Ende 2020 lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 26.445 anerkannte staatenlose Menschen in Deutschland. Im Zuge der Interner Link: hohen Fluchtzuwanderung 2015/16 ist die Zahl staatenloser Personen in Deutschland stark angestiegen (vor 2015 waren weniger als 15.000 Staatenlose in Deutschland gezählt worden). 16,2 Prozent der 26.445 anerkannten staatenlosen Personen sind in Deutschland geboren; um die 60 Prozent (16.055 Personen) leben mit einem zeitlich befristeten Aufenthaltstitel im Land. Im Asylverfahren betrifft Staatenlosigkeit nach einem Bericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vor allem “kurdische und palästinensische Volkszugehörige, die zuvor in Syrien oder im Libanon gelebt haben”.
Quantitativ bedeutsamer sind in Asylverfahren jedoch Fälle von Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Von diesen lebten Ende 2020 91.490 in Deutschland. Der Status der ‘ungeklärten Staatsangehörigkeit’ wird von den Ausländerbehörden, dem BAMF und Gerichten für Personen verwendet, wenn die Staatsangehörigkeit nicht hinreichend nachgewiesen werden kann. Meistens bedeutet dies, dass die Person keine amtlichen Dokumente wie einen Reisepass, Personalausweis oder auch eine Heirats- oder Geburtsurkunde vorlegen kann, um ihre Staatsbürgerschaft nachzuweisen. Dies kann verschiedene Ursachen haben: Die Person kann (de jure) staatenlos sein, die Papiere auf der Flucht verloren haben oder Schwierigkeiten beim Nachweis der Staatsangehörigkeit haben, zum Beispiel aufgrund unterschiedlicher Zeitrechnungen (so gilt z.B. in Afghanistan nicht der gregorianische, sondern der als iranischer bzw. persischer Kalender bekannte Solar-Hijri-Kalender) , mangelnder Kooperation der Herkunftsländer oder durch Fehler von Behörden in Europa. 54 Prozent (49.610) der Menschen mit ‘ungeklärter Staatsangehörigkeit’ leben mit einem zeitlich befristeten Aufenthaltstitel in Deutschland (z.B. mit Interner Link: subsidiärem Schutz) und weitere 28,6 Prozent (26.190) besitzen keinen Aufenthaltstitel (Interner Link: Duldung, Externer Link: Aufenthaltsgestattung oder weder Duldung noch Gestattung). In der Praxis erhalten Personen mit ‘ungeklärter’ Identität häufig kurzfristige Duldungen. Dadurch soll Druck aufgebaut werden, damit sie sich bei den Behörden um eine Klärung der Identität und Staatsangehörigkeit bemühen. Dieses Vorgehen führt dazu, dass sie und auch ihre Kinder über Jahre, teilweise Jahrzehnte in Unsicherheit leben und alle paar Monate ihre Duldung verlängern müssen. Zu weiteren Einschränkungen kann es kommen, wenn das Mitwirken zur Identitätsklärung seitens der Betroffenen als unzureichend eingestuft wird und dies zum Entzug der Beschäftigungserlaubnis führt.
Feststellung der Staatenlosigkeit
In Deutschland gibt es das Externer Link: Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit (StaatenlMindÜbkG). Es dient der Umsetzung des völkerrechtlichen Übereinkommens zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 und des Übereinkommens zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit von 1973 in nationales Recht. Daraus ergibt sich die Pflicht zur Gleichstellung staatenloser und ausländischer Personen. Anders als bei der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gibt es in Deutschland jedoch kein festgelegtes Verfahren zur Feststellung der Staatenlosigkeit. Die Ausländerbehörde kann die Staatenlosigkeit bei der Beantragung eines Reiseausweises feststellen. Dabei ist die Feststellung der Staatenlosigkeit jedoch an die abschließende Klärung der Identität der Person geknüpft. Dies führt dazu, dass Personen, die als staatenlos anerkannt werden möchten, bei der Auslandsvertretung ihrer (möglichen) Herkunftsländer um eine Bestätigung der Staatsangehörigkeit bitten müssen. Wird eine solche nicht ausgestellt, ist von Staatenlosigkeit auszugehen. Der Kontakt zur Botschaft eines Landes, dessen Regime sie bekämpft haben, stellt etwa für geflüchtete Unterstützer:innen der syrischen Opposition eine hohe Hürde dar. Schwierig gestaltet sich die Feststellung der Staatenlosigkeit auch bei Menschen aus dem früheren Jugoslawien, deren Eltern in mehreren der Nachfolgestaaten gelebt haben – auch hier müsste für jeden in Frage kommenden Staat ein Antrag auf Bestätigung der Staatsangehörigkeit gestellt werden.
Sobald die Ausländerbehörde die Staatenlosigkeit feststellt, kann bei rechtmäßigem Aufenthalt im Bundesgebiet aufgrund eines durch die Staatenlosigkeit bedingten dauerhaften Abschiebehindernisses eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§25 Abs. 5 AufenthG) erteilt werden.
Einbürgerung Staatenloser
In Deutschland gelten erleichterte Bedingungen für die Einbürgerung staatenloser Personen. Sie können im Rahmen der Interner Link: Ermessenseinbürgerung bereits nach sechs (statt acht) Jahren rechtmäßigen Aufenthalts eingebürgert werden. Kinder staatenloser Eltern, die in Deutschland geboren werden, haben einen besonderen Einbürgerungsanspruch, der nicht verwehrt werden darf, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Staatenlosigkeit bei der Geburt in Deutschland, fünf Jahre dauerhafter Aufenthalt in Deutschland, Antragstellung auf Einbürgerung vor dem 21. Lebensjahr und keine Freiheits- oder Jugendstrafe von mehr als fünf Jahren. Im Jahr 2020 wurden 795 staatenlose Personen und 540 Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit in Deutschland eingebürgert. Zwischen Ende 2015 und Ende 2020 erhielten insgesamt 4.782 staatenlose Personen und 3.197 Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit einen deutschen Pass. Die deutsche Staatsangehörigkeit darf in der Regel nur dann entzogen werden, wenn die betroffene Person dadurch nicht staatenlos wird. Dies trifft etwa auf Personen zu, die sich im Ausland an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung beteiligt haben und die deswegen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren. Anders ist es bei Personen, die sich in Deutschland haben einbürgern lassen, bei denen im Nachhinein aber festgestellt wird, dass dies aufgrund falscher oder unvollständiger Angaben unrechtmäßig passiert ist. Ihnen darf die deutsche Staatsangehörigkeit auch dann entzogen werden, wenn sie dadurch staatenlos werden.