Die Diskussionen über die Funktionen von Sportvereinen für die soziale Integration haben in Deutschland eine lange Tradition. Sie haben allerdings seit den 2000er Jahren im Lichte laufender migrationspolitischer Debatten an Dynamik gewonnen. Dabei wird stets die Relevanz des verbandlichen organisierten Vereinssports für „gelingende“ Integrationsprozesse von Personen mit Interner Link: Migrationshintergrund in den Mittelpunkt gestellt. In diesem Kontext dominierte lange Zeit die Vorstellung, dass Integrationsprozesse im Rahmen von Sportvereinsmitgliedschaften u.a. deshalb „automatisch“ gelängen, weil die sportbezogene Alltagswelt ein primär körperlich geprägtes Sozialsystem darstelle, das alle Sprachen spräche und insofern niederschwellig zugänglich sei. Zudem würden es weltweit verbreitete sportartenspezifische Regelwerke jedem*r erlaubten, sich spielerisch in einem geschützten Raum zu erproben. Von diesem funktionalen Integrationsverständnis ist in den fach- und verbandspolitischen Debatten der letzten Jahre abgerückt worden. Stattdessen wird zunehmend von einem intentionalen Integrationsverständnis ausgegangen: Demnach bedürfe es zielgruppenorientierter Arrangements, um entsprechende Bedingungen des Gelingens sozialer Integrationsprozesse im Sportverein zu eröffnen. Zahlreiche Integrationsmaßnahmen sind vor diesem Hintergrund in der Vereinspraxis umgesetzt worden, die darauf zielen, spezifische Angebote für Personen mit Migrationshintergrund und zuletzt speziell auch für Geflüchtete zu machen. Der Beitrag gibt einen skizzenhaften Einblick in ausgewählte Diskussionen, Thesen und Befunde zu diesem Thema.
Quantitative und qualitative Argumente
Die mehr als 86.000 Sportvereine sind wegen ihrer flächendeckenden Verbreitung in Deutschland bedeutsame Orte des zivilgesellschaftlichen Alltagslebens. Zugleich bildet der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als bundesweiter Dachverband des vereins- und verbandsorganisierten Sports mit seinen knapp 28 Millionen Mitgliedschaften die größte Personenvereinigung in Deutschland. Diese hohen Zahlen stehen in einem engen Zusammenhang mit qualitativen Funktionszuschreibungen; so sehen Sportverbände, staatliche und politische Akteure in Sportvereinen „Integrationsmotoren“ in der Lebenswelt der Bevölkerung.
Staatliche Förderung von Sportvereinen
Im Lichte dieser Annahmen fördern staatliche Akteure Integrationsprogramme und -maßnahmen des verbandlich organisierten Vereinssports. Grundlegend dafür ist das Konzept der „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“, das sich als ein (Interner Link: neokorporatistisches) Beziehungsgeflecht von Leistung und Gegenleistung entwickelt hat. Die integrationspolitischen Erwartungen, die an Sportvereine gerichtet werden, gehen dabei über deren eigentlichen Organisationszweck hinaus und stützen sich auf die grundlegende sportpolitische Leitidee von einem „Sport für alle“. Doch auch der organisierte Sport selbst signalisiert damit, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Diese Verantwortungsübernahme verbindet er mit der Erwartung, dass der Staat entsprechende Programme und Maßnahmen fördert. Und der Staat wiederum legitimiert seine Interner Link: subsidiäre Förderung von Sportvereinen mit den ihnen zugeschriebenen Integrationsfunktionen.
Integration in und durch Sport
Diese Integrationsfunktionen werden unter den beiden Perspektiven einer „Integration in den Sport“ und einer „Integration durch Sport“ thematisiert. Dabei wird einerseits argumentiert, dass sich Sportvereinsmitglieder in ihre „Wahl-Gemeinschaft“ wie z. B. die jeweilige Sportgruppe oder den Verein als Ganzes sozial integrierten. Andererseits wird angenommen, dass sich Mitglieder in den Sportvereinen Fähigkeiten und Orientierungen – wie etwa bürgerschaftliche Kompetenzen – aneigneten, die sie befähigten, auch in anderen gesellschaftlichen Handlungszusammenhängen – beispielsweise in Schule oder Beruf – verständiger und erfolgreicher zu agieren. Wie viel Gewicht diesen beiden Perspektiven in der Praxis beigemessen wird, lässt z.B. das staatlicherseits seit Jahrzehnten geförderte Bundesprogramm „Integration durch Sport“ (IdS) des DOSB erkennen.
Zwar gibt es zahlreiche Arbeiten, die den Transfer von im Sportverein erworbenen Fähigkeiten und Orientierungen in andere gesellschaftliche Bereiche theoretisch plausibel herleiten – letztlich kann „der empirische Forschungsstand aber keinesfalls befriedigende Evidenz für diese Effekte liefern“. Ungeachtet dessen bleibt aber auch der Befund, dass „durch Sport die Bedingungen der Möglichkeit für eine verbesserte Integration geschaffen werden“.
Soziale Ungleichheiten
Vor diesem Hintergrund werden in der Forschung u. a. die Voraussetzungen für den Zugang zur Mitgliedschaft in einem Sportverein in den Blick genommen. Erhebungen haben wiederholt ergeben, dass Personen mit Migrationshintergrund in Sportvereinen unterrepräsentiert sind. Das gilt insbesondere für Mädchen und Frauen. Diese Unterrepräsentation wird nicht nur als ein Resultat kultureller Dimensionen interpretiert (z. B. Körperbilder, Wertorientierungen, Bekleidungsnormen oder Sport[arten]präferenzen). Empirische Studien machen auch soziale Ungleichheiten beim Zugang zu Sportvereinen sichtbar, insofern als „diese Unterrepräsentation […] u. a. auch sozioökonomische Gründe [hat]. Insbesondere weibliche Heranwachsende sind seltener Mitglieder in einem Sportverein, wenn sie aus bildungsfernen und einkommensschwachen Elternhäusern kommen. Das betrifft Mädchen mit und ohne Migrationshintergrund“.
Soziale Schließungen
Damit rückt der Aspekt der sozialen Schließung von Sportvereinen in den Vordergrund – denn „Wahl-Gemeinschaften“ ziehen stets auch Grenzen nach außen. So können sich bei formal sozial offenen Vereinen soziale Schließungen über subtilere Mechanismen vollziehen, die z. B. in der Vereinskultur (Traditionen, Wertvorstellungen etc.) begründet sein können. Insoweit erscheint es sinnvoll, Fragen der Integrationsfunktionen mit Fragen der sozialen Schließungen von Sportvereinen eng zu verknüpfen und damit die Perspektive auf den Zusammenhang von Integration und Sport gesellschaftspolitisch zu weiten. In diesem Kontext gewinnen auch laufende Diskussionen wie etwa jene über eine „interkulturelle Öffnung“ von Sportvereinen an Bedeutung für die Sportvereinsentwicklung in Deutschland.