In der EU haben mehr zugewanderte Frauen eine Hochschulbildung als zugewanderte Männer. Viele dieser Migrantinnen arbeiten jedoch nicht in Berufen, die ihren Qualifikationen entsprechen. Ein Blick auf Trends qualifizierter weiblicher Migration.
Zwischen 2012 und 2017 stieg die Zahl der hochqualifizierten Personen, die in die 28 EU-Staaten einwanderten, um ein Drittel – von 204.403 auf 321.597. Frauen mit Hochschulbildung – hier als hochqualifizierte Migrantinnen bezeichnet – wandern über verschiedene Migrationskanäle ein – als Arbeits- oder Familienmigrantinnen, Studierende und Flüchtlinge. Seit 2009 haben sich die Richtung und der Charakter der Migration qualifizierter Frauen verändert. In diesem Beitrag wird untersucht, was über qualifizierte Migrantinnen und ihre Einwanderung in die EU sowie ihre Bewegungen innerhalb Europas im letzten Jahrzehnt bekannt ist. In dieser Zeit konnten in vielen Ländern die Auswirkungen des Interner Link: wirtschaftlichen Abschwungs und der Sparpolitik beobachtet werden. Hinzu traten neue Bewegungen, Interner Link: die qualifizierte Frauen umfassten, z.B. eine hohe Fluchtzuwanderung.
Datenquellen
In den vorhandenen Daten werden Qualifikationen unterschiedlich definiert: als Bildungsabschluss oder im Sinne der Sektoren des Arbeitsmarktes, in dem Migrantinnen und Migranten beschäftigt sind, nach erzielten Löhnen oder nach dem rechtlichen Einreiseweg, d.h. der Zuwanderungskategorie. Darüber hinaus ist "Migrant" eine variable Kategorie: Einige Länder sammeln Daten zur ethnischen Herkunft einer Person, erfassen jedoch nicht ihren Migrationsstatus. Andere Länder konzentrieren sich auf das Land, in dem die Qualifikation erworben wurde, und nicht auf das Geburtsland oder die Nationalität.
Darüber hinaus werden Daten nicht immer in vergleichbarer Weise erhoben und veröffentlicht. Vor zehn Jahren haben Interner Link: Kofman und Raghuram (2009) darauf hingewiesen, dass es in den meisten Datenerfassungssystemen an nach Geschlechtern ausgewiesenen Migrationsdaten mangelt. Seitdem hat es einige Versuche gegeben, solche Daten über die Migrationsbevölkerung (stocks) aus verschiedenen Quellen zusammenzustellen. Insbesondere die Externer Link: Global Bilateral Migration Database der Weltbank und die Datenbank zu Einwanderern in OECD-Ländern (Externer Link: International Migration Database) können erheblich zu unserem Verständnis von qualifizierter weiblicher Migration beitragen. Dieses Potenzial ist bislang aber nicht vollständig ausgeschöpft worden. In diesen Datenbanken wird für jedes Land der Bestand der dort lebenden Migrantinnen und Migranten nach Herkunftsland und Bildungsgrad angegeben. Hochqualifizierte Arbeitskräfte werden als Personen definiert, die mindestens ein Jahr lang eine Hochschule besucht haben. Diese Datenbanken basieren jedoch auf individuellen Länderstatistiken, die hinsichtlich Qualität, Vollständigkeit, Geschlechterdaten und Basisjahr, für das Daten gemeldet werden, variieren.
Eine zweite Datenquelle bietet Einblicke in Migrationsströme (flows). Dieser aus Daten zur Einreise von Migrantinnen und Migranten zusammengestellte Datensatz ist zuverlässiger, länderspezifisch und aktuell. Eine andere Quelle sind die Arbeitskräfteerhebungen (Labor Force Surveys), die mehr oder weniger regelmäßig in verschiedenen Ländern durchgeführt werden. Sie haben aber möglicherweise eine Verzerrung (Bias), da es sich um Umfragen handelt, die auf einer Stichprobe beruhen und sich nur auf Personen in Beschäftigung konzentrieren. Die Länderdaten aus den Arbeitskräfteerhebungen können ebenfalls zusammengestellt werden, beispielsweise in der Externer Link: Europäischen Arbeitskräfteerhebung, um Informationen über Migrationsmuster zu erhalten.
