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Deutsche und europäische Migrationsabkommen | EU-Migrations- und Asylpolitik | bpb.de

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Deutsche und europäische Migrationsabkommen (K)ein Allheilmittel der Migrationssteuerung

David Kipp Anne Koch

/ 7 Minuten zu lesen

Seit langem gibt es Bestrebungen, Migration mittels Vereinbarungen mit Drittstaaten zu regulieren. Einen praktischen Mehrwert können diese entfalten, wenn sie langfristig und umfassend konzipiert sind.

2023 haben die Europäische Union und Tunesien eine engere Kooperation in Migrationsfragen vereinbart (Aufnahmedatum: 16.07.2023). (© picture-alliance, ANP)

Migration ist ein transnationales Phänomen. Unilaterale Steuerungsversuche von Zielländern wie Deutschland sind daher wenig erfolgsversprechend. Im Gegensatz hierzu eröffnen bilaterale und europäische Kooperationsvereinbarungen mit wichtigen Herkunfts- und Transitstaaten europäischen Regierungen die Möglichkeit, durch spezifische Sanktionen oder Anreize eigene migrationspolitische Prioritäten gezielt zu verfolgen. Dabei lässt sich schematisch zwischen kontrollorientierten und migrationsfördernden Zielen unterscheiden: Der erste Bereich umfasst die Minderung irregulärer Zuwanderung, eine verbesserte Kooperation mit Drittstaaten im Bereich Rückkehr sowie zunehmend auch die Auslagerung von Asylverfahren und Flüchtlingsschutz. Der zweite Bereich betrifft die Anwerbung von Arbeitskräften. Der Sammelbegriff „Migrationsabkommen“ umfasst im europäischen Kontext daher eine große Bandbreite unterschiedlicher Vereinbarungen, die von der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren und von der Europäischen Union seit Anfang der 2000er Jahre verhandelt wurden. Während frühere Varianten meist einen spezifischen migrationspolitischen Teilbereich – in der Regel Anwerbung oder Rückführung – regelten, finden sich in den Abkommen der letzten zwei Jahrzehnte vermehrt Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen migrationspolitischen Teilbereichen bzw. migrationspolitischen Belangen und gänzlich anderen Politikfeldern, zum Beispiel Entwicklungszusammenarbeit, Handel und Sicherheit.

Frühe „Ein-Themen“-Migrationsabkommen zu Anwerbung oder Rückführung

In der deutschen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg waren die ersten zwischenstaatlichen Abkommen mit Migrationsbezug die Interner Link: Gastarbeiter- bzw. Interner Link: Vertragsarbeiterabkommen. In deren Rahmen kamen zwischen 1955 und 1973 Hunderttausende Arbeitsmigrant:innen u.a. aus Italien, Griechenland und der Türkei in die BRD bzw. zwischen 1965 und 1989 aus sogenannten sozialistischen Bruderstaaten wie Polen, Ungarn, Vietnam und Mosambik in die ehemalige DDR, allerdings in deutlich geringerem Umfang. Diese aktive Rekrutierung aus dem Ausland endete in der BRD mit dem Anwerbestopp von 1973, in der DDR mit dem Mauerfall.

Im Kontext einer steigenden Zahl an Asylgesuchen in den 1990er Jahren hat die Bundesrepublik vermehrt Externer Link: bilaterale Rückübernahmeabkommen mit wichtigen Herkunftsländern von Schutzsuchenden vereinbart. Seit dem Jahr 2000 erhielt auch die EU zunehmende Kompetenzen im Bereich Rückkehr, im Zuge dessen Externer Link: 18 EU-Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten abgeschlossen wurden, mit sechs weiteren Staaten wurden informelle / rechtlich nicht bindende Rückübernahmevereinbarungen getroffen. Die Effekte dieser unterschiedlichen rückkehrpolitischen Instrumente blieb aber meist hinter den Erwartungen zurück.

