Anhand ausgewählter Migrationspolitiken soll nun die Wirkungsweise von Migrationsnetzwerken gezeigt werden. Hierzu soll das Beispiel rumänischer Migranten in Spanien dienen, deren Netzwerke in einem Forschungsprojekt erst kürzlich eingehend untersucht worden sind
Rumänien als bedeutendes Auswanderungsland hat bisher nur wenige unmittelbare migrationspolitische Maßnahmen ergriffen, die sich auf die Auswanderung ausgewirkt hätten. Bisher wurde lediglich eine Behörde gegründet, die sich um die Abwicklung der bilateralen Abkommen kümmert
Regularisierungen in Spanien
Spanien hat nach seinem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft (EG) 1986 einen anhaltenden Wirtschaftsaufschwung erlebt, der es immer attraktiver für Arbeitsmigranten machte. Da das Land bis dahin nur geringe Einwanderungserfahrung hatte, orientierten sich die neuen Gesetze und Richtlinien zur Immigration stark an den strikten Beitrittskriterien der EG, die die Einwanderung deutlich beschränkt sehen wollte. Da Spanien jedoch erhebliche ökonomische Anreize für Arbeitsmigranten bot, zogen mehr und mehr Arbeitssuchende irregulär zu. Die spanischen Migrationspolitiker waren an die Vorgaben gebunden, die sie als Juniormitglied in der EG unbedingt einhalten wollten. Aufgrund der Erfahrung, die sie und die spanische Bevölkerung jahrzehntelang selbst mit Auswanderung gemacht hatten, standen sie jedoch den Neuankömmlingen wohlgesonnen gegenüber
Diese Regularisierungen wurden in Spanien seit dem EG-Beitritt bereits fünfmal durchgeführt, nämlich 1986, 1991, 1996, 2000/01 und 2005. Jedes Mal variierten die Kriterien zur erfolgreichen Aufnahme in ein Regularisierungsprogramm und damit zum Erhalt eines temporären Aufenthaltstitels, der danach unter bestimmten Voraussetzungen verlängert werden konnte. Nachdem 1986 die Kriterien noch sehr unklar waren und daher im Ermessensspielraum der einzelnen Exekutivbehörden lagen
Arbeitskräfte aus den Regionen Transsylvanien und Moldawien gehörten mit zu den ersten Migranten aus Rumänien, die sich, nachdem sie ab 1990 einen Reisepass erhalten hatten, nach Spanien aufmachten. Sie hatten aufgrund der Wirtschaftslage in ihren Heimatregionen vor dem Zusammenbruch des Kommunismus in Rumänien bereits viel interne Migrationserfahrung gesammelt. Insbesondere in Herkunftsgemeinden mit einem großen sozialen Zusammenhalt entstanden bald starke Migrationsnetzwerke, in denen sich die Migranten gegenseitig halfen, die Arbeitsmöglichkeiten in Spanien zu nutzen. Daher konnten sie bereits sehr zahlreich von der Regularisierung 1996 profitieren, die nicht wie üblich nur ein einjähriges Aufenthaltsvisum verlieh, sondern ein sechsjähriges, das danach in einen unbegrenzten Aufenthalt umgewandelt werden konnte
Die Regularisierung im Jahr 2000/01 hatte einen noch größeren Einfluss auf die Anzahl rumänischer Migranten in Spanien, da diese einerseits Möglichkeiten zur Familienzusammenführung anbot und andererseits bereits Jahre vorher diskutiert wurde. Letzteres hatte den Effekt, dass die Information über die hohe Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Regularisierung, die über die rumänischen Migrationsnetzwerke verbreitet wurde, in den Jahren vor 2000 in den Herkunftsgemeinden zu einer erhöhten irregulären Migration nach Spanien führte. Noch während dieser Regularisierung wurden die Regelungen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels von der neu ins Amt gekommenen konservativen Partei (partido popular) deutlich verschärft
Damit zeigt sich, dass die etablierten rumänischen Migrationsnetzwerke nicht nur die für die Migranten positive Politikmaßnahme der Regularisierung unterstützten, sondern sogar gegen weitere Zuwanderung gerichtete Maßnahmen deutlich in ihrer Wirkung abschwächten, wenn nicht sogar außer Kraft setzten.
Bilaterale Abkommen zwischen Spanien-Rumänien
Zwischenstaatliche Abkommen zwischen Rumänien und mehreren Ländern, die einen Arbeitskräftemangel in bestimmten Wirtschaftssektoren aufweisen (wie z. B. Deutschland, Portugal oder eben Spanien)
Diese Politikmaßnahme wird nur bedingt von Migrationsnetzwerken beeinflusst, da für die Aufnahme einer Beschäftigung im Rahmen dieser Verträge internationale Netzwerkkontakte nicht notwendig sind. Vielmehr genügt es, sich in Rumänien für einen Arbeitsplatz in Spanien zu bewerben. Dazu sind jedoch beglaubigte und ins Spanische übersetzte Kopien bestimmter Dokumente notwendig, die in Rumänien nur in größeren Städten angeboten werden und für die ärmere ländliche Bevölkerung erhebliche Kosten nach sich ziehen. Das macht die Arbeitsmigration auf diesem Wege uninteressanter für Personen mit einem Zugang zu starken Migrationsnetzwerken. Die Arbeitsbedingungen in den durch die Abkommen vermittelten Tätigkeiten in Spanien verstärken diesen Effekt noch weiter: Die Arbeit darf nur für einen begrenzten Zeitraum von drei bis neun Monaten aufgenommen werden; danach müssen die Arbeiter nach Rumänien zurückkehren. Um dies sicherzustellen, müssen sie sich persönlich bei einer öffentlichen Stelle in Rumänien zurückmelden, wenn sie nochmals im Rahmen der bilateralen Verträge in Spanien tätig werden wollen. Unattraktiv sind darüber hinaus die weit entfernt im Süden Spaniens liegenden Arbeitsstätten, wodurch sich die Reisekosten erhöhen. Dennoch helfen auch hier unter Umständen Netzwerke den Migranten, diese ziemlich restriktive Politikmaßnahme zu ihrem Vorteil zu nutzen. Arbeiter können während ihrer Tätigkeit in bilateralen Verträgen über Beziehungen aus ihren Netzwerken Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern knüpfen. Nach ihrer Rückkehr nach Rumänien und Registrierung bei der Behörde reisen sie wieder ein, um zu einem höheren Lohn und besseren Bedingungen zu arbeiten. Solche Migranten können dann als Pioniermigranten aus ihren Herkunftsorten als Kontaktpersonen und Initiatoren für die Bildung neuer Migrationsnetzwerke dienen.
Visafreier Schengen-Raum
Das 1985 von fünf EU-Staaten ins Leben gerufene Schengener Abkommen
Die 1990 in Kraft getretene Schengener Konvention hat den kontrollfreien internationalen Reiseverkehr zum Ziel. Mittlerweile sind dem Abkommen alle EU-Staaten mit Ausnahme von Irland, dem Vereinigten Königreich, Bulgarien, Rumänien und Zypern, sowie die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen und Island beigetreten. Drittstaatler benötigen seitdem nur noch ein einziges Visum für den gesamten sogenannten "Schengen-Raum", also alle der Konvention beigetretenen Staaten.
Vor dem Jahr 2002 benötigten Rumänen ein Visum, um in die EU-Staaten bzw. den Schengen-Raum einreisen zu dürfen. Dies wurde meist nur für touristische Zwecke für maximal drei Monate gewährt, und auch dann nur, wenn man eine Einladung aus dem Zielland nachweisen konnte. Daher bedurfte es entweder guter Netzwerkkontakte ins Ausland, um die entsprechende Einladung zu erhalten, oder man benötigte erhebliche finanzielle Mittel, um sich ein Visum auf dem Schwarzmarkt zu kaufen. Natürlich brauchte man auch hierzu Beziehungen, um zu wissen, wo es ein solches Visum überhaupt zu erstehen gab. Die Zeitbeschränkungen führten zu zirkulären Migrationsmustern, also zu einem Pendeln zwischen Herkunfts- und Zielland, bei dem die zeitlichen Visabestimmungen immer wieder aufs Neue voll ausgeschöpft wurden
Die Befreiung rumänischer Reisender von der Visumpflicht im Jahr 2002 sollte einen erheblichen Einfluss auf die Intensität der Migration zwischen Rumänien und dem Schengen-Raum haben. Die einzigen Voraussetzungen zur Einreise in den Schengen-Raum bestanden nun im Nachweis ausreichender Geldmittel für den Aufenthalt oder einer Einladung aus einem der beteiligten Länder. Dies berechtigte dann zu einem Aufenthalt von bis zu drei Monaten im gesamten Schengen-Raum, verbot jedoch die Aufnahme einer Arbeit.
Sowohl vor als auch nach der Änderung der Einreisebestimmungen für Rumänen in den Schengen-Raum nutzten rumänische Arbeitsmigranten ihren Auslandsaufenthalt, um irregulär zu arbeiten. Bei der Arbeitssuche halfen ihnen meist ihre Migrantennetzwerke. Häufig blieben sie länger als die maximal erlaubten drei Monate, ein Sachverhalt, der als overstaying bezeichnet wird. Um wieder unbeschadet nach Rumänien zurückkehren zu können, wurden im Migrationsnetzwerk Informationen darüber ausgetauscht, welches die beste Route sei, die am wenigsten kontrolliert würde oder an der die bestechlichsten Grenzbeamten Dienst taten.
Sowohl die Einreise als auch die Praxis des overstaying wurden nach Abschaffung der Visumpflicht maßgeblich erleichtert, was zu einem Aufschwung der Migration und damit zum Wachsen der Migrationsnetzwerke führte, die dann wiederum mehr potenzielle Migranten unterstützen konnten.
EU-Erweiterung 2007
Seit 2007 ist Rumänien EU-Mitglied und seine Bürger genießen Reisefreiheit in allen EU-Staaten. Somit entfällt auch die Visumpflicht für einen mehr als dreimonatigen Aufenthalt. Eine Aufnahme abhängiger Beschäftigung ist jedoch durch Beschränkungen in den Beitrittsklauseln Rumäniens zur EU in zunächst allen EU-Ländern außer Bulgarien, Tschechien, Zypern, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien und Schweden verboten
Die meisten EU-Staaten, die eine Ausnahme vom Arbeitsverbot eingeräumt haben, bieten jedoch wenig ökonomische Anreize. Bereits aus diesem Grund ziehen wenige rumänische Migranten dorthin. Andererseits lässt sich in Schweden, das ein hohes Einkommensniveau selbst bei niedrig qualifizierten Tätigkeiten aufweist, zwar ein vergleichsweise starker Anstieg rumänischer Migranten für das Jahr 2007 verzeichnen (2006: 348, 2007: 2.457 registrierte Migranten)
Interessanter scheinen die bis vor Kurzem noch boomenden Arbeitsmärkte in Irland und im Vereinigten Königreich zu sein, die aber noch nicht für rumänische Arbeitsmigranten offen sind. Vereinzelt gelingt es jedoch Rumänen, sich durch Netzwerkkontakte Zugang zu gefälschten Aufenthaltsdokumenten aus diesen Ländern zu verschaffen und dadurch auch Zugang zu den Arbeitsmärkten im Vereinigten Königreich und in Irland zu erhalten. Dass diese Möglichkeit jedoch weitgehend ungenutzt bleibt, liegt zum einen an den hohen Risiken und Kosten dieser Art der Arbeitsaufnahme, vor allem aber an der Tatsache, dass die Migrationsnetzwerke zwischen Rumänien und Spanien derart stark sind. Daher erscheint es vielen Migranten unattraktiv, die gute Vernetzung in Spanien gegen noch schwache Migrationsnetzwerke in einem der zehn Beitrittsstaaten zu tauschen