Obwohl diese Daten nützlich sind, bieten sie ein unzureichendes geschlechtsspezifisches Bild der Migration, da nur selten nach Geschlecht ausgewiesene Daten erhoben, veröffentlicht oder analysiert werden. Zudem können die verfügbaren Daten, beispielsweise die OECD-Daten, nur in begrenztem Umfang Aussagen über die hochqualifizierte weibliche Migrationsbevölkerung machen. Aufgrund ihrer Breite und Reichweite bieten sie nicht die demografischen Details, die uns helfen könnten, diese Personengruppe zu verstehen. Trotz dieser Vorbehalte ist es möglich, einige allgemeine Muster der Migration qualifizierter Frauen in der EU zu identifizieren.
Zahl der Migrantinnen und Migranten in der EU
In den 28 EU-Mitgliedstaaten sind 52 Prozent der im Ausland geborenen Personen der ersten Migrantengeneration (sogenannte foreign-born), die eine Hochschule besucht haben, Frauen. Eine Aufschlüsselung nach Ländern zeigt, dass es in fast zwei Dritteln der EU-Mitgliedstaaten mindestens ebenso viele hochqualifizierte, im Ausland geborene Frauen wie Männer gibt. In vielen Fällen bedeutet dieses Qualifikationsniveau jedoch nicht, dass diese Frauen auch einer qualifizierten Arbeit nachgehen. Gründe dafür sind eine niedrige Frauenerwerbsquote oder eine Entwertung der erworbenen Qualifikationen (Dequalifizierung).
Obwohl es in der migrantischen Bevölkerung mehr Migrantinnen als Migranten gibt, die über eine hohe Bildung verfügen, spiegelt sich diese Tendenz nicht in der Arbeitsmarktbeteiligung, d.h. z.B. der Interner Link: Erwerbsquote und Erwerbstätigenquote, wider. Die Erwerbsquoten für Migrantinnen sind in allen EU-Mitgliedstaaten niedriger als die männlicher Migranten. Diese Kluft zwischen den Erwerbsquoten ist besonders hoch unter Migrantinnen und Migranten, die außerhalb der EU geboren sind: Hier liegt die Erwerbsquote von Männern bei 83 Prozent, die von Frauen bei 63 Prozent. Diese Daten werden jedoch nicht nach Bildungsgrad oder einem Indikator, der auf das Qualifikationsniveau des Migranten bzw. der Migrantin schließen lässt, aufgeschlüsselt. Die Daten zur Erwerbstätigenquote geben einen etwas besseren Einblick. Diese Zahlen zeigen das geschlechtsspezifische Gefälle bei der Erwerbstätigenquote nach Bildungsniveau und Geburtsland. Insgesamt ist die Erwerbstätigenquote von Migrantinnen mit Hochschulbildung (66 Prozent) höher als von Migrantinnen mit niedrigerem Bildungsniveau (40 Prozent für Migrantinnen mit Grundschulabschluss und 58 Prozent für Migrantinnen mit Sekundarschulabschluss). Im Vergleich zu eingewanderten Männern zeigen sich aber ebenfalls Unterschiede mit Blick auf die Erwerbstätigenquote. Männliche Migranten mit Hochschulbildung sind häufiger berufstätig (82 Prozent) als zugewanderte Akademikerinnen (66 Prozent). Dies kann auf Probleme am Arbeitsmarkt oder auf familiären Druck zurückzuführen sein.
