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Frankreich und die Einwanderung Im Land der Paradoxien

Matthieu Tardis

/ 3 Minuten zu lesen

Einwanderung hat Frankreichs Gesellschaft stark geprägt. Dennoch haben sich die Debatten über Migration in den letzten Jahren zunehmend polarisiert und eine Reihe von grundlegenden Paradoxien offenbart.

In Frankreich offenbaren sich mehrere Paradoxien in der Beziehung des Landes zur Einwanderung. (© picture-alliance, Westend61 | Hans Mitterer)

Wie in den meisten europäischen Ländern stehen auch in Frankreich Migrant/-innen und Flüchtlinge im Mittelpunkt heftiger öffentlicher und politischer Debatten. Diese Debatten finden jedoch jeweils in einem nationalen Kontext statt, der sich von Land zu Land stark unterscheiden kann. Im Falle Frankreichs offenbaren sie mehrere Paradoxien in der Beziehung des Landes zur Einwanderung.

Paradoxon 1: Eines der ältesten Einwanderungsländer Europas, aber im Bevölkerungsverhältnis kein Hauptzielland für Einwanderer

Frankreich hat eine längere Einwanderungsgeschichte als die meisten anderen Länder auf dem europäischen Kontinent. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg zogen viele deutsche Handwerker sowie belgische, italienische und polnische Arbeitskräfte nach Frankreich, ebenso wie Flüchtlinge aus Armenien, Osteuropa, Deutschland oder Spanien. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam eine wachsende Zahl von Personen aus den ehemaligen französischen Kolonien, die sich damals im Prozess der Interner Link: Dekolonisierung befanden. Migrationsbeziehungen entstanden zunächst zwischen der ehemaligen Kolonialmacht und einigen nordafrikanischen Ländern, später auch mit Staaten in Subsahara-Afrika.

Trotz der historischen Bedeutung der Einwanderung zählt Frankreich heute zu den OECD-Ländern mit der geringsten Zahl von Neuzuwandernden im Verhältnis zu seiner Bevölkerung. In absoluten Zahlen gehört Frankreich zwar nach wie vor zu den fünf wichtigsten Zielländern in Europa, aber die Migrationstrends in anderen westeuropäischen Ländern sind weitaus ausgeprägter. In den letzten Jahren machten internationale Studierende die größte Zahl an Eingewanderten aus, dicht gefolgt von Familienzusammenführungen – vor allem in Form des Nachzugs zu französischen Staatsangehörigen. Seit 2015 machen Asylsuchende und Flüchtlinge einen wachsenden Anteil der Zuwandernden aus. Sie verändern allmählich das Profil der Zuwanderung, da sie aus Ländern wie Afghanistan, Sudan oder Bangladesch kommen, die keine kolonialen Bezüge zu Frankreich haben.

Paradoxon 2: Strengere Einwanderungspolitik in einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft

Die Einwanderung in Vergangenheit und Gegenwart hat die Zusammensetzung der französischen Gesellschaft tiefgreifend verändert. Nahezu jeder vierte französische Bürger hat mindestens einen eingewanderten Großelternteil. Frankreich beherbergt auch die größten jüdischen und muslimischen Gemeinschaften in Europa. Gleichzeitig ist die Einwanderungs- und Asylpolitik immer strenger geworden. Wege zur Legalisierung des Aufenthalts wurden weitgehend geschlossen und Möglichkeiten zur Familienzusammenführung beschnitten. Ebenso ist es zu den wichtigsten Prioritäten geworden, die Zahl der Asylsuchenden zu verringern und verstärkt in die Herkunftsländer zurückzuführen, auch wenn die Bemühungen, was die Zahlen angeht, in der Praxis nur begrenzt erfolgreich waren.

Die Debatten verlagern sich allmählich in neue Bereiche: Erstens wird die angebliche Großzügigkeit des französischen Wohlfahrtssystems als Hauptanziehungsfaktor für Migrantinnen und Migranten angeführt. Zweitens werden sie häufig als Bedrohung der französischen Identität wahrgenommen oder als solche dargestellt – das gilt insbesondere für als Muslime wahrgenommene Drittstaatsangehörige. Diese Ansichten stehen jedoch in deutlichem Gegensatz zu zwei Kernprinzipien des französischen Gesellschaftsvertrags: Gleichheit und Universalismus.

Paradox 3: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem und die französische Einwanderungspolitik – zwei parallele Welten

Frankreich hat eine gemeinsame Antwort der EU auf die mit Migration verbundenen Herausforderungen schon immer befürwortet. Die französische EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2022 trug dazu bei, die Interner Link: Reform der Rechtsakte des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) voranzutreiben. Die Diskussionen über Einwanderung und Asyl im französischen Parlament beinhalten jedoch nur selten die EU-Politik. Dies zeigte sich auch mit Blick auf den jüngsten Gesetzentwurf zur Einwanderung, der im Dezember 2023 nach monatelangen hitzigen Debatten verabschiedet wurde. Der Migrations- und Asylpakt der EU tauchte in den migrationsbezogenen Debatten in Frankreich erst wieder auf, als das Europäische Parlament im April 2024 im Zusammenhang mit den bevorstehenden Europawahlen darüber abschließend abstimmen musste. Die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der französischen Wahllisten machten jedoch eher mit nationalen Einwanderungsfragen Wahlkampf, als dass sie die Debatten auf EU-Ebene nach Frankreich importierten. Dies dürfte daran liegen, dass die Komplexität des Migrations- und Asylpakts und generell die mit Einwanderung verbundenen Herausforderungen nicht zu der immer stärker polarisierten und konfliktreichen politischen Szene in Frankreich und zu den Forderungen nach einfachen, unkomplizierten Antworten passt.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel

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ist Mitbegründer und Co-Direktor von Synergies migrations, einem Think- und Do-Tank für Migrations- und Asylpolitik. Von 2015 bis 2023 arbeitete er als Research Fellow und Leiter des Zentrums für Migration und Staatsbürgerschaft des französischen Instituts für internationale Beziehungen (Ifri). Zu seinen Forschungsinteressen gehören die europäische Asyl- und Einwanderungspolitik, die globale Governance der Migration sowie die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten in Frankreich.