Verknüpfung migrationspolitischer Teilbereiche (seit Mitte der 2000er)

Ausgehend von der Annahme, dass Herkunftsländer eher bei der Rückübernahme irregulärer Migrant:innen und abgelehnter Asylbewerber:innen kooperieren, wenn sie im Gegenzug Kooperationsangebote erhalten, begann die EU-Kommission Mitte der 2000er Jahre, ihre migrationspolitischen Interessen Externer Link: stärker in einen Gesamtansatz zu integrieren. Die Gemeinsame Agenda zu Migration und Mobilität (GAMM) bot den Rahmen für sogenannte Externer Link: EU-Mobilitätspartnerschaften mit Staaten in der EU-Nachbarschaft, die als wichtige Transitstaaten für irreguläre Zuwanderung in die EU galten – neben mehreren osteuropäischen Staaten waren dies insbesondere Tunesien und Marokko. Im Gegenzug für Zusagen, irreguläre Abwanderung aus dem eigenen Staatsgebiet einzuschränken und bei der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger zu kooperieren, stellten diese Vereinbarungen Erleichterungen im Bereich der legalen Migration in Aussicht, etwa Visa für Arbeitsmigrant:innen oder Studierende. Parallel hierzu wurden mit den weiter entfernt liegenden Staaten Indien, Äthiopien und Nigeria sogenannte Gemeinsame Agenden zu Migration und Mobilität vereinbart. Diese verfolgten ähnliche Ziele, strebten aber nicht die gleiche rechtliche Verbindlichkeit wie die Mobilitätspartnerschaften an. Auch die Mobilitätspartnerschaften und Migrationsagenden verfehlten weitgehend ihr Ziel, irreguläre Migration zu reduzieren und mehr Rückführungen durchzusetzen. Dies lag unter anderem daran, dass die versprochenen Angebote im Bereich legaler Zuwanderung nicht von der EU-Kommission mit Leben gefüllt werden können. Denn die EU darf nicht über Zuwanderungserlaubnisse entscheiden; diese können nur von den einzelnen Mitgliedstaaten erteilt werden, die dies im Rahmen von EU-Kooperationsinstrumenten aber nur zögerlich tun.

Fokussierung auf Fluchtursachenminderung (2015-2019)

Unter dem Eindruck der umfangreichen Fluchtzuwanderung in die EU in den Jahren 2015/2016 rückte für die europäische Seite der Aspekt der Fluchtursachenminderung ins Zentrum migrationsbezogener Vereinbarungen mit Drittstaaten. Das Instrument der Mobilitätspartnerschaften wurde folglich vom sogenannten EU Migration Partnership Framework abgelöst, welches das Handlungsfeld Migration vollumfänglich in die EU-Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit (EZ) integrierte. Zu den in diesem Kontext entwickelten EZ-Maßnahmen gehörten langfristige Strategien für die Integration von Geflüchteten und die Stärkung von Aufnahmeländern, etwa durch den Ausbau von Strukturen und Kapazitäten zur Unterstützung von Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung. Gleichzeitig lag ein inhaltlicher Schwerpunkt der in diesem Rahmen geschlossenen EU-Migrationspartnerschaften mit Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal im Bereich der Interner Link: Migrationskontrolle. Anstelle von Angeboten zu legalen Zuwanderungswegen sollten erhebliche finanzielle Anreize Partnerländer zur Kooperation in den Bereichen Rückkehr und Reduzierung irregulärer Migration bewegen. Auch diese Ansätze Externer Link: blieben in ihrer Wirkung beschränkt, gingen aber mit einer zunehmenden Interner Link: Auslagerung des europäischen Grenzschutzes auf den afrikanischen Kontinent einher.