Erstens: In ganz Europa dominieren Migrantinnen nach wie vor in sozial reproduktiven Bereichen des Arbeitsmarktes: Lehrtätigkeiten, Krankenpflege, Sozialpflege und Hausarbeit. Migrantinnen mit Qualifikationen in den ersten beiden Tätigkeitsfeldern finden häufig in den letzten beiden Bereichen eine Anstellung. Diese ist oft weniger reguliert und die Fähigkeiten der Frauen werden zwar eingesetzt, aber nicht wertgeschätzt oder vergütet. Einige dieser Arbeiten können informell durchgeführt werden. Daher tauchen die betroffenen Frauen, obwohl sie berufstätig sind, möglicherweise nicht in der formellen Beschäftigungsstatistik auf. Falls sie doch in die Statistik Eingang finden, werden sie in den Daten oft nicht als qualifizierte Arbeitskräfte geführt. Darüber hinaus kann es sein, dass ihr Qualifikationsniveau unterschiedlich gewertet wird. So gelten Krankenpflege und Hebammentätigkeit in Deutschland nicht als akademische Berufe, sondern als Ausbildungsberufe. Dies führt zu einer Abwertung des Qualifikationsniveaus von Migrantinnen, die in diesen Berufen an einer Hochschule ausgebildet wurden und erfahrene Krankenschwestern sind. Zweitens verlieren Migrantinnen häufig die familiäre Unterstützung, insbesondere bei der Kinderbetreuung, die ihnen den Eintritt in den Arbeitsmarkt ermöglicht. Daher wirkt sich die ungleiche Verteilung der sozial-reproduktiven Arbeit innerhalb der Familie auf ihre Möglichkeiten der Erwerbsbeteiligung aus.
Die Art der Dequalifizierung variiert je nach ethnischer Zugehörigkeit, Sprachkenntnissen, Niveau und Art der Qualifikation sowie der "Männlichkeit" des Arbeitsmarktsektors. Selbst in dynamischen Volkswirtschaften wie Deutschland kann es Frauen aufgrund einer Kombination dieser Faktoren schwer fallen, in einigen Arbeitsmarktsektoren mit Arbeitskräfteengpässen akzeptiert zu werden.
Migrationsströme
Hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten aus Ländern, die nicht zur EU gehören, benötigen für die Einreise in einen EU-Mitgliedstaat in der Regel ein Visum, also eine Einreisegenehmigung. An diesen ersten Genehmigungen, die für mindestens drei Monate erteilt werden, lässt sich die jährliche Zuwanderung zum Zweck der Erwerbstätigkeit, der (Aus-)Bildung, aus familiären und anderen Gründen ablesen.
Im Zeitraum 2010 bis 2015 gab es einen stetigen Anstieg der Zuwanderung, gefolgt von einem starken Anstieg im Jahr 2016, der auf den Anstieg der Zugänge in allen vier genannten Migrationskategorien zurückzuführen ist.
Etwa 46 Prozent der Zuwandernden sind Frauen. Abbildung 3 zeigt die Gründe für die Migration nach Geschlecht.
Arbeitsmigration
Zwischen 2010 und 2016 ist die Anzahl der Ersteinreisegenehmigungen zu Beschäftigungszwecken, die an Migrantinnen ausgestellt wurden, zurückgegangen. Abbildung 3 legt nahe, dass dies auf eine Maskulinisierung der Arbeitsmigrationsströme in die EU zurückgeführt werden könnte. Diese Daten sind jedoch nicht nach Qualifikationsniveau aufgeschlüsselt. Ein Ansatz, um weibliche Migration besser zu verstehen und Probleme zu identifizieren, mit denen zugewanderte Frauen auf dem Arbeitsmarkt in der EU konfrontiert sind, besteht darin, geschlechtsdifferenzierte Daten von Berufsverbänden wie Pflege- und Ingenieursverbänden über Sektoren auf dem qualifizierten Arbeitsmarkt heranzuziehen. Eine andere Möglichkeit bietet die Analyse von allgemeineren Zuwanderungsprogrammen wie der Blauen Karte EU (EU Blue Card). Beiden Ansätzen gehen wir im Folgenden nach.
Sektoral: Arbeitsmarktbereiche, die von Frauen dominiert werden
Die Daten des Nursing and Midwifery Council (NMC) (übersetzt etwa Rat für Pflege- und Hebammenwesen) des Vereinigten Königreichs heben die sich verändernden Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich, der EU und Staaten in Übersee hervor. Im Jahr 2016 waren 85 Prozent aller gemeldeten männlichen und weiblichen Krankenpfleger und Geburtshelfer, die im Vereinigten Königreich arbeiteten, im Anschluss an ihre Ausbildung zuerst in Großbritannien registriert, zehn Prozent in Übersee und fünf Prozent in anderen EU-Mitgliedstaaten. In einigen Sektoren, wie dem Gesundheitswesen, werden Daten nach Qualifikationsland erhoben und analysiert, das häufig stellvertretend für das Geburtsland oder den Migrationsstatus steht.
