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Die Auslagerung der europäischen Asylpolitik | EU-Migrations- und Asylpolitik | bpb.de

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Die Auslagerung der europäischen Asylpolitik Herausforderungen und Risiken

Nadine Biehler Raphael Bossong

/ 9 Minuten zu lesen

Viele EU-Staaten wollen Asylverfahren in Drittstaaten auslagern. Dies ist mit zahlreichen rechtlichen, praktischen und ethischen Hürden verbunden. Eine Bestandsaufnahme und ein Plädoyer für einen erfolgversprechenderen Weg.

Die italienische Küstenwache bringt 12 Migranten zurück nach Italien, nachdem ein italienisches Gericht ihre Überführung nach Albanien für unrechtmäßig erklärt hatte. Dort wollte Italien eigentlich ihre Asylanträge prüfen (Aufnahmedatum: 19.10.2024). (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Nino Ratiani)

Die europäische Asylpolitik steht vor enormen Herausforderungen. Die Zahl der Asylanträge in der Europäischen Union ist in den letzten Jahren stark angestiegen – 2023 wurden über eine Million Anträge gestellt. Gleichzeitig wächst in vielen EU-Ländern der Zuspruch für Interner Link: rechtspopulistische Parteien, die insbesondere eine restriktivere Migrationspolitik fordern. In dieser Gemengelage setzen viele Politikerinnen und Politiker der Mitte zunehmend auf eine „Externalisierung“ von Asylpolitik. Darunter versteht man Ansätze, die darauf abzielen, Asylverfahren oder die Aufnahme von Schutzsuchenden in Länder außerhalb der EU zu verlagern. Das soll eine abschreckende Wirkung entfalten, zu sinkenden Antragszahlen führen und den weiteren Stimmenzuwachs Interner Link: rechtspopulistischer Parteien bremsen.

Solche Konzepte sind nicht neu. Bereits in den 1990er Jahren gab es erste Überlegungen, Asylanträge in ‚sicheren Drittstaaten‘ zu bearbeiten. Konkrete Vorschläge für Asylzentren in Nordafrika folgten in den 2000er Jahren, scheiterten aber an rechtlichen und praktischen Hürden. In jüngster Zeit haben Externalisierungspläne wieder Auftrieb erhalten. Das 2023 geschlossene Abkommen zwischen Italien und dem EU-Beitrittskandidaten Albanien zur Errichtung von Aufnahmezentren auf albanischem Boden markiert einen Wendepunkt: Erstmals soll ein solches Modell innerhalb Europas umgesetzt werden.

I. Modelle der Auslagerung

Es lassen sich grundsätzlich drei Typen von Externalisierungsansätzen unterscheiden:

  1. Extraterritoriale Asylverfahren: Hierbei werden Asylverfahren räumlich in Drittstaaten verlagert, während weiterhin das Recht des auslagernden Staates angewandt wird. Das Italien-Albanien-Abkommen folgt diesem Modell: Italien will Asylsuchende, die aus Seenot gerettet wurden, nach Albanien bringen und dort ihre Anträge nach italienischem Recht prüfen. Für ggf. gewährten Schutz ebenso wie für Rückführungen bleibt Italien zuständig.

  2. Übertragung der Verantwortung: Bei diesem Ansatz wird sowohl die rechtliche Verantwortung für die Verfahren an einen Drittstaat übertragen, als auch Asylsuchende dorthin überstellt. Ein Beispiel war der inzwischen aufgegebene „Ruanda-Plan“ Großbritanniens: Interner Link: Asylsuchende sollten nach Ruanda gebracht werden, wo sie nach ruandischem Recht Schutz beantragen und ggf. erhalten sollten.

  3. Rücküberstellungen in Transitstaaten: Hier geht es um Vereinbarungen zur Rückführung von Schutzsuchenden in Länder, die sie auf dem Weg nach Europa durchquert haben. Die Interner Link: EU-Türkei-Erklärung von 2016 folgte diesem Muster. Sie sah vor, dass irregulär in Griechenland angekommene Schutzsuchende in die Türkei zurückgeführt werden konnten, im Gegenzug nahm die EU syrische Flüchtlinge aus der Türkei auf.

