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Dänemarks Ansatz zur Einwanderung und die Debatte über die EU-Asyl- und Migrationspolitik | EU-Migrations- und Asylpolitik | bpb.de

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Dänemarks Ansatz zur Einwanderung und die Debatte über die EU-Asyl- und Migrationspolitik

Marie Sandberg

/ 7 Minuten zu lesen

Dänemarks migrationspolitischer Ansatz ist zunehmend restriktiv. Die Vorbehalte bei der EU-Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres ermöglichten Abweichungen von der EU-Einwanderungs- und Asylpolitik.

Ein Warnschild mit der Aufschrift "Stop - Kontrol" an der Grenze zu Krusa (Dänemark) am 02.02.2016. (© picture-alliance/dpa, Lukas Schulze)

Dänemark gilt als ein relativ homogener und egalitärer skandinavischer Wohlfahrtsstaat. In den letzten Jahrzehnten ist das Land im Kontext wachsender Einwanderung von einer liberalen Haltung gegenüber Einwanderung zu einer strengen Einwanderungspolitik übergegangen. Dänemark zählte zu den ersten Staaten, die die Genfer Konvention von 1951 unterzeichneten, welche Menschen, die vor Verfolgung oder Krieg fliehen, internationalen Schutz gewährt. Im Jahr 1983 wurde das erste dänische Ausländergesetz ratifiziert, das für seine liberale Haltung gegenüber Flüchtlingen bekannt ist. Es führte beispielsweise das Recht auf Familienzusammenführung für Kinder und sogar Eltern (über 60 Jahre) von ausländischen Staatsangehörigen ein, die in Dänemark einen Flüchtlingsstatus oder eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung hatten. 1999 war Dänemark weltweit das erste Land, das ein Integrationsgesetz einführte. In den frühen 2000er Jahren und nach der „europäischen Flüchtlingskrise“ von 2015 änderte sich Dänemarks Haltung jedoch und die Migrationspolitik wurde zunhemend restriktiv.

Der Bevölkerungsanteil der Eingewanderten und ihrer Nachkommen ist in den letzten Jahrzehnten um mehr als zehn Prozentpunkte gestiegen – von drei Prozent im Jahr 1980 auf 15,8 Prozent im Jahr 2024. Am 1. Januar 2024 lebten in Dänemark insgesamt 943.066 Personen, die als Eingewanderte bzw. deren Nachkommen zählen. Das entsprach einem Anteil von 16 Prozent an der Gesamtbevölkerung von 5.977.412. Der Wanderungssaldo ausländischer Staatsangehöriger ist im Zeitraum 2017 bis 2020 zurückgegangen. 2022 stieg er wieder deutlich an, als infoge des russischen Überfalls auf die Ukraine etwa 30.000 Ukrainerinnen und Ukrainer nach Dänemark einreisten. Im Jahr 2023 wurden Aufenthaltsgenehmigungen für 1.343 Flüchtlinge erteilt, was einem Prozent aller in jenem Jahr in Dänemark erteilten Aufenthaltserlaubnisse entsprach. Im Jahr 2024 stammte die größte Gruppe der Eingewanderten und ihrer Nachkommen aus der Türkei (sieben Prozent), gefolgt von Personen aus Polen (sechs Prozent), Rumänien, Syrien und der Ukraine (alle fünf Prozent).

Die Hinwendung zum vorübergehenden Schutz

Seit seinem Inkrafttreten wurde das Integrationsgesetz von 1999 mehrfach geändert und insbesondere seit 2015 in Richtung einer strengeren Handhabe verschoben. Im Jahr 2017 wurde das Kontingent von 500 Flüchtlingen, die jährlich über das Resettlement-Programm des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) in Dänemark aufgenommen werden, für drei aufeinanderfolgende Jahre ausgesetzt, und die Zahl der Neuansiedlungen ist seit 2020 deutlich gesunken. Eine bemerkenswerte Entwicklung waren die Gesetzesreformen zwischen 2015 und 2019, durch die 114 Einschränkungen im Bereich der Integrations- und Einwanderungspolitik eingeführt wurden – dies wird politisch als „Paradigmenwechsel“ bezeichnet. Im Jahr 2015 wurde ein temporärer subsidiärer Schutzstatus in das Ausländergesetz aufgenommen. Er legt fest, dass alle humanitären Aufenthaltstitel nur für einen vorübergehenden Aufenthalt erteilt werden, wodurch der zeitlich befristete Schutz zur neuen Norm geworden ist. Dieser Paradigmenwechsel bedeutete auch eine stärkere Konzentration sowohl auf die Eigenverantwortung von Geflüchteten für ihren Lebensunterhalt aufzukommen als auch auf die Rückführung von Flüchtlingen.