Frauen aus den Philippinen, Indien und Australien – aufgrund ihrer US-amerikanischen und britischen Kolonialgeschichte allesamt englischsprachige Länder – bilden die drei größten Gruppen von im Ausland ausgebildete Krankenschwestern im Vereinigten Königreich, wie Abbildung 5 zeigt.
Die fünf Prozent der ursprünglich in anderen EU-Staaten registrierten Krankenschwestern bilden die kleinste Gruppe. Die Aufschlüsselung nach den fünf wichtigsten EU-Ländern ist in Abbildung 6 dargestellt. In Italien ausgebildete Krankenschwestern sind eine relativ neue Erscheinung. Spanien und Rumänien sind jedoch seit Jahren beständige Quellen ausgebildeter Krankenschwestern, die derzeit im Vereinigten Königreich registriert sind.
Die Einführung der Ethikrichtlinie und die damit verbundene Begrenzung der Anwerbung qualifizierter Migrantinnen und Migranten (brain drain) aus Ländern in Übersee mit wenig Pflegepersonal, die Öffnung des britischen Arbeitsmarktes für Bewerberinnen und Bewerber aus neuen EU-Mitgliedstaaten 2004 (für die EU-8 ) und 2012 (für die EU-2 ) und die Auswirkungen der Rezession, Interner Link: vor allem in südeuropäischen Ländern wie Italien und Spanien, haben zu einem starken Anstieg der Zahl der qualifizierten Migrantinnen und Migranten geführt, die in der EU ausgebildet wurden. Gleichzeitig ist die Zahl der in Übersee qualifizierten Krankenschwestern gesunken (Abbildung 5). So war ab 2011 ein deutlicher Anstieg der Zahl der Krankenschwestern aus Spanien, Rumänien und Italien zu verzeichnen. 2015 erfolgte ein plötzlicher Rückgang dieser Migration. Im Juli 2016 führte der NMC Sprachprüfungen für Pflegekräfte aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ein, die zunächst zu einem deutlichen Anstieg der Zahl der im EWR ausgebildeten Krankenschwestern führte, gefolgt von einem starken Rückgang der Zahlen. Die Gründe für den starken Anstieg sind nicht klar, könnten jedoch auf die Registrierung derjenigen zurückzuführen sein, die die Qualifikationskriterien erfüllten. Der anschließende Rückgang der Zahl der in der EU ausgebildeten Krankenschwestern wurde durch das Interner Link: Brexit-Votum noch verschärft. Dieses ließ die Zahl der EU-Bewerberinnen und -Bewerber in weniger als einem Jahr um 96 Prozent sinken. Im Hinblick auf den Interner Link: Brexit wird es wichtig sein, zu beobachten, wie sich diese Muster der EU-Herkunftsländer verändern und wie sich dies auf die Mobilität hochqualifizierter Frauen aus den EU-Staaten ins Vereinigte Königreich auswirkt.
Der überseeische Markt für Krankenschwestern dient als Arbeitskräftereserve, die sich gegenläufig zum Anstieg und Rückgang der Zuwanderung aus dem EWR entwickelte. Nach niedrigen Registrierungszahlen für in Übersee ausgebildete Krankenschwestern zwischen 2008 und 2013 zeigt sich seit 2015 hier ein besonders starkes Wachstum.
Allgemeine Programme zur qualifizierten Migration: Blaue Karte EU
Über das Vereinigte Königreich hinaus zielt die EU-Politik darauf ab, Interner Link: die Mobilität innerhalb Europas zu fördern und hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten aus Nicht-EU-Ländern anzuziehen. Eine dahingehende Maßnahme ist die Interner Link: Blaue Karte EU (EU Blue Card), die zwar von 25 der 28 Mitgliedstaaten eingeführt wurde, jedoch hauptsächlich von Interner Link: Deutschland genutzt wird (siehe Tabelle). Im Jahr 2016 stammten fast 50 Prozent der Inhaberinnen und Inhaber einer Blauen Karte EU in Deutschland aus nur fünf Ländern: Indien (22,1 Prozent), China (8,7 Prozent), Russische Föderation (7,9 Prozent), Ukraine (5,3 Prozent) und Syrien (4,7 Prozent).
