Auf den Kriegsschauplätzen dieser Welt sind Kinder und Jugendliche allgegenwärtig. Und zwar nicht nur als Betroffene von kriegerischer Gewalt, Zerstörung, Hunger, Vertreibung und Flucht. Mittlerweile sind in vielen Ländern Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren, oft auch jünger, ein ernstzunehmender Bestandteil außerstaatlicher bewaffneter Gruppen oder regulärer Armeen. Für Kinder und Jugendliche, die sich dem Zugriff der Warlords oder von staatlichen Rekrutierungsbehörden und einem Kampfeinsatz entziehen wollen, bleibt häufig nur die Flucht. Die von Rekrutierung bedrohten oder bereits rekrutierten Kinder und Jugendliche suchen entweder innerhalb ihres Landes sichere Orte auf. Oder sie müssen ihren Staat wegen der landesweit ausgetragenen Kampfhandlungen verlassen.
Zahlen und Fakten
Nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen waren an den 2017 registrierten 31 Kriegen und bewaffneten Konflikten um die 250.000 Kinder und Jugendliche beteiligt. Allein im Interner Link: Südsudan sollen derzeit ca. 19.000 Kinder und Jugendliche unter Waffen stehen. Im Interner Link: Bürgerkrieg in Syrien werden von allen Seiten Minderjährige eingesetzt. Die Interner Link: Kampftruppen des "Islamischen Staates im Irak und Syrien" (ISIS) rekrutieren systematisch Kinder und Jugendliche im In- und Ausland. Interner Link: Boko Haram in Nigeria oder die Al-Shabaab-Miliz in Somalia lassen Minderjährige für sich kämpfen. Im Jahr 2016 wurden Minderjährige in folgenden Ländern eingesetzt: Kolumbien, Mali, Nigeria, Libyen, Zentralafrikanische Republik, Sudan, Südsudan, Demokratische Republik Kongo, Interner Link: Somalia, Jemen, Syrien, Israel/Palästina, Libanon, Irak, Afghanistan, Pakistan, Indien, Myanmar, Thailand, Philippinen.
Aber auch in demokratisch verfassten Staaten der westlichen Welt werden Minderjährige in Armeen oder in Polizeieinheiten aufgenommen und auf Kriegseinsätze vorbereitet. In Großbritannien und Kanada z.B. beträgt das Rekrutierungsalter 16, in den USA 17 Jahre. In der Bundesrepublik Deutschland traten 2017 2.128 Mädchen und Jungen mit dem Mindestalter von 17 Jahren der Bundeswehr bei – ein neuer Höchstwert. Sie dürfen jedoch nicht in Kampfeinsätze geschickt werden.
Wer oder was sind "Kindersoldaten"?
Im deutschen und französischen Sprachraum war der Begriff "Kindersoldat" oder "enfant soldat" bereits Anfang des 19. Jahrhunderts bekannt. Danach war sein Gebrauch lange Zeit unüblich, denn "Kindersoldaten verkörpern das Gegenbild zum Ideal der modernen Kindheit." Der Begriff zeigt drastisch den Gegensatz zwischen dem unschuldigen Kind oder dem noch nicht voll entwickelten Jugendlichen einerseits sowie den zum Töten trainierten erwachsenen Soldatinnen und Soldaten andererseits. Er widerspricht den Vorstellungen über Kindheit und Jugend als von Fürsorge geprägte Phasen mit besonderen Schutzräumen, die mit der Interner Link: Entwicklung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts im 19. und 20. Jahrhundert entstanden sind.
Der Begriff "Kindersoldat" bzw. "Child Soldier" tauchte dann 1996 in der von der afrikanischen Politikerin und Menschenrechtsaktivistin Graça Machel im Auftrag der Vereinten Nationen (UN) erstellten Studie "Impact of Armed Conflict on Children" wieder auf. 2001 erklärte Machel den Begriff ausführlicher:
"Ein Kindersoldat ist jedes Kind – Junge oder Mädchen – unter 18 Jahren, das per Gesetz, gewaltsam oder freiwillig rekrutiert oder in Kämpfen zwischen Streitkräften, Paramilitärs, Zivilschutzeinheiten oder anderen bewaffneten Gruppen eingesetzt wird."
Dieser Satz beinhaltet vieles, was heute mit der Kindersoldatenproblematik im Zusammenhang steht:
die Altersgrenze "18", die in weiten Teilen der Welt als Alter für Volljährigkeit gilt,
die Berücksichtigung von Mädchen und Jungen als von Rekrutierungen Betroffene,
die Formen ihrer Rekrutierungen wie Wehrpflicht, Zwangsrekrutierung und das sich "freiwillige" Anschließen an militärische Verbände,
die Nennung der für die Nutzung von Kindern als Soldaten verantwortlichen Institutionen, wie (staatliche) Streitkräfte, Paramilitärs, bewaffnete Einheiten zum zivilen Schutz der Bevölkerung und alle anderen (nichtstaatlichen) bewaffneten Gruppen.