II. Rechtliche und ethische Bedenken

Die Externalisierung von Asyl wirft schwerwiegende rechtliche und ethische Fragen auf. Während Befürworter:innen darin ein tatsächlich effektives Mittel zur Reduktion von Zuwanderung erkennen, argumentieren Kritiker:innen, dass solche Ansätze mit dem Völkerrecht und europäischen Menschenrechtsstandards kaum vereinbar sind.

So verpflichtet die Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention Unterzeichnerstaaten wie Deutschland zum Flüchtlingsschutz. Zwar muss nicht allen Schutzsuchenden Asyl auf dem eigenen Territorium gewährt werden, doch sind die Staaten an bestimmte Standards gebunden. Dazu gehört insbesondere das Non-Refoulement-Prinzip, das die Zurückweisung in Länder verbietet, wo Verfolgung oder unmenschliche Behandlung drohen. Auch die Interner Link: Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) macht deutlich, dass die auslagernden Staaten aufgrund der Ausübung von hoheitlicher Kontrolle für die Wahrung der Menschenrechte der Asylsuchenden verantwortlich bleiben, selbst wenn sie sie in Drittländer verbringen. Zu den Risiken zählen hierbei etwa die Unterbringung in Haftzentren, mangelhafte medizinische Versorgung oder fehlender Zugang zu rechtlicher Beratung und Beistand. Auch der Schutz besonders vulnerabler Gruppen wie Kindern oder Überlebenden von Folter ist in ausgelagerten Verfahren schwerer zu gewährleisten.

Ebenfalls herausfordernd ist die Frage, was mit abgelehnten Asylsuchenden geschieht. Trotz des physischen Transfers der Betroffenen existieren die bekannten Hürden für Rückkehr und Rückführungen auch in Drittstaaten weiterhin, wie etwa fehlende Identitätsnachweise oder eine mangelnde Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer. Es besteht daher die Gefahr, dass abgelehnte Asylsuchende entweder über längere Zeit inhaftiert werden oder in Drittstaaten ohne legalen Status oder gar Interner Link: staatenlos zurückbleiben, auch wenn es dagegen eine strenge EU-Gesetzgebung gibt.

Neben diesen rechtlichen Schwierigkeiten werden bei der Externalisierung von Asyl auch grundlegende Fragen zur moralischen Verantwortung der EU im globalen Flüchtlingsschutz aufgerufen. So widerspreche diese Auslagerung der (völkerrechtlichen) Verpflichtung zu Zusammenarbeit und solidarischer Lastenteilung, die sich beispielsweise aus der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Globalen Flüchtlingspakt ableitet. Ebenfalls wird eingewendet, alleine die Diskussion darum führe zu einer Dehumanisierung der Asylsuchenden, insofern sie als bloße „Probleme“ betrachtet werden, die ausgelagert werden können.

III. Hohe Kosten – geringe Zahlen

Eine zentrale Herausforderung ist die Suche nach kooperationswilligen Partnerstaaten. Abgesehen von Ruanda und Albanien sind die entsprechenden Bemühungen europäischer Staaten bisher erfolglos geblieben. Die Interner Link: Afrikanische Union hat extraterritoriale Aufnahmezentren auf dem Kontinent bereits explizit abgelehnt. Viele potenzielle Partnerländer fürchten negative Reaktionen in der eigenen Bevölkerung.

Auch die Kosten solcher Programme sind enorm. Das nie umgesetzte Ruanda-Abkommen kostete Großbritannien bereits 700 Millionen Pfund – umgerechnet rund 832 Millionen Euro. Das Italien-Albanien-Abkommen wird nun zum Testfall für die Machbarkeit solcher Modelle in Europa. Es sieht vor, männliche Asylbewerber, die aus Seenot gerettet wurden, in zwei Zentren in Albanien unterzubringen. Dort sollen italienische Behörden ihre Anträge prüfen. Italien veranschlagt für sein Albanien-Programm rund 650 Millionen Euro über fünf Jahre – für maximal 3.000 Plätze. Die Skalierbarkeit – also die Übertragbarkeit auf große Asylsuchendenzahlen – ist damit stark begrenzt. Selbst bei optimistischen Annahmen könnten in Albanien höchstens 36.000 Asylanträge pro Jahr bearbeitet werden – ein Bruchteil der in Italien verzeichneten oder gar EU-weiten Antragszahlen.

