Seit einem halben Jahrhundert hat die Geschichte des Wahlrechts in Demokratien ein neues Kapitel aufgeschlagen: das des Wahlrechts für ausländische Einwohner/-innen, d. h. für Eingewanderte, die noch nicht eingebürgert sind. Weltweit gewähren etwa 30 Länder eingewanderten ausländischen Staatsangehörigen ein Wahlrecht – vor allem in Europa und Lateinamerika –, und wenn subnationale politische Gemeinschaften ebenfalls herangezogen werden, steigt die Zahl auf 50 (zum Beispiel hat Argentinien kein Wahlrecht für ausländische Einwohner/-innen eingeführt, aber die meisten seiner Provinzen schon). In Deutschland haben nur EU-Bürger/-innen das Recht, sich an Kommunalwahlen (und an Wahlen zum Europäischen Parlament) zu beteiligen. Obwohl Deutschland bis heute kein Wahlrecht für ausländische Staatsangehörige (aus Drittstaaten) eingeführt hat, ist es mit Blick auf die Dauer und Komplexität aufeinanderfolgender Versuche, Ausländer/-innen das Wahlrecht auf kommunaler Ebene zu gewähren, ein weltweit einzigartiger Fall. In den späten 1980er Jahren wurden zwei (von vier) solcher Versuche in zwei Bundesländern (Hamburg und Schleswig-Holstein) zu Gesetzen, aber später, im Jahr 1990, vom Bundesverfassungsgericht kassiert.
In den Debatten in Deutschland wurden im Laufe der Jahre verschiedene wichtige Begründungen für die Einführung des Wahlrechts für eingewanderte ausländische Staatsangehörige angeführt. So sei das Wahlrecht der Schlüssel, um ihren Beitrag zur Gesellschaft anzuerkennen sowie ihnen eine Stimme und gleiche Mitwirkungsrechte bei der Wahl der Regierungen und ihrer Behörden zu geben, unter denen sie leben. Mit Blick auf die aufnehmende Gesellschaft lautet das Argument, dass die Tatsache lange vor Ort lebender Migrant/-innen ohne formale politische Stimme, die Legitimität und Qualität der Demokratie als Selbstverwaltung beeinträchtigt. Beide Perspektiven überschneiden sich in Deutschland, weil etwa 8,2 Prozent der Bevölkerung "Drittstaatsangehörige" (Ausländer aus Nicht-EU-Ländern) sind, die kein Wahlrecht haben, unabhängig davon, wie lange sie bereits in Deutschland leben.
Die Anfänge der Debatten in Deutschland
Die ersten Vorschläge zur Ausweitung des Wahlrechts auf ausländische Einwohner/-innen in Deutschland kamen Ende der 1970er Jahre auf, als der Umgang mit Eingewanderten zunehmend kontrovers diskutiert wurde. Im Gegensatz zu
Die eigentlichen parlamentarischen Debatten über das Ausländerwahlrecht begannen in Deutschland in den späten 1980er Jahren, nachdem skandinavische Länder und die Niederlande Zugewanderten das Wahlrecht auf kommunaler Ebene zugestanden hatten. Da es absehbar war, dass es auf Bundesebene (d. h. im Bundestag) keine Mehrheit für die Einführung des (kommunalen) Wahlrechts für ausländische Bürger/-innen geben würde, gab es in vier Bundesländern (Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Berlin) Versuche zur Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts. Dort waren Parteien an der Regierung, die dies befürworteten: die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) allein oder in Koalition mit der Freien Demokratischen Partei (FDP). In allen vier Bundesländern wurden ähnliche Argumente vorgebracht, aber jeweils mit Nuancen, die mit den historischen und politischen Gegebenheiten der einzelnen Länder zusammenhingen, und mit Unterschieden im Tonfall, je nachdem, welche Parteien in den Parlamenten vertreten waren. Vorreiter war Hamburg, wo Anhörungen von Expert/-innen die Hauptargumente für die meisten Debatten lieferten. Zwei Trennlinien wurden deutlich: Die erste betraf Verfahrensfragen: War es möglich, ausländischen Einwohner/-innen ohne eine Verfassungsreform das Wahlrecht zu gewähren? Die zweite kreiste um die normative Frage, ob Migrant/-innen das Wahlrecht verdienen oder ob die Staatsangehörigkeit der einzige Weg zum Wahlrecht sein sollte. Die Christlich Demokratische Union (CDU) positionierte sich sowohl aus verfahrenstechnischer als auch aus prinzipieller Sicht gegen die Reform. Sie argumentierte, dass die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte an Wert verlieren würden, wenn sie für eingewanderte Ausländer/-innen leicht zu erwerben seien und parallel zu anderen Staatsangehörigkeiten gelten würden. Darüber hinaus gab es radikale Gegenpositionen von Parteien aus dem rechten bis rechtsextremen politischen Spektrum, z.B. die Republikaner oder die Deutsche Volksunion (DVU) – und in jüngerer Zeit die Alternative für Deutschland (AfD). Sie bezweifelten (und bezweifeln) generell die Integrationsfähigkeit von Nichtdeutschen und gingen zum Teil soweit, zu fordern, dass ihr Aufenthalt und ihre Integration kein politisches Ziel sein sollten. Mit diesen vielfältigen Argumenten gelang es den Gegner/-innen des Ausländerwahlrechts, die Debatten von den Begründungen abzulenken, die sich aus einer demokratischen Perspektive auf das Wohlergehen von Migrant/-innen und der aufnehmenden Gemeinschaften stützten. Gleichzeitig spaltete die Befürworter/-innen die Frage, inwieweit Zugewanderte integriert seien, ob ihnen Repräsentation und Partizipation überhaupt zustünden oder ob sie stattdessen erst beweisen müssten, dass sie der Mitgliedschaft würdig sind. Muss der Weg zur Staatsbürgerschaft schwierig bleiben, damit sie wertvoll ist?
