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Die Covid-19-Pandemie und die Folgen für Migration und Integration

Maria Hofbauer Pérez

/ 12 Minuten zu lesen

Die Covid-19-Pandemie hat vorübergehend zu einem Rückgang der Migration nach Deutschland geführt und Migrant*innen und Geflüchtete vor gesellschaftlich und politisch nicht zu vernachlässigende Herausforderungen gestellt.

Migrant:innen und Geflüchtete sind durch teilweise prekäre Arbeits- und Wohnbedingungen mit unzureichenden Hygienemaßnahmen einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. (© picture-alliance, Willfried Gredler-Oxenbauer / picturedesk.com | Willfried Gredler-Oxenbauer)

Im letzten Quartal 2019 traten die ersten Infektionen mit dem Covid-19-Virus im chinesischen Wuhan auf. Das Virus breitete sich schnell weltweit aus. Im Januar 2020 wurden erste Fälle in Deutschland bekannt. Mehr als zweieinhalb Jahre später stellt die Covid-19-Pandemie weiterhin eine Herausforderung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft dar. Vor allem zu Beginn der Pandemie wurden in Deutschland einschränkende Maßnahmen getroffen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Darunter fielen zum Beispiel Kontaktbeschränkungen sowie die Einschränkung des öffentlichen Lebens. Weltweit kam es zu Grenzschließungen sowie Reisebeschränkungen.

Viele der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Maßnahmen erfuhren große mediale Aufmerksamkeit. Weniger im Fokus waren die Folgen für Geflüchtete und Migrant*innen, obwohl diese vor besonderen Herausforderungen gestellt wurden. In häufig beengten Wohnsituationen – etwa in Flüchtlingslagern oder Massenunterkünften für Arbeitsmigrant*innen – waren sie einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Ein eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung erhöhte zudem das Risiko eines schweren Verlaufs. Darüber hinaus verloren Migrant*innen auch häufiger ihren Job als Einheimische, waren also von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie stärker betroffen als Nicht-Migrant*innen, zumal sie in vielen Ländern von staatlichen Hilfsprogrammen ausgeschlossen blieben. Gleichzeitig wurde während der Pandemie deutlich, dass Migrant*innen häufig in systemrelevanten Berufen arbeiten, etwa im Gesundheitssektor.

Dieser Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die Entwicklung der globalen Migrationsbewegungen im Zuge der Pandemie. Exemplarisch zeigt er anschließend die wirtschaftlichen und sozialen Folgen für Geflüchtete und Migrant*innen in Deutschland auf. Der Fokus des Beitrags liegt dabei auf den Entwicklungen der ersten beiden Jahre der Pandemie (2020/2021).

Hinweis: Aktuelle Entwicklungen durch den Krieg gegen die Ukraine

Der Interner Link: russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Situation im dritten Jahr der Corona-Pandemie mit Blick auf Migrationsbewegungen innerhalb Europas und die gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten in Deutschland verändert. So sind 2022 in sehr kurzer Zeit mehrere hunderttausend Menschen aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Sie genießen – im Gegensatz zu Asylsuchenden – einen Interner Link: privilegierten Status ("Massenzustromrichtlinie"), der ihnen eine befristete Aufenthalts- sowie Arbeitserlaubnis einräumt. Zudem können sie Interner Link: Leistungen nach Sozialgesetzbuch beziehen und Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung erhalten. Barrieren, die im Zuge der Corona-Pandemie für viele Geflüchtetengruppen zu Einschränkungen der Mobilität und gesundheitlichen Versorgung geführt haben, konnten so für ukrainische Kriegsflüchtlinge verringert werden. Gleichzeitig führt der umfangreiche Zuzug der Kriegsflüchtlinge aktuell zur Belastung von Kommunen bei der Unterbringung, Versorgung und Integration geflüchteter Menschen. Der schnelle Arbeitsmarktzugang wirkt sich zudem auf die Arbeitsmarktzahlen aus.