In diesem Sinn wird der Begriff "Kindersoldat" heute von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), in der Wissenschaft, in den Medien sowie von Teilen der Politik und des Militärs verwendet. In völkerrechtlich verbindlichen Dokumenten taucht der Begriff "Kindersoldat" jedoch nicht auf.
Völkerrecht
Nach der Interner Link: UN-Kinderrechtskonvention von 1989 ist jeder Mensch unter 18 Jahren ein Kind. Diesem stehen nach der Konvention vielfältige Schutzmaßnahmen insbesondere vor Krieg, Gewalt und Ausbeutung zu. Eine Ausnahme macht das Völkerrecht allerdings bezüglich der Rekrutierung von Minderjährigen. Dort sind die Altersgrenzen 15 und 18 Jahre entscheidend. Der völkerrechtliche Standard in dieser Frage lässt sich wie folgt beschreiben: Unter-15-Jährige dürfen von niemandem rekrutiert werden; Zwangsrekrutierungen sind verboten. Unter-18-jährige Mädchen und Jungen dürfen nur von staatlichen Armeen unter bestimmten Auflagen, wie z. B. der Zustimmung der Eltern, an der Waffe ausgebildet werden. Erst wenn sie 18 Jahre alt sind, dürfen sie an Kampfeinsätzen teilnehmen. Alle anderen bewaffneten Gruppen dürfen keine Unter-18-Jährige rekrutieren. Die UN und viele NGOs setzen sich seit Jahren vergeblich dafür ein, dass die Staaten, die Minderjährige den Eintritt in ihre Armee erlauben, ihr nationales Recht ändern und ihr Rekrutierungsalter anheben.
Geschichte
Ein kurzer Rückblick verdeutlicht, dass Kindersoldatinnen und -soldaten vor allem in Europa und der westlichen Welt eine lange Geschichte haben. Im antiken Sparta wurden Kinder zu Kriegern ausgebildet. Sie mussten zu Übungszwecken gegen die "Heloten" kämpfen und diese töten. Während des Interner Link: Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) schlossen sich tausende von heimatlosen, herumirrenden Kindern den Söldnerheeren an, arbeiteten in den Feldlagern oder auf den Schlachtfeldern. Nur so hatten sie eine Überlebenschance. Im amerikanischen Bürgerkrieg (1861 – 1865) dienten ca. 80.000 Unter-18-Jährige sowohl in der Südstaaten- wie auch in der Nordstaatenarmee, darunter 23.500, die keine 14 Jahre alt waren. Ungefähr 200.000 15- bis 17-jährige Jungen wurden zwischen 1943 und 1945 im nationalsozialistischen Deutschland als Luftwaffen- und Marinehelfer eingesetzt. In den antikolonialen und antiimperialistischen Befreiungskriegen in Afrika und Asien nach 1945 wurden von fast allen Seiten Minderjährige in Kämpfe geschickt. Die Ausbeutung von Mädchen und Jungen als Soldaten wurzelt tief in der Geschichte und hat heute weltweite Ausmaße.
Warum werden Kinder rekrutiert?
Kinder und Jugendliche werden zwangsrekrutiert oder schließen sich "freiwillig" bewaffneten Gruppen an. Sie nehmen aktiv an Kämpfen teil und werden als Kanonenfutter in vorderster Front eingesetzt. Kindersoldatinnen und -soldaten sind an Gräueltaten gegenüber der Bevölkerung, an Plünderungen und Raubzügen beteiligt. Viele von ihnen arbeiten in ihren Einheiten als Anführer oder Ausbilder für andere Kindersoldaten, als Träger, Köche, Spione. Mädchen wie Jungen werden als "Soldatenbräute" von ihren Vorgesetzten missbraucht.
Zwangsrekrutierungen liegen Drohungen mit physischer oder psychischer Gewalt gegenüber den Kindern oder deren Angehörigen zugrunde. Schulen, Dörfer, Stadtviertel werden von Kampftruppen überfallen und die Kinder entführt. Eltern werden mit Gewalt gezwungen, ihre Kinder den bewaffneten Gruppen zu überlassen. Zudem geraten Kinder, die sich auf der Flucht befinden bzw. in Interner Link: Flüchtlingslagern leben, ins Visier der Kriegsherren. In Gebieten wo Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit herrschen, schließen sich Minderjährige bewaffneten Gruppen "freiwillig" an. Dadurch, dass die Kampftruppen ihnen Nahrung, Schlafstätte und einen gewissen Schutz geben, haben sie wenigsten eine minimale Überlebenschance. Auch aus politischer und ideologischer Überzeugung ziehen Kinder in den Krieg. In langandauernden Kriegen gibt es oft keine erwachsenen Rekrutinnen und Rekruten mehr und die jüngere Generation rückt in den Fokus der Militärs. In Gesellschaften mit einer überdurchschnittlich jungen Bevölkerung liegt es nahe, dass Minderjährige rekrutiert werden. Im Südsudan z. B. waren 2017 rund 44 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt.
Die hohe Zahl von Kindersoldatinnen und -soldaten hat ihren Grund auch in den veränderten Bedingungen, unter denen viele Kriege heute stattfinden. Es scheint, als ob immer weniger staatlich finanzierte, politisch kontrollierte und völkerrechtlich eingehegte Armeen aufeinandertreffen. Statt zwischenstaatlicher Kriege gibt es zahlreiche innerstaatliche, dezentrale Kampfhandlungen unterschiedlicher, oft privater, Akteure, beispielsweise im Interner Link: Irak, in Interner Link: Mali, Interner Link: Libyen oder Interner Link: Nigeria. Viele dieser Interner Link: neuen Kriege werden mit einer einfach zu beschaffenden und billigen Tötungstechnik geführt, die auch von Kindern leicht zu bedienen ist: Dazu gehören z.B. Kleinwaffen wie Sturmgewehre, Maschinenpistolen oder Handgranaten. Ziel der Kämpfe ist oft die Herrschaft über kleine, rohstoffreiche Gebiete. Den Kriegsherren geht es dabei um persönliche Bereicherung. Es entstehen sogenannte Gewaltmärkte, deren Kennzeichen Raub, Plünderungen, Entführungen und Erpressungen, Hehlerei, Aneignung internationaler Hilfsgüter sowie die Ausbeutung von Rohstoffen wie z.B. Holz, Wasser, Diamanten oder Coltan sind. Die neuen Kriege mit ihren Gewaltmärkten dienen der Existenzsicherung ihrer Akteure und müssen am Laufen gehalten werden. Alles muss so kostengünstig wie möglich organisiert werden. Kindersoldatinnen und -soldaten sind verglichen mit erwachsenen Soldaten günstiger und anspruchsloser. Sie bilden für bewaffnete Gruppen insofern eine wichtige ökonomische Ressource.
Kindersoldaten als Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik Deutschland
Es gibt keine Zahlen und Daten über geflüchtete Kindersoldatinnen und -soldaten oder von Zwangsrekrutierungen bedrohte Jugendliche, die in den letzten Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Asylgründe werden vom Interner Link: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wegen des damit verbundenen Mehraufwands nicht statistisch erfasst. Ebenso besteht keine "systematische Identifizierung" von ehemaligen Kindersoldaten. Wie viele der ca. 89.000 im Jahr 2017 in die Bundesrepublik eingereisten minderjährigen Schutzsuchenden (darunter rund 9.000 unbegleitete Minderjährige) als Kindersoldatinnen und -soldaten gedient haben, lässt sich daher nicht sagen. Das Katholische Jugendsozialwerk schätzte 2009, dass von den damals 3.000 bis 5.000 hier lebenden Interner Link: unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ca. 100 bis 200 Erfahrungen als Kindersoldaten gemacht hatten. Aber auch ältere, ehemalige Kindersoldaten und diejenigen unter den Flüchtlingen, die keinen Asylantrag stellen, werden nicht erkannt.
Bei Anhörungen im Interner Link: Asylverfahren werden "kinderspezifische Fluchtgründe" besonders beachtet. Zu diesen gehört "die Zwangsrekrutierung als Kindersoldat". Sollten Asylbewerberinnen und –bewerber glaubhaft machen können, dass sie als Kindersoldaten gedient haben oder Zwangsrekrutierungen ausgesetzt waren, kann das im Asylverfahren dazu beitragen, dass ein Interner Link: Schutzstatus gewährt wird. Das gilt für (unbegleitete) minderjährige Geflüchtete ebenso wie für volljährige Antragsteller. Viele Betroffene trauen sich jedoch nicht, sich als Kämpferinnen und Kämpfer zu outen. Scham über begangene Gewalttaten, Angst vor Verfolgung durch die von ihnen verlassene Gruppe oder vor einer angenommenen Bestrafung durch die deutsche Justiz spielen hier eine Rolle.
Doch wäre eine Erfassung von geflohenen Kindersoldatinnen und -soldaten für ihre Resozialisierung wichtig. So könnte gezielter auf die spezifischen Bedürfnisse der Betroffenen eingegangen werden. Beispielsweise könnten auf sie zugeschnittene psychotherapeutische Angebote und spezifische Integrationsprogramme effizient koordiniert und bedarfsgerecht umgesetzt werden. Eine auf die individuellen Traumaerfahrungen von männlichen und weiblichen Kindersoldaten aufbauende Therapie und Betreuung ist Interner Link: für ihre (Re-)Integration in zivile Gesellschaften unerlässlich. Bleibt es bei der jetzigen Praxis des BAMF und anderer Behörden, ist davon auszugehen, dass sich eine erhebliche Dunkelziffer ehemaliger Kindersoldatinnen und -soldaten in der Bundesrepublik aufhält, ohne dass den Betroffenen entsprechend geholfen werden kann.
Zum Thema
Dieser Artikel ist Teil des Interner Link: Kurzdossiers "Kinder- und Jugendmigration"