Zahl der erteilten Blauen Karten EU
2012
2013
2014
2015
2016
Deutschland
2.584
11.580
12.108
14.620
17.360
Frankreich
126
371
604
657
750
Luxemburg
183
236
262
336
636
Polen
2
16
46
369
673
Andere
769
761
849
1.122
1.290
EU gesamt
3.664
12.964
13.869
17.104
20.979
Quelle: Eurostat: EU Blue Cards by type of decision, occupation and citizenship (migr_resbc1), (Zugriff: 12.12.2018).
Es wurden Bedenken hinsichtlich der möglichen Geschlechtsselektivität der Blue Card-Richtlinie geäußert, da sie Gehaltsschwellen anlegt, jahrelange Berufserfahrung voraussetzt und einen Fokus auf von Männern dominierte Sektoren des Arbeitsmarktes legt – Voraussetzungen, die beeinflussen, wie viele Frauen diese Aufenthaltsgenehmigungen erhalten. Systematische geschlechtsspezifische Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern, die im selben Sektor arbeiten, aber auch die Überzahl von Frauen in unterbezahlten Sektoren, die Verantwortung für die Betreuung und Pflege von Angehörigen und damit einhergehende Unterbrechungen der Karriere sowie die Geschlechtsselektivität der Sektoren prägen die Ergebnisse solcher Richtlinien. Das Programm wird derzeit neu verhandelt, um die Anwerbung einer größeren Zahl hochqualifizierter Migrantinnen und Migranten zu ermöglichen.
Andere Migrationsströme
Frauen machen über zwei Drittel der Zuwanderung aus familiären Gründen aus, gefolgt von Kindern und Männern. Qualifizierte Frauen wandern häufig als "nachziehender Ehepartner" ein. Sie können in den Arbeitsmarkt ein- und aussteigen, aber die Dequalifizierung dieser Gruppe ist weltweit spürbar. Frauen können aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Geschlechts, des Erwerbs von Sprachkenntnissen und ihrer sozial reproduktiven Verantwortung benachteiligt sein. Einer der Zuwanderungskanäle mit einem deutlich höheren Anteil an qualifizierten Frauen (55 Prozent) ist die Interner Link: Studierendenmigration. Wie Abbildung 3 zeigt, handelt es sich um einen schnell wachsenden Strom innerhalb und außerhalb Europas. Viele dieser Studierenden arbeiten während ihres Studiums oder verbleiben nach dem Studium zum Arbeiten im Land, bilden also möglicherweise einen Teil der aktuellen oder zukünftigen qualifizierten Migrationsbevölkerung.
Im letzten Jahrzehnt wurde in ganz Europa eine hohe Zuwanderung von Asylsuchenden und Flüchtlingen verzeichnet. Deutschland hat Interner Link: 2015 und Interner Link: 2016 mehr als eine Million Schutzsuchende aufgenommen. Frauen Interner Link: machten ein Drittel dieser Personengruppe aus. Viele von ihnen waren nicht ausgebildet und hatten aufgrund von Sprachbarrieren, Interner Link: ungleicher Verantwortungsteilung bei der Kinderbetreuung, die den Zugang zu Nachqualifizierungsprogrammen erschwert, sowie fehlenden Qualifikationen in auf dem Arbeitsmarkt gesuchten Berufen mehr Mühe als Männer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Einige haben sich aber dennoch (weiter)qualifiziert und versucht, eine Arbeit zu finden. Die Auswirkungen dieser Zuwanderung auf den Umfang der qualifizierten Migrationsbevölkerung müssen noch analysiert werden.
Sich verändernde Migrationsmuster
Ein Schlüsselfaktor für Bewegungen qualifizierter Migrantinnen und Migranten sind die sich verändernden Grenzen Europas. Die Erweiterung der EU hat zu einem Anstieg der Migrationsbewegungen innerhalb Europas geführt, vor allem Interner Link: von Osteuropa nach Westeuropa, was mit Ängsten in Hinblick auf eine Abwanderung von Talenten (brain drain) verbunden war. Diese Migrationsströme sind jedoch geschlechtsselektiv. Obwohl aus Polen mehr Männer als Frauen nach Deutschland migrieren, ist das Geschlechterverhältnis bei hochqualifizierten Migrantinnen und Migranten umgekehrt. Außerdem neigen hochqualifizierte Frauen seltener dazu, nach Polen zurückzukehren. Obwohl Polen einen besonders extremen Fall darstellt, sind in der gesamten EU ähnliche Ströme hochqualifizierter Frauen zu verzeichnen.