Migrationsgeschehen während der Covid-19-Pandemie

Grenzschließungen, Einreisestopps für Drittstaatenangehörige, die zeitweilige Schließung von Visastellen, der Rückgang bei der Vermittlung von Arbeitskräften aus dem Ausland sowie die Reduktion des Flugverkehrs wirkten sich weltweit auf Migrationsbewegungen (z.B. Arbeitsmigration und Familiennachzug, aber auch Flucht) aus – vor allem zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020. Zwar dokumentierten die Vereinten Nationen auch 2020 einen Anstieg der Zahl internationaler Migrant*innen im Vergleich zum Vorjahr – von 272 Millionen (2019) auf 281 Millionen (2020). Dieser Anstieg fiel jedoch schätzungsweise um zwei Millionen niedriger aus als ursprünglich erwartet. Die dauerhafte Einwanderung in die Mitgliedsländer der Interner Link: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ging um mindestens 30 Prozent zurück und sank damit auf einen Tiefstand seit 2003. Am stärksten von diesem Rückgang war die Familienmigration betroffen.

(© bpb)

Auch grenzüberschreitende Fluchtbewegungen verlangsamten sich im Zuge der Pandemie. 2020 suchten rund 1,5 Millionen weniger Menschen Schutz im Ausland, als dies vom Interner Link: UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) erwartet worden war. Exemplarisch lässt sich diese Entwicklung anhand der monatlichen Zahl der Ankünfte von Geflüchteten und Migrant*innen darstellen, die über den See- oder Landweg nach Europa gelangten (siehe Abbildung 1). Der stärkste Einbruch der Ankunftszahlen fällt in etwa mit der ersten Infektionswelle und den zu ihrer Eindämmung ergriffenen Maßnahmen im Zeitraum April bis Juni 2020 zusammen. Seit 2021 ist die Zahl der Ankünfte in der Mittelmeerregion wieder gestiegen und übertrifft teilweise das Vorpandemieniveau.

(© bpb)

Für Deutschland erfasst das Interner Link: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) monatlich die Zahl der Menschen, die erstmals einen Asylantrag in Deutschland stellen. Hier lässt sich mit Blick auf das erste Corona-Jahr ebenfalls ein Rückgang feststellen (siehe Abbildung 2). So wurden monatlich bis zu 66 Prozent (Mai 2020) weniger Erstanträge gestellt als im jeweiligen Vorjahresmonat. Zwischen Juni und Dezember 2020 näherte sich die Interner Link: Asylantragszahl wieder dem Vorpandemieniveau und überstieg dieses ab Mitte 2021. Dieser Aufwärtstrend setzt sich in 2022 fort. 2020 nahm das BAMF insgesamt 102.581 Erstanträge auf Asyl entgegen – rund 40.000 weniger als 2019. Damit fiel die Zahl der Asylanträge erstmals wieder unter das Niveau von 2013.

Die Pandemie führte auch zu einem Rückgang mit Blick auf alle anderen Migrationsformen. So fiel etwa die Arbeitsmigration nach Deutschland 2020 um fast 54 Prozent niedriger aus als im Vorjahr. Während 2019 noch 64.219 Drittstaatsangehörige zu Erwerbszwecken nach Deutschland einreisten, wanderten 2020 nur noch 29.747 Arbeitsmigrant*innen zu. Insgesamt belief sich die Nettozuwanderung (Zuwanderung minus Abwanderung) nach Deutschland 2020 auf rund 220.000 Menschen und lag damit auf dem niedrigsten Niveau seit 2010. 2021 zog das Wanderungsgeschehen wieder an und die Nettozuwanderung erreichte mit 329.000 Personen den Umfang von vor Ausbruch der Interner Link: Corona-Pandemie (2019: 327.000).

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Migrant*innen und Geflüchtete in Deutschland

Gesundheit

Migrant*innen und Geflüchtete sind durch teilweise prekäre Arbeits- und Wohnbedingungen mit unzureichenden Hygienemaßnahmen einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Das haben etwa große Covid-19-Ausbrüche in Schlachthöfen oder in Sammelunterkünften für Geflüchtete gezeigt, wo Abstands- und Hygieneregeln kaum eingehalten werden können. Zudem bestehen Interner Link: Zugangsbarrieren zum deutschen Gesundheitssystem, insbesondere für Asylsuchende, die zu einer medizinischen Unterversorgung führen und mit der Pandemie einhergehende gesundheitliche Risiken verschärfen können. So beschränkt etwa das Asylbewerberleistungsgesetz die Gesundheitsversorgung von Asylbewerber*innen auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. In einigen Bundesländern muss die Behandlung durch einen Arzt oder eine Ärztin zunächst beim zuständigen Amt beantragt werden.