Migration in der öffentlichen Debatte

In Dänemark ist das Thema Migration seit langem Gegenstand intensiver Debatten. Der „Paradigmenwechsel“ hat das Thema Migration bei dänischen Politikern und Entscheidungstragenden aus dem gesamten politischen Spektrum stärker in den Mittelpunkt gerückt. So haben beispielsweise dänische Parlamentsabgeordnete Migrationsforschende kritisiert und ihnen vorgeworfen, Aktivisten zu sein, die „Anti-Wissenschaft“ betreiben würden. Im Zentrum der jüngeren Diskussionen über Einwanderung und Zwangsmigration (Vertreibung/Flucht) standen Fälle, in denen die Aufenthaltserlaubnis widerrufen wurde, insbesondere von jungen syrischen Frauen, deren Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wurde und denen folglich die Abschiebung nach Syrien drohte. Diese Frauen standen unter dem Schutz von Artikel 7.3 des dänischen Ausländergesetzes, der ihnen einen schwächeren Schutz bot als syrischen Männern, denen in Syrien unter dem Assad-Regime der Zwangsdienst im Militär drohte. Die öffentliche Meinung und die Debatte waren polarisiert: Einige argumentierten, dass Widerrufe ungerecht seien, insbesondere für Personen, die seit ihrer Kindheit in Dänemark gelebt und/oder studiert haben; andere wiederum betrachteten sie als notwendige Maßnahme zur Reduzierung der Zahl der ausländischen Staatsangehörigen. Nach dem Sturz des Assad-Regimes Anfang Dezember 2024 hat die dänische Berufungskommission für Flüchtlinge die laufenden Asylverfahren von syrischen Staatsangehörigen vorläufig ausgesetzt.

Die Rolle der Migrations- und Asylpolitik der EU in Dänemark

Da Dänemark wegen seiner Opt-Out-Regelung nicht an der EU-Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres teilnimmt, ist das Land nicht direkt an die EU-Einwanderungs- und Asylpolitik gebunden – mit Ausnahme der Dublin-III- und Interner Link: Eurodac-Verordnungen. Beobachtern zufolge hat dieses Opt-Out aus dem Interner Link: Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) es Dänemark ermöglicht, in den letzten Jahren von der EU-Asylgesetzgebung abzuweichen und sich stattdessen einer Politik des vorübergehenden Schutzes und der Rückführung zuzuwenden. Kurz nach der Verabschiedung des Neuen Pakts zu Migration und Asyl im Mai 2024 initiierte Dänemark einen gemeinsamen Aufruf von 15 Mitgliedstaaten an die EU-Kommission, die Migrationspolitik stärker auszulagern und die Migrationskontrolle zu verschärfen. In dem Schreiben wurden auch „Rückführungszentren“ (return hub mechanisms) vorgeschlagen, um die Überstellung abgelehnter Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Drittstaaten zu erleichtern. Die Vorschläge ähneln den ursprünglichen Plänen Dänemarks, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern. Bislang haben diese Pläne zu einer Absichtserklärung (Externer Link: Memorandum of Understanding) Dänemarks mit der ruandischen Regierung geführt, aber zu keinen konkreten Vereinbarungen und Maßnahmen.

Dänemark als restriktives ‚Vorbild‘?

Unter den nordischen Staaten belegte Dänemark 2019 laut dem ländervergleichenden Migrant Integration Policy Index (Mipex) den letzten Platz beim Zugang zur Familienzusammenführung und zum Daueraufenthalt. Dänemark wendet derzeit sehr strenge Regeln für die Familienzusammenführung an. Die noch restriktivere Integrations- und Einwanderungspolitik wird von Nachbarländern wie Schweden aufgegriffen, die sich derzeit vom „dänischen Modell“ inspirieren lassen. Auf dem jährlichen Treffen der für Migration zuständigen nordischen Ministerinnen und Minister ging es im August 2024 beispielsweise um die Stärkung der Zusammenarbeit, die Förderung der Rückführung und Reintegration von Flüchtlingen und die Verbesserung der Sicherheit an den EU-Außengrenzen. Auch die jüngste deutsche „Migrationswende“ scheint vom dänischen Kabinett Frederiksen II (SVM-Regierung) inspiriert, das von den Sozialdemokraten in Koalition mit den Moderaten und der Liberalen Partei geführt wird. Die zunehmend restriktive Asylpolitik, gepaart mit einem Fokus auf den vorübergehenden Schutz und rückkehrorientierte Maßnahmen, positioniert Dänemark als eine neue Art restriktives ‚Vorbild‘ in Nordeuropa.

Das "dänische Modell"

Seit der Jahrtausendwende hat Dänemark seine Asylpolitik verschärft, insbesondere seit 2015. Die restriktive Wende in der dänischen Asylpolitik wurde insbesondere durch ein als „Paradigmenwechsel“ bezeichnetes Gesetz aus dem Jahr 2019 zementiert. Demnach sollen Schutzsuchende grundsätzlich nur noch ein befristetes Aufenthaltsrecht erhalten, keine längerfristige oder dauerhafte Bleibeperspektive. Es wird regelmäßig geprüft, ob die Voraussetzungen für den Schutz weiterhin bestehen. Infolgedessen wurde allein im Jahr 2021 syrischen Geflüchteten in 453 Fällen der Asylstatus entzogen. Die meisten von ihnen konnten aufgrund des bis Dezember 2024 weiterhin herrschenden Bürgerkrieges nicht aus Dänemark abgeschoben werden und lebten in einer prekären Situation: Sie mussten in „Abschiebzentren“ verbleiben, ihre Rechte wurden stark eingeschränkt und sie unterlagen strikten Meldepflichten, wenn sie diese Zentren vorübergehend verlassen wollten. Einige entschieden sich deswegen, in andere EU-Staaten weiterzuziehen. Ebenso setzt Dänemark verstärkt darauf, dass Geflüchtete sich finanziell selbst versorgen müssen und schnellstmöglich in die Herkunftsländer zurückgeführt werden, Integrationsprogramme sind nachrangig. Dänemark war das erste europäische Land, welches 2019 Teile Syriens für sicher genug erklärte, um dorthin zurückzukehren.

Auch war Dänemark das erste europäische Land, welches 2021 Pläne verabschiedete, Asylverfahren in einen nicht-europäischen Drittstaat (Ruanda) auszulagern. Bislang zögert die dänische Regierung, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Stattdessen unterstützt sie auf europäischer Ebene die von einigen EU-Mitgliedstaaten befürwortete Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten.

Ermöglicht wurde der „Paradigmenwechsel“ in Dänemark durch das „Opt-Out“ des Landes vom Interner Link: Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS), weshalb es die in der EU geltenden Asylstandards nicht einhalten muss. Eine Ausnahme ist die Dublin-Verordnung, die auch in Dänemark gilt.

Der Paradigmenwechsel hat kurzzeitig zu einer etwas höheren Zahl an Abschiebungen aus Dänemark beigetragen. 2022 fiel die Zahl der Abschiebungen dann wieder unter dem Wert von 2017. Die Zahl der an die dänischen Kommunen verwiesenen Geflüchteten lag 2022 etwas über dem Wert von 2019. Insgesamt Externer Link: registrierte Dänemark im Jahr 2022 mit 4.475 Erstanträgen auf Asyl die höchste Zahl solcher Anträge seit 2016.

Quellen

Schwörer, Jakob; Birke Daniels, Kristina (2024): Erfolgsmodell oder Fallgrube? Die dänische sozialdemokratische Partei und ihre Migrationspolitik. Friedrich-Ebert-Stiftung. Externer Link: https://library.fes.de/pdf-files/bueros/stockholm/21030.pdf.

Vedsted-Hansen, Jens (2025): European governance of deterrence and containment. A legal perspective on novelties in European and Danish asylum policy. Journal of Ethnic and Migration Studies, 1-18 [Special issue herausgegeben von Sandberg, M., Schultz, J. und K. S. Kohl: The temporary turn in asylum: Researching the politics of deterrence in practice]. Externer Link: https://doi.org/10.1080/1369183X.2024.2441599.

Dieser Infokasten wurden von der Redaktion der bpb erstellt.

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ist Associate Professor der Europäischen Ethnologie und Direktorin des Centre for Advanced Migration Studies (AMIS) an der Universität Kopenhagen. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt auf den Auswirkungen des „temporary turn“ in der dänischen Einwanderungs- und Integrationspolitik auf den Alltag von Flüchtlingen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.