Ein weiterer wichtiger Faktor für die Migration in den letzten zehn Jahren waren die Interner Link: globale Finanzkrise und ihre unterschiedlichen Auswirkungen in den Ländern Europas. Einige Staaten haben ihre Migrationspolitik neu ausgerichtet. Anstatt hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten weiterhin willkommen zu heißen, haben sie die Zuwanderung in Teile des Arbeitsmarktes für bestimmte qualifizierte Berufe blockiert, indem sie nun Arbeitserlaubnisquoten oder eine höhere Einkommensgrenze für eine Arbeitserlaubnis festlegen und strengere Rückkehrprogramme vorsehen. Hochqualifizierte Migrantinnen werden häufig als Erste entlassen und müssen zwangsweise in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Die geschlechtsspezifische Trennung zwischen den Sektoren des Arbeitsmarktes führt dazu, dass Frauen in Zeiten der Rezession eine prekärere Position einnehmen: Im Vergleich zu Männern verlieren sie ihren Arbeitsplatz überproportional häufig. Darüber hinaus haben Sparprogramme zu Kürzungen in sozial-reproduktiven Bereichen geführt, die häufig vom Staat finanziert werden, was sich auf qualifizierte Migrantinnen stärker ausgewirkt hat als auf zugewanderte Männer.
Schlussfolgerungen
In den letzten zehn Jahren gab es in Europa eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Veränderungen. Infolgedessen zeigten sich Kontinuitäten sowie neue Muster qualifizierter weiblicher Migration. Sprachverwandtschaft aufgrund der kolonialen Vergangenheit prägt nach wie vor Migrationsbewegungen. Zudem erfolgt weibliche Migration immer noch vorwiegend in die Interner Link: sozial-reproduktiven Bereiche des Arbeitsmarktes. Politische Veränderungen haben jedoch die Migration qualifizierter Frauen beeinflusst. Erstens haben sich die Grenzen der EU verändert, da sie zunächst wuchs und nach dem Brexit-Votum nun zu schrumpfen droht. Die Zuwanderung aus Übersee hat auch Schwankungen erfahren, je nachdem, ob Migrationsbewegungen innerhalb der EU Arbeitsmarktbedarfe decken konnten oder nicht. Zweitens haben politische Unruhen außerhalb der europäischen Grenzen Wanderungen in die EU beeinflusst. Die Zahl der weiblichen und männlichen Flüchtlinge, von denen sich einige weiterbilden und ihre Qualifikationen verbessern, hat stark zugenommen. Dies hat zu einem potenziellen Anstieg der Zahl zugewanderter Fachkräfte geführt. Drittens haben wirtschaftliche Herausforderungen wie die Interner Link: Rezession weibliche Arbeitsmärkte geprägt. Frauen haben häufiger als Männer ihren Arbeitsplatz verloren, weil sie häufiger in sozial-reproduktiven Sektoren arbeiten, die oft staatlich finanziert sind. Die Sparpolitik hat in diesen Bereichen zum Arbeitsplatzabbau geführt.
Aufgrund dieser politischen und wirtschaftlichen Veränderungen ist das Geschlecht nach wie vor ein wichtiger Faktor für die Art und Weise, wie qualifizierte Migration erlebt wird. In den kommenden zehn Jahren könnten die in Teilen Europas wachsende einwanderungsfeindliche Stimmung und die Veränderung der Konturen der EU durch den Brexit dazu führen, dass sich auch die Muster der qualifizierten weiblichen Migration ändern.
Parvati Raghuram ist Professorin für Geographie und Migration an der Open University, Großbritannien. Ihre Arbeit konzentriert sich darauf, wie Frauen die Globalisierung erfahren und verhandeln, insbesondere, wenn sie sich als Arbeitnehmerinnen bewegen.
Gunjan Sondhi ist Dozentin für Geographie an der Open University, Großbritannien. Aus einer Gender-Perspektive untersucht sie Erfahrungen hochqualifizierter Mobilität.
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