Die Covid-19-Pandemie wirkt sich auch auf die mentale Gesundheit aus. Dies zeigt ein allgemein gestiegener Bedarf an psychotherapeutischer Betreuung. Geflüchtete in Deutschland waren bereits vor der Pandemie durch Fluchterfahrungen sowie eine geringere soziale Teilhabe stärker psychisch belastet als Menschen ohne Fluchterfahrung. Vor diesem Hintergrund scheint es naheliegend, dass sich die mentalen Belastungen durch die Einschränkungen (z.B. die zweitweise Aussetzung des Familiennachzugs) und Unsicherheiten (z.B. Existenzängste aufgrund von angespannter Arbeitsmarktsituation) im Zuge der Corona-Pandemie noch verstärkt haben dürften. Zu dieser Schlussfolgerung kommt auch eine global angelegte Externer Link: Studie von 2021 mit Blick auf Geflüchtete und Migrant*innen, die einen Anstieg der psychischen Belastung dokumentiert. Besonders unsichere Lebensumstände in den Bereichen Aufenthaltsstatus sowie Wohn- und Arbeitsbedingungen seien dabei wesentliche Einflussfaktoren. Eine Externer Link: Untersuchung für Geflüchtete in Deutschland – allerdings nur bezogen auf die ersten Monate der Pandemie – konnte im Gegensatz dazu keinen Anstieg der psychischen Belastung feststellen, sondern schlussfolgerte, dass diese unverändert auf hohem Niveau blieb. Allerdings verschlechterten die Lockdowns die Möglichkeit, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen zu können.

Arbeitsmarkt

(© bpb)

Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind bis ins Jahr 2022 hinein in vielen Branchen auf dem Arbeitsmarkt zu spüren. Im ersten Lockdown betrafen Entlassungen und Kurzarbeit besonders Geflüchtete, aber auch Migrant*innen. So ist die Arbeitslosigkeit für diese Gruppe besonders stark gestiegen. Ursachen hierfür sind beispielsweise befristete Verträge und die Arbeitnehmerüberlassung, aber auch eine Beschäftigung in von den Corona-Schutz-Maßnahmen besonders betroffenen Branchen (z.B. Hotel- und Gastgewerbe). Auch die pandemiebedingte Unterbrechung zahlreicher Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten, wie zum Beispiel Interner Link: Integrationskurse, hat zu den steigenden Arbeitslosenzahlen unter Menschen aus Asylherkunftsländern beigetragen. Nehmen sie an einer Maßnahme teil, werden sie nämlich in der Statistik nicht als arbeitslos erfasst. Abbildung 3 zeigt die Veränderung der monatlichen Arbeitslosenzahlen gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat für deutsche Staatsangehörige im Vergleich zu ausländischen Staatsangehörigen und Menschen aus Asylherkunftsländern für den Zeitraum 2019 bis 2022. Der Einfluss der Pandemie machte sich erstmals im April 2020 bemerkbar. Dabei fiel der Anstieg der Arbeitslosigkeit für die ausländische Erwerbsbevölkerung sowie die Erwerbsbevölkerung aus Asylherkunftsländern höher aus als für Deutsche (Beispiel April 2020 zu April 2019: +16 Prozent für Arbeitnehmer*innen mit deutscher Staatsangehörigkeit, +25 Prozent für Ausländer*innen, +26 Prozent für Arbeitnehmer*innen aus Asylherkunftsländer). Ab Mai 2021 ist dann wieder ein Absinken der Arbeitslosenzahlen im Vergleich zu den Vorjahreswerten auszumachen, wobei der Rückgang bei deutschen Staatsangehörigen deutlich stärker ausfällt.

Viele Geflüchtete und Migrant*innen arbeiten in systemrelevanten Berufen, die in der Covid-19-Krise einen besonderen Stellenwert erfahren haben. Medial erhielten unter anderem aus dem Ausland stammende Erntehelfer*innen Aufmerksamkeit.

Vor der Pandemie im Jahr 2019 hatten ca. 15 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in systemrelevanten Berufen eine ausländische Staatsangehörigkeit (ca. zwei Millionen Personen). Besonders hohe Anteile an ausländischen Beschäftigten verzeichneten die Sektoren Lebensmittelherstellung und -verarbeitung (33 Prozent), Reinigung (35 Prozent) sowie Transport und Verkehr (20 Prozent). In medizinischen Gesundheitsberufen arbeiteten 2019 rund acht Prozent mit ausländischer Staatsbürgerschaft, in der Altenpflege 14 Prozent. Somit leisten in Deutschland lebende ausländische Staatsangehörige einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag zum Funktionieren unserer Gesellschaft.