Auf die Pionierdebatten in Hamburg in den späten 1980er Jahren folgten weitere Bundesländer. In Bremen hatten sich zivilgesellschaftliche Akteure bereits seit längerer Zeit mit der Frage befasst, wie ausländische Staatsangehörige stärker in politische Entscheidungsprozesse eingebunden werden könnten. Das erleichterte es dem Parlament, ein Ausländerwahlrecht auf den Weg zu bringen. Nach der Eröffnung des Gesetzgebungsverfahrens politisierte jedoch eine rechtsextreme Partei die Debatte. Es folgte Schleswig-Holstein, wo schließlich das kommunale Ausländerwahlrecht mit einer Wohnsitzauflage von fünf Jahren und einem Gegenseitigkeitserfordernis durchgesetzt werden konnte – das heißt, dieses Gesetz kam nur Einwohner/-innen aus Ländern zugute, die deutschen Zugewanderten ebenfalls das Wahlrecht gewährten. Der reibungslosere Ablauf in Schleswig-Holstein erklärt sich dadurch, dass es in diesem Bundesland eine rechtlich anerkannte historische dänische Minderheit gibt (von denen die meisten – aber nicht alle – die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen). So schien es ungerecht, dass deutsche Migrant/-innen im benachbarten Dänemark bereits wahlberechtigt waren, dänische Staatsangehörige in Schleswig-Holstein aber nicht. Die Befürworter der Wahlrechtsreform, die SPD-Regierung und der Südschleswigsche Wählerverband (die Partei, die die dänische Minderheit vertritt), stimmten dem Erfordernis der Gegenseitigkeit als Zugeständnis an die Gegner/-innen der Reform zu und vertrauten darauf, dass durch die Erfahrungen mit dem Wahlrecht für die dänische Minderheit Vertrauen gewonnen werden könnte, um dann das Wahlrecht für alle ausländischen Einwohner/-innen einzuführen. Nicht zuletzt war es (West-)Berlin, wo die Debatten um die Einführung des Ausländerwahlrechts auch dann nicht verstummten, als das Bundesverfassungsgericht 1990 die Hamburger und schleswig-holsteinischen Reformen kippte.
Doch wie kam es zum Entscheid des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1990? Im Rahmen einer von Abgeordneten der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei, der CSU, beantragten "Normenkontrolle" schaltete sich das Bundesverfassungsgericht ein und entschied im Frühjahr 1990, dass dasjenige Volk, auf das sich das Grundgesetz bezieht und von dem die Staatsgewalt bei allen Wahlen ausgeht, das deutsche Volk ist.
Die vier Länderparlamente, die sich um die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts bemüht hatten, bewerteten das Urteil: Die Befürworter/-innen räumten ihre Niederlage ein, interpretierten es aber als Legitimation ihrer Sache, etwa durch die Unterstützung einer erleichterten
Neue Impulse seit den 1990er Jahren
Die Debatten um das Ausländerwahlrecht endeten weder mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. In den letzten 22 Jahren gab es immer wieder Vorschläge aus der Opposition im Bundestag – vor allem von Bündnis 90/Die Grünen und der Linkspartei – und von verschiedenen Ländern im Bundesrat. Bremen, das über die ältesten kommunalpolitischen Mitwirkungsorgane für ausländische Staatsangehörige verfügt,
Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel