graduate School of Government, The American University of Paris.