Migration ist ein transnationales Phänomen. Unilaterale Steuerungsversuche von Zielländern wie Deutschland sind daher wenig erfolgsversprechend. Im Gegensatz hierzu eröffnen bilaterale und europäische Kooperationsvereinbarungen mit wichtigen Herkunfts- und Transitstaaten europäischen Regierungen die Möglichkeit, durch spezifische Sanktionen oder Anreize eigene migrationspolitische Prioritäten gezielt zu verfolgen. Dabei lässt sich schematisch zwischen kontrollorientierten und migrationsfördernden Zielen unterscheiden: Der erste Bereich umfasst die Minderung irregulärer Zuwanderung, eine verbesserte Kooperation mit Drittstaaten im Bereich Rückkehr sowie zunehmend auch die Auslagerung von Asylverfahren und Flüchtlingsschutz. Der zweite Bereich betrifft die Anwerbung von Arbeitskräften. Der Sammelbegriff „Migrationsabkommen“ umfasst im europäischen Kontext daher eine große Bandbreite unterschiedlicher Vereinbarungen, die von der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren und von der Europäischen Union seit Anfang der 2000er Jahre verhandelt wurden. Während frühere Varianten meist einen spezifischen migrationspolitischen Teilbereich – in der Regel Anwerbung oder Rückführung – regelten, finden sich in den Abkommen der letzten zwei Jahrzehnte vermehrt Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen migrationspolitischen Teilbereichen bzw. migrationspolitischen Belangen und gänzlich anderen Politikfeldern, zum Beispiel Entwicklungszusammenarbeit, Handel und Sicherheit.
Frühe „Ein-Themen“-Migrationsabkommen zu Anwerbung oder Rückführung
In der deutschen Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg waren die ersten zwischenstaatlichen Abkommen mit Migrationsbezug die
Im Kontext einer steigenden Zahl an Asylgesuchen in den 1990er Jahren hat die Bundesrepublik vermehrt Externer Link: bilaterale Rückübernahmeabkommen mit wichtigen Herkunftsländern von Schutzsuchenden vereinbart.
Verknüpfung migrationspolitischer Teilbereiche (seit Mitte der 2000er)
Ausgehend von der Annahme, dass Herkunftsländer eher bei der Rückübernahme irregulärer Migrant:innen und abgelehnter Asylbewerber:innen kooperieren, wenn sie im Gegenzug Kooperationsangebote erhalten, begann die EU-Kommission Mitte der 2000er Jahre, ihre migrationspolitischen Interessen Externer Link: stärker in einen Gesamtansatz zu integrieren. Die Gemeinsame Agenda zu Migration und Mobilität (GAMM) bot den Rahmen für sogenannte Externer Link: EU-Mobilitätspartnerschaften mit Staaten in der EU-Nachbarschaft, die als wichtige Transitstaaten für irreguläre Zuwanderung in die EU galten – neben mehreren osteuropäischen Staaten waren dies insbesondere Tunesien und Marokko. Im Gegenzug für Zusagen, irreguläre Abwanderung aus dem eigenen Staatsgebiet einzuschränken und bei der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger zu kooperieren, stellten diese Vereinbarungen Erleichterungen im Bereich der legalen Migration in Aussicht, etwa Visa für Arbeitsmigrant:innen oder Studierende. Parallel hierzu wurden mit den weiter entfernt liegenden Staaten Indien, Äthiopien und Nigeria sogenannte Gemeinsame Agenden zu Migration und Mobilität vereinbart. Diese verfolgten ähnliche Ziele, strebten aber nicht die gleiche rechtliche Verbindlichkeit wie die Mobilitätspartnerschaften an. Auch die Mobilitätspartnerschaften und Migrationsagenden verfehlten weitgehend ihr Ziel, irreguläre Migration zu reduzieren und mehr Rückführungen durchzusetzen. Dies lag unter anderem daran, dass die versprochenen Angebote im Bereich legaler Zuwanderung nicht von der EU-Kommission mit Leben gefüllt werden können. Denn die EU darf nicht über Zuwanderungserlaubnisse entscheiden; diese können nur von den einzelnen Mitgliedstaaten erteilt werden, die dies im Rahmen von EU-Kooperationsinstrumenten aber nur zögerlich tun.