Refokussierung auf Transitstaaten (seit 2020)

Seit Beginn der Amtszeit von Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin im Dezember 2019 ist eine zunehmende Refokussierung auf migrationspolitische Vereinbarungen mit wichtigen Transitländern zu beobachten, die an vorherige Ansätze einzelner Mitgliedstaaten wie Spanien (in Bezug auf die Maghreb-Länder) oder Italien (in Bezug auf Tunesien und Libyen) anknüpfen. Dabei werden migrationspolitische Interessen in einen größeren Kooperationskontext gestellt und systematisch mit anderen Politikbereichen wie Handel, Digitalisierung, Energie und Sicherheit gekoppelt. So hat die EU-Kommission seit Mitte 2023 Vereinbarungen mit Tunesien, Mauretanien, Ägypten und Libanon geschlossen, die darauf abzielen, irreguläre Weiterreisen aus diesen Ländern in die EU zu unterbinden. Parallel hierzu wird sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene darüber gestritten, ob und unter welchen Voraussetzungen Asylsuchende zur Durchführung ihres Verfahrens und zur möglichen Schutzgewährung Externer Link: in sogenannte sichere Drittstaaten ausgelagert werden können.

Externer Link: Die Zusammenarbeit mit autokratischen Regimen wird mittlerweile als notwendiger Preis in Kauf genommen, selbst wenn hiermit eine aus menschenrechtlicher Perspektive problematische Aufwertung dieser Regime einhergeht. Wenig Aufmerksamkeit bekommen auch die negativen Auswirkungen von kurzfristigen EU-Migrationsdeals auf die Sicherheit und die Menschenrechte von Geflüchteten und Migrant:innen in Ländern wie Interner Link: Libyen oder Interner Link: Tunesien. Eine rote Linie besteht bisher noch hinsichtlich der Aushandlung von Rückübernahmeabkommen mit Verfolgerstaaten wie Externer Link: Syrien und Interner Link: Afghanistan. Allerdings werden hier Behelfskonstruktionen unter Einbezug von Drittstaaten gewählt. So werden etwa Abschiebungen von Straftätern aus Deutschland nach Afghanistan mit Hilfe des Emirats Katar durchgesetzt.

Neue bilaterale Migrationsabkommen Deutschlands (seit 2022)

Im Gegensatz zu den einseitig auf Restriktion ausgerichteten migrationsbezogenen Vereinbarungen auf EU-Ebene, verfolgt das 2023 neu geschaffene Amt des Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen einen Externer Link: ganzheitlichen Ansatz: Die im Koalitionsvertrag angekündigten praxistauglichen und partnerschaftlichen Vereinbarungen mit Transit- und Herkunftsländern sollen sowohl die Anwerbung von Arbeitskräften als auch die Kooperation im Bereich Rückkehr stärken. Bisher wurden in diesem Rahmen verbindliche Abkommen mit Indien, Georgien, Kenia und Usbekistan sowie rechtlich nicht bindende Vereinbarungen mit Marokko und Kolumbien geschlossen. Weitere Sondierungs¬gespräche bzw. Verhandlungen laufen unter anderem mit Moldau, Kirgisistan, Ghana und den Philippinen (Stand: September 2024). Während von deutscher Seite beide Ziele – Anwerbung und Rückkehr – gleichermaßen relevant sind, hoffen die jeweiligen Partnerländer meist auf einen deutlichen Zuwachs legaler Arbeitsmigration in Richtung Deutschland, etwa, weil Rücküberweisungen ein wichtiges Element ihrer Entwicklungsstrategie darstellen. Angesichts der Tatsache, dass der heutige deutsche Rechtsrahmen – anders als in der Gastarbeiterära – es nicht erlaubt, im Rahmen von Migrationsabkommen länderspezifische Zuwanderungskontingente in Aussicht zu stellen, ist hier sorgfältiges Erwartungsmanagement wichtig. Gleichzeitig gilt, dass Deutschland Interner Link: in Zeiten demographischer Alterung mit anderen EU-Mitgliedstaaten um ausländische Arbeitskräfte konkurriert. So hat beispielsweise die indische Regierung in den letzten Jahren mit sieben verschiedenen EU-Mitgliedstaaten jeweils eigene Externer Link: bilaterale Migrationsabkommen geschlossen, die die Interner Link: Zuwanderung indischer Arbeitskräfte beinhalten.

