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Einbürgerung – Vehikel oder Belohnung für Integration?

Christina Gathmann Ole Monscheuer

/ 6 Minuten zu lesen

In manchen Ländern wird Einbürgerung als Vehikel verstanden, um Integration zu fördern, in anderen gilt sie als Belohnung für erfolgreiche Integration. Kann ein schneller Zugang zur Staatsangehörigkeit Integrationsprozesse fördern? Christina Gathmann und Ole Monscheuer geben einen Überblick über zentrale Forschungsergebnisse.

1991 wurden in der BRD erstmals Regeln für eine Einbürgerung festgelegt. Seitdem ist das Staatsangehörigkeitsrecht weiter liberalisiert worden, wodurch heute mehr Eingewanderte Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit und damit zum Wahlrecht und politischer Mitbestimmung haben. (© picture-alliance/dpa, Fernando Gutierrez-Juarez)

Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Einwanderungsgesellschaft gewandelt und ist zu einem der weltweit beliebtesten Zielländer für Migrant:innen geworden. Für die Migrant:innen selbst, aber auch für die aufnehmende Gesellschaft spielt eine erfolgreiche Interner Link: Integration der Zugewanderten in zentrale gesellschaftliche Bereiche wie das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle. Mit Blick auf Maßnahmen zur Förderung der Integration wird dabei regelmäßig über eine Liberalisierung der Einbürgerungspolitik diskutiert. Die aktuelle Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP plant in ihrem Interner Link: Koalitionsvertrag verschiedene Erleichterungen im Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft, mit denen ein "modernes Staatsangehörigkeitsrecht" (S. 94) geschaffen werden soll. Dieser Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die ganz unterschiedlich bewertete Bedeutung von Einbürgerung für den Integrationsprozess.

Unterschiedliche Verständnisse von Einbürgerung

Die Einbürgerungspolitik legt fest, unter welchen Bedingungen Migrant:innen und ihre Nachkommen vollwertige Mitglieder der Aufnahmegesellschaft werden können – mit allen Rechten und Pflichten. Länder unterscheiden sich erheblich in ihren Einbürgerungskriterien. Zentral ist dabei die Frage, wie lange Menschen im Land leben müssen, bis sie das Recht erhalten, sich einbürgern zu lassen. Darin spiegeln sich sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Funktion von Einbürgerung im Integrationsprozess wider: In klassischen Einwanderungsgesellschaften (z.B. in den USA oder Kanada) wird Einbürgerung als Katalysator für Integration verstanden. Migrant:innen können sich hier bereits nach wenigen Jahren einbürgern lassen. In anderen Ländern (z.B. Schweiz oder Österreich) herrscht hingegen die Vorstellung vor, dass Migrant:innen erst eingebürgert werden sollten, wenn sie sich erfolgreich integriert haben. Hier werden für die Einbürgerung lange Aufenthaltszeiten von zehn Jahren oder mehr vorausgesetzt, an deren Ende die Einbürgerung als Belohnung für (erfolgreiche) Integrationsanstrengungen steht.

Wie kann Einbürgerung die Integration von Migrant:innen fördern?

Aus Sicht der Humankapitaltheorie und Arbeitsmarktökonomik gibt es mehrere Gründe, warum die Staatsbürgerschaft des Ziellandes die wirtschaftliche und gesellschaftliche Position von Migrant:innen beeinflussen kann. Erstens verändert sich mit dem Erwerb der Staatsbürgerschaft des Aufnahmelandes die Art der Migrant:innen zur Verfügung stehenden Arbeitsplätze, die wiederum ihre Karriereoptionen verbessern (z.B. Stellen im öffentlichen Dienst, die in der Regel Staatsangehörigen vorbehalten sind; Wegfall von Reisebeschränkungen, was eine Karriere in international tätigen Unternehmen erleichtert). Zweitens stellt eine Einbürgerung eine langfristige Perspektive im Aufnahmeland dar. Dies kann zum einen Hemmnisse auf Seiten der Arbeitgeber:innen verringern, in die Karriere zugewanderter Arbeitnehmer:innen zu investieren. Zum anderen können die langfristig besseren Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten es für Migrant:innen attraktiver machen, eine gute formale Bildung anzustreben. Drittens kann die Einbürgerung zu einer höheren Identifikation mit dem Zielland führen (u.a. durch die Möglichkeit politischer Mitbestimmung bei Wahlen) und die Normen und Werte beeinflussen, die die Entscheidungen einer Person leiten. Schließlich kann der Erwerb der Staatsbürgerschaft des Aufnahmelandes dazu beitragen, mögliche Diskriminierung seitens der Einheimischen zu verringern.

Die verbesserten Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten im Arbeitsmarkt können in Verbindung mit veränderten Werten auch andere Lebensbereiche beeinflussen, wie z.B. das Heiratsverhalten oder die Familienplanung.

Wie kann der Effekt von Einbürgerung gemessen werden?

Inwieweit die Einbürgerung tatsächlich die Integration von Migrant:innen beschleunigt, ist empirisch schwierig zu erfassen. Ein einfacher Vergleich von eingebürgerten und nicht eingebürgerten Migrant:innen unterschlägt systematische Unterschiede wie etwa die Motivation, im Land zu bleiben, vorhandene Sprachkenntnisse oder die bisher im Zielland verbrachte Zeit. Unterschiede im Arbeitsmarkterfolg zwischen beiden Gruppen wären daher nicht ursächlich auf den Effekt der Einbürgerung zurückzuführen. Um die Frage zu beantworten, ob die Integration durch eine Einbürgerung beschleunigt wird, können politische Reformen genutzt werden, die zu Unterschieden im Zugang zur Staatsbürgerschaft zwischen ansonsten vergleichbaren Migrant:innen führen. Die Reformen des deutschen Staatsangehörigkeits¬rechts sind hierfür besonders gut geeignet.

Staatsangehörigkeitsrechtsreformen in Deutschland

Das Interner Link: deutsche Staatsangehörigkeitsrecht hat sich in den letzten Jahrzehnten von einem sehr restriktiven zu einem eher liberalen entwickelt. Vor 1990 war die deutsche Staatsbürgerschaft eng an die Abstammung und ethnische Herkunft gebunden ("Interner Link: ius sanguinis"). Erst 1991 wurden erstmals explizite Regeln für die Einbürgerung festgelegt. Insbesondere führte das neue Gesetz altersabhängige Voraussetzungen zur Aufenthaltszeit ein: Heranwachsende (16 bis 22 Jahre) mussten mindestens acht Jahre, Erwachsene (über 23 Jahre) mussten mindestens 15 Jahre legal in Deutschland gelebt haben, um sich einbürgern lassen zu können. Im Jahr 2000 folgte eine zweite Reform, die eine Mindestaufenthaltszeit von acht Jahren für alle Altersgruppen festlegte. Je nach Geburts- und Zuwanderungsjahr unterlagen Migrant:innen daher als Voraussetzung für die Einbürgerung einer Mindestaufenthaltszeit zwischen 8 und 16 Jahren.

Darüber hinaus legten die Reformen von 1991 und 2000 weitere Voraussetzungen für eine Einbürgerung fest, etwa die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft (außer für EU-Bürger), wirtschaftliche Selbständigkeit (als Erwachsene) oder eine mindestens sechsjährige Schulausbildung in Deutschland (als Jugendliche) sowie das Nichtvorhandensein von schweren Vorstrafen. Während diese Kriterien zusätzliche Hürden für eine Einbürgerung darstellen können, sind für die Frage, wie sich ein schnellerer Zugang zur Staatsbürgerschaft ursächlich auf die Integration von Migrant:innen auswirkt, die Unterschiede in der Mindestaufenthaltszeit für ansonsten vergleichbare Migrant:innen entscheidend.

Empirische Ergebnisse

Die empirische Analyse vergleicht nun Migrant:innen, die aufgrund der beiden Reformen unterschiedlich lange Mindestaufenthaltszeiten für die Einbürgerung erfüllen mussten, während für sozio-demographische Unterschiede in den Variablen Alter, Zuwanderungsjahr, Herkunftsland etc. kontrolliert wird. Sie kommt zu folgenden zentralen Ergebnissen :

Ein schnellerer Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft erhöht Arbeitsmarktbeteiligung und Arbeitseinkommen, insbesondere von zugewanderten Frauen. Sie sind häufiger erwerbstätig und öfter in Vollzeit beschäftigt. Auch gelingt ihnen häufiger ein Wechsel in besser bezahlte Berufe und Branchen mit besseren Arbeitsbedingungen, wie etwa einem unbefristeten Arbeitsvertrag. Männer profitieren hauptsächlich davon, dass sie seltener als Selbständige in schlecht bezahlten Jobs arbeiten müssen. Außerdem zeigt sich, dass Migrant:innen stärker in berufliche Ausbildung und deutsche Sprachkenntnisse investieren. Die großen Unterschiede zwischen Männern und Frauen lassen sich dadurch erklären, dass männliche Zuwanderer meist eine Arbeitserlaubnis haben, dies aber oft nicht für begleitende Ehe- oder Lebenspartner:innen gilt. Daher profitieren Migrantinnen besonders von den Möglichkeiten der deutschen Staatsbürgerschaft.

Über die Integrationserfolge am Arbeitsmarkt hinaus hat der Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft erhebliche Auswirkungen auf die Familienplanung von Migrant:innen. Sowohl Männer als auch Frauen mit schnellerem Zugang zur Staatsbürgerschaft suchen länger nach einem passenden Partner und heiraten daher später. Zudem bekommen Frauen ihr erstes Kind später. Sowohl beim Heiratsverhalten als auch mit Blick auf das Alter der Mütter bei der Geburt des ersten Kindes nähern sich Migrant:innen in Deutschland dem Verhalten von Einheimischen an. Diese Annäherungen im Heirats- und Geburtenverhalten spiegeln wiederum die sich annähernden Chancen auf dem Arbeitsmarkt wider, die sich durch den leichteren Zugang zur Einbürgerung ergeben.

Fazit

Die Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts in Deutschland liefert überzeugende Evidenz dafür, dass Einbürgerung die ökonomische und soziale Integration deutlich erhöht. Insbesondere Frauen profitieren vom schnelleren Zugang zur Staatsbürgerschaft und können dadurch ihre wirtschaftliche und soziale Stellung in der deutschen Gesellschaft verbessern. Daher kann ein schnellerer Zugang zur Staatsbürgerschaft nicht nur dazu beitragen, die Integration von Migrant:innen zu beschleunigen und das in Deutschland vorhandene Erwerbspotential besser zu nutzen, sondern auch einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit leisten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Teil der Reform war auch, dass in Deutschland geborene Kinder langfristig aufenthaltsberechtigter Ausländer:innen mit der Geburt deutsche Staatsangehörige werden konnten. Da die Forschung zur Frage, ob eine schnellere Einbürgerung Integrationsprozesse fördert, aber vor allem Menschen mit eigener Migrationserfahrung in den Blick nimmt, werden Personen, die mit der Geburt in Deutschland die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten und nicht selbst zugewandert sind, in diesem Beitrag ausgeklammert.

  2. Die hier vorgestellten Ergebnisse beziehen sich auf eine empirische Analyse der beiden Autor:innen dieses Beitrags. Die Literatur, die in der Forschung herangezogen wurde, wird vorgestellt und diskutiert in: Gathmann, C. und O. Monscheuer (2020), Naturalization and citizenship: Who benefits?, IZA World of Labor, 125v2.

  3. Gathmann, C. und N. Keller (2018), "Access to citizenship and the economic assimilation of immigrants", Economic Journal 128 (616), 3141-3181.

  4. Gathmann, C., N. Keller und O. Monscheuer (2020), Access to citizenship and social integration, AWI Department of Economics Working Paper, Universität Heidelberg.

  5. Gathmann, C. und O. Monscheuer (2020), Naturalization and citizenship: Who benefits?, IZA World of Labor, 125v2.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autoren/-innen: Christina Gathmann, Ole Monscheuer für bpb.de

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leitet die Abteilung Arbeitsmarkt des Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (LISER). Zuvor arbeitete sie an den Universitäten Chicago, Stanford, Mannheim und Heidelberg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Rolle von Humankapital auf dem Arbeitsmarkt, die Effekte des technologischen Wandels im Arbeitsmarkt, die Integration und die Effekte von Zuwanderung sowie die Bedeutung von Staatsbürgerschaftsrechten für die soziale und wirtschaftliche Integration von Eingewanderten.

hat 2018 an der Universität Heidelberg promoviert. Anschließend hat er bis April 2022 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin gearbeitet. In seiner Forschung befasst er sich hauptsächlich mit der ökonomischen und sozialen Integration von Personen mit Migrationserfahrung sowie ihren Determinanten.