Migration ist immer ein hochinteraktiver sozialer Prozess. Angefangen bei Überlegungen, ob man überhaupt seinen Wohnort dauerhaft oder temporär verlagern möchte, über die tatsächliche Entscheidung in Bezug auf die Art und Weise der Migration, den Zielort und den eingeschlagenen Reiseweg, bis hin zu den Möglichkeiten, sich am Zielort in die unterschiedlichsten Bereiche zu integrieren: Immer spielen das Wissen von anderen Menschen und die Kontaktmöglichkeiten zu diesen eine große Rolle.
Netzwerke von Migranten
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Migrationswillige Menschen versuchen dabei, ihre bestehenden und neu zu knüpfenden Kontakte zu anderen Menschen, die migrationsrelevantes Wissen und materielle Ressourcen haben, für ihr Wanderungsvorhaben zu nutzen. Die Gesamtheit aller sozialen Beziehungen mit migrationsrelevantem Wissen wird dann als soziales Netzwerk des Migranten/ der Migrantin oder Migrantennetzwerk bezeichnet. Dieses umfasst somit nicht nur Familienangehörige und Freunde, sondern auch Bekannte, Personen in Organisationen oder nützliche Fremde. Um Menschen bei ihrer Migration zu helfen, ist mittlerweile eine ganze "Migrationsindustrie" entstanden
Das Wesen von Migrationsnetzwerken
Um die Wirkungsweise von Netzwerken im Kontext von Migration an sich zu analysieren, muss man die individuelle Ebene der Migranten verlassen und ihre Migrantennetzwerke zusammenfassen. Auf dieser aggregierten Ebene bietet es sich dann an, von Migrationsnetzwerken – generell oder fokussiert auf bestimmte Gruppen (z. B. eines Herkunftsortes, einer Region oder einer ethnischen Gruppe) – zu sprechen
Die Wirkung von Migrationsnetzwerken
Wissenschaftliche Untersuchungen über die Wirkungsweise von sozialen Netzwerken im Migrationsprozess haben hauptsächlich Migration fördernde, aber auch einige hindernde Kräfte festgestellt
Generell kann festgestellt werden, dass Menschen, die Beziehungen zu anderen Menschen mit aktueller oder vergangener Migrationserfahrung unterhalten, mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst migrieren werden
InfoWas ist ein Migrationsnetzwerk?
Menschen, die vorhaben, temporär oder dauerhaft ihren Wohnort zu verlagern, bedienen sich häufig der Hilfe anderer Menschen, um dieses Vorhaben zu verwirklichen. Zusammengefasst ergibt die Gesamtheit aller sozialen Beziehungen eines Menschen, die ihm bei seiner Wanderung behilflich sind, sein Migrantennetzwerk, also das soziale Netzwerk dieses (potenziellen) Migranten. Dieses Migrantennetzwerk kann Familienangehörige, Freunde, Bekannte, aber auch Kontakte zu Institutionen oder auch nur nützlichen Fremden beinhalten.
Wenn man nun die Gesamtheit aller Migrantennetzwerke einer bestimmten Gruppe betrachtet, spricht man von Migrationsnetzwerk. Diese Gruppe leitet sich häufig aus geographischen, ethnischen oder nationalen Bezügen ab (z.B. Migrationsnetzwerk einer Stadt, Region oder eines Landes).
Migrationsnetzwerke haben ihre quantitativ größte Wirkung im Bereich der internationalen Wanderung niedrig qualifizierter und unqualifizierter Arbeitskräfte, da es in den entsprechenden Wirtschaftssegmenten immer schon eine hohe Nachfrage nach Arbeitskräften gab, die häufig nicht durch den Binnenarbeitsmarkt befriedigt werden konnte. Insbesondere die ökonomischen Anreize in Form von Einkommensunterschieden zwischen Herkunfts- und Zielland tragen dazu bei, dass mit Hilfe dieser Netzwerke eine Kettenmigration ausgelöst werden kann und sich dadurch die Migrationsströme verstetigen.
Migrationsnetzwerke und Migrationspolitik
Welchen Einfluss haben nun die Migrationsnetzwerke auf die Migrationspolitik? Als Migrationspolitik werden hier die politischen Maßnahmen einzelner Staaten oder Staatenbündnisse (wie die EU) zur Steuerung der Zu- und Abwanderung verstanden. Diese Maßnahmen umfassen die Steuerung der faktischen Ein-/Ausreise sowie die Regelung des Aufenthaltes im Zielland. Netzwerke können unterschiedliche Auswirkungen auf neu eingeführte Migrationspolitiken haben: Sie können die Politikziele unterstützen, neutralisieren oder durchkreuzen.
Eine Migration fördernde Politik, z. B. bei einem Mangel an günstigen Arbeitskräften in einem Wirtschaftssektor, wird durch Migrationsnetzwerke unterstützt, wenn bereits ein etabliertes Netzwerk zwischen einigen Herkunftsregionen und dem Zielland besteht. Dann können die Netzwerkkontakte die Migration zusätzlich erleichtern und es wird zu einer verstärkten Wanderungstätigkeit kommen, mitunter stärker, als die Entscheidungsträger in der Politik beabsichtigt hatten. Bestehen aber bereits starke Migrationsnetzwerke zwischen einer Herkunftsregion und einem Zielland A, und ein Zielland B beschließt eine zuwanderungsfördernde Politik einzuführen, so ist es möglich, dass trotz ökonomischer und politisch-institutioneller Anreize die Wanderungsströme nicht von A nach B umgelenkt werden. Die Vorteile der Kontakte im bestehenden Migrationsnetzwerk sind stärker, und die Migrationspolitik des Ziellandes B wird somit zum Teil neutralisiert.
Schließlich kann das Bestehen starker Migrationsnetzwerke den Politikzielen sogar direkt entgegenlaufen. Wenn die Einkommensunterschiede zwischen Herkunfts- und Zielort groß genug sind, setzen Migranten ihre Netzwerke ein, um die ihnen entgegenstehenden Hindernisse zu umgehen. Dass die Migranten hierbei nicht nur Politiken, sondern auch Regelungen und Gesetze umgehen, kann einerseits als Ausdruck ihrer (vor allem ökonomischen) Not angesehen werden. Es kann aber auch als Zeichen dafür gelten, dass einige der hauptsächlichen Herkunftsstaaten unqualifizierter Arbeitsmigration von deren Bürgern als ineffizient und korrupt angesehen werden. Dies führt dazu, dass die Bewohner dieser Staaten grundsätzlich weniger Bedenken haben, staatliche Verordnungen und Gesetze zu umgehen, die ihnen bei der Erreichung ihrer Ziele im Weg stehen
Tim Elrick ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im EU Marie Curie Excellence Grant Projekt "KNOWMIG" an der Universität Edinburgh, Schottland.
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