Von Symbolpolitik zu praktischer Umsetzung

Angesichts des hohen Stellenwerts migrationspolitischer Fragen auf der aktuellen politischen Agenda hat die Unterzeichnung entsprechender Vereinbarungen mit Partnerländern eine wichtige innenpolitische Funktion: Sie dienen dazu, öffentlichkeitswirksam Tatkraft und Umsetzungswillen zu signalisieren. Eine wirksame Umsetzung der in Schriftform festgehaltenen Ziele ist aber meist voraussetzungsvoll. So scheitern in Deutschland sowohl die Rückführung von abgelehnten Asylsuchenden und Migrant:innen ohne gültigen Aufenthaltstitel als auch die Anwerbung dringend benötigter Arbeitskräfte im Ausland oft an praktischen Hürden. Hierzu zählen komplexe bürokratische Vorgaben, eine kleinteilige föderale Aufgabenverteilung und personelle Engpässe in Botschaften und Ausländerbehörden. Gerade im Bereich Rekrutierung stellen zudem die häufig unzulängliche Kompatibilität von Ausbildungssystemen, der Spracherwerb sowie die häufig langen Wartezeiten bei der Anerkennung von Qualifikationen und der Visavergabe zusätzliche Herausforderungen dar. Um diese zu bewältigen, bedarf es unter anderem einer stärkeren Verzahnung deutscher Außenstrukturen (wie Botschaften, Außenhandelskammer und Goethe-Institute), einer systematischen Einbindung von an Arbeitsmigration interessierten Unternehmen sowie einer besseren Nutzung und Kontrolle Externer Link: privater Rekrutierungsakteure. Grundsätzlich gilt: Für den Aufbau einer tragfähigen Migrationskooperation reicht der erfolgreiche Abschluss eines Abkommens nicht aus. Entscheidend ist, dass die Übereinkunft dauerhaft partnerschaftlich begleitet wird und dabei auch Interner Link: die Rolle von Migration im Entwicklungsmodell des jeweiligen Partnerlandes berücksichtigt.

Zum Thema

Fussnoten

Fußnoten

  1. Es handelt sich bei den 30 bilateralen Abkommen neben ausgewählten EU-Mitgliedstaaten um Vereinbarungen mit folgenden Ländern: Albanien, Algerien, Armenien, Bosnien-Herzegowina, Georgien, Guinea, Kasachstan, Kosovo, Marokko, Nordmazedonien, Norwegen, Schweiz, Serbien, Südkorea, Syrien und Vietnam.

  2. EU-Rückübernahmeabkommen wurden mit Hong Kong, Macao, Sri Lanka, Albanien, Russische Föderation, Ukraine, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Moldau, Pakistan, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Türkei, Cabo Verde und Belarus geschlossen; rechtlich unverbindliche Vereinbarungen mit Afghanistan, Guinea, Bangladesch, Äthiopien, Gambia und Côte d'Ivoire.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autoren/-innen: David Kipp, Anne Koch für bpb.de

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Weitere Inhalte

ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Er arbeitet dort in einem Forschungsprojekt zum Thema „Strategische Flucht- und Migrationspolitik“, insbesondere zu Fragen der EU-Flüchtlingspolitik und neuen Ansätzen zur Förderung von legaler Migration.

Dr. Anne Koch leitet das BMZ-finanzierte Forschungsprojekt „Strategische Flucht- und Migrationspolitik“ bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu Ihren Schwerpunkten zählen globale Migrationsgovernance, deutsche und europäische Flucht- und Migrationspolitik sowie Binnenvertreibung.