IV. Bewertung

Befürworter:innen der Externalisierung argumentieren, aufgrund ihrer abschreckenden Wirkung könne sie irreguläre Migration reduzieren, Todesfälle auf gefährlichen Fluchtrouten verhindern und das „Geschäftsmodell“ von Interner Link: Schleppern zerstören. Kritiker:innen halten dem entgegen, dass es keinerlei Belege dafür gebe, dass Abschreckung Flucht verhindere, sondern lediglich zur Verlagerung von Routen führe. Das einzige Beispiel für eine „erfolgreiche“ Auslagerung – im Sinne sinkender Ankunftszahlen – sei Australien: ein Inselstaat mit einzigartiger geografischer Lage, der keine in der Verfassung verankerten Grundrechte kennt und Interner Link: dessen Politik mit massiven Menschenrechtsverletzungen einherging.

Die EU-Türkei-Erklärung wiederum hat im Zusammenspiel mit anderen Faktoren zu einem Rückgang der Ankünfte auf den griechischen Inseln beigetragen. Gleichzeitig haben aber Interner Link: illegale Push-Backs und die Nutzung anderer Routen in die EU zugenommen. Es ist zu befürchten, dass auch künftige Externalisierungsversuche ähnliche Ausweicheffekte nach sich ziehen.

Mit einer Politik der Auslagerung ist die Untergrabung internationaler Asylschutznormen insgesamt zu befürchten. Denn in der Folge könnten auch ärmere Länder, die ohnehin die meisten Flüchtlinge aufnehmen, das Flüchtlingsrecht und die damit einhergehende Verantwortung immer mehr in Frage stellen. Sinkt die Aufnahmebereitschaft dieser Länder, bedeutet dies weniger Schutz und Sicherheit für Menschen auf der Flucht und mehr Elend, Hunger und Menschenrechtsverletzungen.

Auch die geopolitischen und sicherheitspolitischen Folgen müssen berücksichtigt werden und sind nicht zu unterschätzen. Bereits das Interesse an Externalisierung gibt Drittstaaten Hebel in die Hand, um politische Zugeständnisse von der EU zu fordern, wie etwa die von Italien in Aussicht gestellte Unterstützung für den EU-Beitritt von Albanien. Zudem besteht die Gefahr, dass eine noch rigorosere Abriegelung von Fluchtrouten in die EU zur gesellschaftlichen Destabilisierung in Drittstaaten führt, wie sich beispielsweise in gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber Zuwanderern in der Interner Link: Türkei oder Interner Link: Tunesien gezeigt hat.

V. Fazit

Die Externalisierung der Asylpolitik verspricht auf den ersten Blick eine Lösung für die Herausforderungen, mit denen Europa konfrontiert ist. Bei näherer Betrachtung überwiegen jedoch die rechtlichen, ethischen und praktischen Probleme, d.h.: Die enormen Kosten, die begrenzte Skalierbarkeit und die potenziell destabilisierenden Auswirkungen auf das internationale Schutzsystem. Langfristig erfolgversprechend für die EU und ihre Mitgliedstaaten können besonders folgende Punkte sein:

  • Die stringente Umsetzung des 2023 beschlossenen EU-Asylpakets unter konsequenter Achtung der Menschenrechte und der Genfer Flüchtlingskonvention.

  • Mehr legale Zugangswege für Schutzsuchende, etwa durch mehr Resettlement-Plätze und Ausweitung humanitärer Aufnahmeprogramme.

  • Verstärkte Unterstützung für Erstaufnahmeländer in Krisenregionen durch humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.

  • Die Minderung von Fluchtursachen durch Konfliktprävention und -bearbeitung.

  • Die Förderung von sicherer und geordneter Arbeitsmigration.

Auf diese Weise würde die EU an ihren Grundwerten festhalten und ihre Verantwortung für den Flüchtlingsschutz nicht auslagern – wodurch sie glaubwürdig für Menschenrechte und internationale Zusammenarbeit eintreten und gleichzeitig die Herausforderungen von Flucht und Migration bewältigen könnte.

Weitere Inhalte

ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe „Globale Fragen“ der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im BMZ-finanzierten Projekt „Strategische Flucht- und Migrationspolitik“. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit Flucht und Entwicklungspolitik, aber auch tagesaktueller Flucht- und Migrationspolitik.

Dr. Raphael Bossong ist Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die europäische Grenzsicherung und Auswirkungen der Migrationskrise auf die EU.