Fokussierung auf Fluchtursachenminderung (2015-2019)
Unter dem Eindruck der umfangreichen Fluchtzuwanderung in die EU in den Jahren 2015/2016 rückte für die europäische Seite der Aspekt der Fluchtursachenminderung ins Zentrum migrationsbezogener Vereinbarungen mit Drittstaaten. Das Instrument der Mobilitätspartnerschaften wurde folglich vom sogenannten EU Migration Partnership Framework abgelöst, welches das Handlungsfeld Migration vollumfänglich in die EU-Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit (EZ) integrierte. Zu den in diesem Kontext entwickelten EZ-Maßnahmen gehörten langfristige Strategien für die Integration von Geflüchteten und die Stärkung von Aufnahmeländern, etwa durch den Ausbau von Strukturen und Kapazitäten zur Unterstützung von Flüchtlingen und lokaler Bevölkerung. Gleichzeitig lag ein inhaltlicher Schwerpunkt der in diesem Rahmen geschlossenen EU-Migrationspartnerschaften mit Äthiopien, Mali, Niger, Nigeria und Senegal im Bereich der
Refokussierung auf Transitstaaten (seit 2020)
Seit Beginn der Amtszeit von Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin im Dezember 2019 ist eine zunehmende Refokussierung auf migrationspolitische Vereinbarungen mit wichtigen Transitländern zu beobachten, die an vorherige Ansätze einzelner Mitgliedstaaten wie Spanien (in Bezug auf die Maghreb-Länder) oder Italien (in Bezug auf Tunesien und Libyen) anknüpfen. Dabei werden migrationspolitische Interessen in einen größeren Kooperationskontext gestellt und systematisch mit anderen Politikbereichen wie Handel, Digitalisierung, Energie und Sicherheit gekoppelt. So hat die EU-Kommission seit Mitte 2023 Vereinbarungen mit Tunesien, Mauretanien, Ägypten und Libanon geschlossen, die darauf abzielen, irreguläre Weiterreisen aus diesen Ländern in die EU zu unterbinden. Parallel hierzu wird sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene darüber gestritten, ob und unter welchen Voraussetzungen Asylsuchende zur Durchführung ihres Verfahrens und zur möglichen Schutzgewährung Externer Link: in sogenannte sichere Drittstaaten ausgelagert werden können.
Externer Link: Die Zusammenarbeit mit autokratischen Regimen wird mittlerweile als notwendiger Preis in Kauf genommen, selbst wenn hiermit eine aus menschenrechtlicher Perspektive problematische Aufwertung dieser Regime einhergeht. Wenig Aufmerksamkeit bekommen auch die negativen Auswirkungen von kurzfristigen EU-Migrationsdeals auf die Sicherheit und die Menschenrechte von Geflüchteten und Migrant:innen in Ländern wie
Neue bilaterale Migrationsabkommen Deutschlands (seit 2022)
Im Gegensatz zu den einseitig auf Restriktion ausgerichteten migrationsbezogenen Vereinbarungen auf EU-Ebene, verfolgt das 2023 neu geschaffene Amt des Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen einen Externer Link: ganzheitlichen Ansatz: Die im Koalitionsvertrag angekündigten praxistauglichen und partnerschaftlichen Vereinbarungen mit Transit- und Herkunftsländern sollen sowohl die Anwerbung von Arbeitskräften als auch die Kooperation im Bereich Rückkehr stärken. Bisher wurden in diesem Rahmen verbindliche Abkommen mit Indien, Georgien, Kenia und Usbekistan sowie rechtlich nicht bindende Vereinbarungen mit Marokko und Kolumbien geschlossen. Weitere Sondierungs¬gespräche bzw. Verhandlungen laufen unter anderem mit Moldau, Kirgisistan, Ghana und den Philippinen (Stand: September 2024). Während von deutscher Seite beide Ziele – Anwerbung und Rückkehr – gleichermaßen relevant sind, hoffen die jeweiligen Partnerländer meist auf einen deutlichen Zuwachs legaler Arbeitsmigration in Richtung Deutschland, etwa, weil Rücküberweisungen ein wichtiges Element ihrer Entwicklungsstrategie darstellen. Angesichts der Tatsache, dass der heutige deutsche Rechtsrahmen – anders als in der Gastarbeiterära – es nicht erlaubt, im Rahmen von Migrationsabkommen länderspezifische Zuwanderungskontingente in Aussicht zu stellen, ist hier sorgfältiges Erwartungsmanagement wichtig. Gleichzeitig gilt, dass Deutschland
Von Symbolpolitik zu praktischer Umsetzung
Angesichts des hohen Stellenwerts migrationspolitischer Fragen auf der aktuellen politischen Agenda hat die Unterzeichnung entsprechender Vereinbarungen mit Partnerländern eine wichtige innenpolitische Funktion: Sie dienen dazu, öffentlichkeitswirksam Tatkraft und Umsetzungswillen zu signalisieren. Eine wirksame Umsetzung der in Schriftform festgehaltenen Ziele ist aber meist voraussetzungsvoll. So scheitern in Deutschland sowohl die Rückführung von abgelehnten Asylsuchenden und Migrant:innen ohne gültigen Aufenthaltstitel als auch die Anwerbung dringend benötigter Arbeitskräfte im Ausland oft an praktischen Hürden. Hierzu zählen komplexe bürokratische Vorgaben, eine kleinteilige föderale Aufgabenverteilung und personelle Engpässe in Botschaften und Ausländerbehörden. Gerade im Bereich Rekrutierung stellen zudem die häufig unzulängliche Kompatibilität von Ausbildungssystemen, der Spracherwerb sowie die häufig langen Wartezeiten bei der Anerkennung von Qualifikationen und der Visavergabe zusätzliche Herausforderungen dar. Um diese zu bewältigen, bedarf es unter anderem einer stärkeren Verzahnung deutscher Außenstrukturen (wie Botschaften, Außenhandelskammer und Goethe-Institute), einer systematischen Einbindung von an Arbeitsmigration interessierten Unternehmen sowie einer besseren Nutzung und Kontrolle Externer Link: privater Rekrutierungsakteure. Grundsätzlich gilt: Für den Aufbau einer tragfähigen Migrationskooperation reicht der erfolgreiche Abschluss eines Abkommens nicht aus. Entscheidend ist, dass die Übereinkunft dauerhaft partnerschaftlich begleitet wird und dabei auch