Integration und Bildung

Während der Lockdowns – insbesondere im Frühjahr 2020 – kamen viele Integrationsangebote zum Erliegen. So wurden etwa Sprachkurse ausgesetzt, weil Präsenzunterricht nicht mehr stattfinden konnte. Im ersten Lockdown mussten beispielsweise rund 220.000 Zugewanderte ihre Integrationskurse unterbrechen. Das BAMF förderte zwar die Umstellung auf digitale Kurse durch millionenschwere Investitionen, dennoch verzögerte sich bei vielen Zugewanderten der Erwerb von Deutschkenntnissen und damit der Integrationsprozess. Hinzu kommt, dass digitale Angebote eine gute technische Ausstattung sowie ein geeignetes Lernumfeld voraussetzen – Bedingungen, die insbesondere für Geflüchtete und ihre Kinder eine Zugangsbarriere darstellen. Das beeinträchtigt auch die Möglichkeiten des Homeschoolings und der Teilnahme am digitalen Unterricht. So haben nur ein Drittel der geflüchteten Kinder in Sammelunterkünften einen eigenen Schreibtisch; 44 Prozent haben keinen Zugang zum Internet. Insgesamt zeigt sich, dass die Pandemie die bereits zuvor Interner Link: bestehende Ungleichheit in den Bildungs- und Aufstiegschancen für Migrant*innen und Geflüchtete weiter verstärkt hat.

Studien zeigen darüber hinaus, dass es während der Pandemie zu einem Anstieg von Interner Link: Diskriminierung und Rassismus gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen gekommen ist. Weltweit gibt es Beobachtungen, dass Migrant*innen als mobile Bevölkerung häufig für die Verbreitung des Virus verantwortlich gemacht wurden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete 2020 mit insgesamt 6.383 Beratungsanfragen wegen Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft bzw. aus rassistischen Gründen rund 79 Prozent mehr als im Jahr vor der Pandemie – dabei standen rund 30 Prozent der Beratungsfälle in Zusammenhang mit der Pandemie. Geflüchtete fühlten sich stärker diskriminiert als in den Jahren vor Ausbruch der Pandemie. Insbesondere asiatisch gelesene Menschen Interner Link: erlebten in Deutschland vermehrt rassistische Anfeindungen. Dies dokumentiert zum Beispiel eine im August 2020 durchgeführte Befragung von 700 Menschen asiatischer Herkunft, von denen knapp 49 Prozent angaben, rassistische Erfahrungen gemacht zu haben. Verstärkt wurden rassistische Einstellungen auch durch die Berichterstattung in den Medien, die koloniale Narrative reproduzierte und vor allem in den ersten Monaten nach Beginn der Pandemie das Virus in einen engen Zusammenhang mit asiatisch gelesenen Menschen stellte.

Fazit

Die Covid-19-Pandemie bewirkte – vor allem im ersten Jahr ihres Ausbruchs – sowohl global betrachtet als auch mit Blick auf Deutschland eine Verlangsamung bzw. einen Rückgang von Migrationsbewegungen, weil zu ihrer Eindämmung Grenzen geschlossen und Mobilität erschwert wurde. Zudem haben sich bestehende Probleme in Integrationsprozessen verstärkt und neue Herausforderungen traten zum Vorschein. Allerdings bietet die Covid-19-Krise auch die Chance, dass Migrant*innen und Geflüchtete für ihren Beitrag zum Funktionieren unserer Gesellschaft mehr Anerkennung erhalten, weil beispielsweise deutlich wurde, wie viele von ihnen in systemrelevanten Berufen arbeiten, etwa im Gesundheitswesen. Generell hat die Pandemie gezeigt, dass Politik und Gesellschaft gefordert sind, Migrant*innen und Geflüchtete in Gesundheits- und Wirtschaftskrisen nicht aus den Augen zu verlieren, sondern die besonderen Herausforderungen für diese gesellschaftlichen Gruppen anzuerkennen und diesen aktiv zu begegnen.

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ist Doktorandin am Lehrstuhl für empirische Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.