Anfang der 1960er Jahre führten die Soziologen/Anthropologen Ruth Hill Useem und ihr Mann John Useem, ein Jahr lang ethnographische Forschung über amerikanische Expatriate-Familien1 durch, die in Indien lebten und arbeiteten. Hierbei handelte es sich vorwiegend um Offiziere, Missionare, Technologieexperten, Geschäftsleute, Pädagogen und Journalisten. Das Ehepaar entdeckte, dass die Kinder, die ihre Eltern ins Ausland begleiteten, eine verblüffende Haltung zeigten: Zustimmung zu ihrem Anderssein im Vergleich zu Kindern aus der Umgebung, Verwirrung, die daraus entstand, dass sie nicht wussten, wo "zu Hause" war, und Schwierigkeiten, sich nach der Rückkehr in die USA wieder dort einzuleben und anzupassen. Diese Kinder fanden Trost und Bestätigung in der "dritten Kultur". Diese Lebensart teilten sie mit Personen aus verschiedenen Gruppen, die dieselben Erfahrungen gemacht hatten: häufige Ortswechsel, ein Leben außerhalb des Herkunftslandes und die Notwendigkeit, über kulturelle Grenzen hinweg kommunizieren zu müssen. Die Useems bezeichneten sie als "Third Culture Kids" (TCKs) (Drittkulturkinder), da die Kinder, die ihre Eltern in andere Gesellschaften begleiteten, in gewisser Weise Normen und Werte von drei verschiedenen Arten von Kulturen gleichzeitig verinnerlicht hatten: der Kultur ihres Herkunftslandes (auch als "Passland" bezeichnet), der Kulturen aller Länder, in denen sie gelebt hatten, und der globalen Trans- und Zwischenraum-Kultur, d.h. der "Drittkultur", in der sie kompetent geworden waren.
Was ist Kultur?
Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs Kultur. Die Wissenschaftler David C. Pollock und Ruth E. Van Reken, die für ihren internationalen Bestseller "Third Culture Kids: Aufwachsen in mehreren Kulturen" bekannt sind, beziehen sich in ihrer Forschung zu Drittkulturkindern auf die Definition des Anthropologen Paul Hiebert und definieren Kultur als "ein System gemeinsamer Grundannahmen, Überzeugungen und Wertvorstellungen", das "den Rahmen [bildet], von dem aus wir das Leben und die Welt um uns her interpretieren und deuten". Sie stimmen mit Hiebert darin überein, dass Kultur "ein erlerntes Verhalten [ist], kein instinktives – etwas, was wir von unserer Umgebung aufschnappen und gelehrt bekommen und was von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird".*
*Pollock/Van Reken/Pflüger (2007), S. 52f.
Drittkulturkinder werden
Die beschriebenen Erfahrungen von Kindern aus Expatriate-Familien in Indien können auf der ganzen Welt beobachtet werden. Eltern von Third Culture Kids gehen zur Förderung ihrer Karriere, für eine bessere Bezahlung und andere Vorteile ins Ausland, auch wenn der Zielort, an den sie von ihrem Arbeitgeber geschickt werden, nicht immer ihrem Wunsch entspricht. Die Trägerorganisationen, wie große multinationale Industrien, Außenpolitik, Militär und Missionsbüros, sind für die Schaffung von Drittkulturkindern relevant. Die Dauer der Auslandseinsätze variiert je nach Ermessen der Trägerorganisation. Die meisten Familien von Drittkulturkindern genießen eine Art von Mobilitätshilfe, die von der Trägerorganisation angeboten wird, wie zum Beispiel ein grundlegendes Sprachtraining, Unterstützung beim Umzug, der Wohnungssuche und Schulunterricht für die Kinder. Die Wohnformen dieser Familien sind sehr unterschiedlich. Petrochemische Einrichtungen und Produktionsstätten befinden sich oft in ländlichen Gebieten, wobei für die Mitarbeiter Wohnanlagen bereitgestellt werden, die in der Nähe der Arbeit, jedoch abseits der lokalen Bevölkerung liegen. In ähnlicher Weise wohnen im Ausland stationierte Militärangehörige in einem Wohnkomplex, der gebaut wurde, um die von zu Hause gewohnten Lebensbedingungen des Militärs nachzubilden. Die betroffenen Drittkulturkinder wachsen also zusammen mit anderen Drittkulturkindern auf, die auf demselben Wohngelände und abseits der Lokalbevölkerung leben. Sie konzentrieren sich auf das Leben in ihrer Gemeinschaft, anstatt mit Einheimischen zu interagieren, um die Gastkultur und ihre täglichen Praktiken zu lernen.
Die Expatriate-Familien
Die Familien, die auf eigene Initiative ins Ausland gehen, profitieren von der rasanten Entwicklung in den Bereichen Technologie, Kommunikation und Transportwesen; sie streben eine Verbesserung ihrer Lebensqualität außerhalb des Landes an, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen. Diese Familien suchen proaktiv nach Hilfe und Unterstützung bei ihrem Wechsel ins Ausland – insbesondere in der Expatriate-Gemeinschaft – und lernen, wenn es die Zeit erlaubt, die lokale Kultur und Sprache. Die meisten von ihnen schenken dem Wohlergehen aller Familienmitglieder große Aufmerksamkeit. Dazu gehören die Einhaltung der Einwanderungsbestimmungen für ihren Ehepartner und ihre Kinder, die Sicherstellung, dass ihr Partner oder ihre Partnerin ebenfalls Möglichkeiten hat, am neuen Wohnort eine Karriere oder andere Interessen zu verfolgen, sowie die Planung ihres Umzugs am Ende des Schuljahres, um Störungen im akademischen Kalender möglichst klein zu halten.
Herausforderungen eines mobilen Lebensstils
Mit der wachsenden Forschung zu hoch mobilen Bevölkerungen werden die Vorteile und Herausforderungen eines globalisierten Lebensstils identifiziert und es entsteht ein größeres Bewusstsein für das Phänomen der Third Culture Kids.
Die einschneidenste Erfahrung, wenn man an einen neuen Ort zieht, ist den Kontakt zu den Menschen zu verlieren, die uns mit am nächsten stehen. Die Lebenserfahrungen, die Third Culture Kids im Jugendalter sammeln – dem Lebensabschnitt, den Psychologen als eine entscheidende Phase der Identitätsfindung bezeichnen – beeinflussen höchstwahrscheinlich ihre sozialen Beziehungen später im Erwachsenenleben. Die erlebten Verluste (z.B. von Freunden, vertrauten Routinen, Orten, Haustieren und Besitztümern) können zu unverarbeiteter Trauer führen, die es Drittkulturkindern erschwert, ihre Identität zu definieren. Dies gilt insbesondere für existenzielle Verluste
Kurz gesagt, wenn sie in einem "Modus der Vorläufigkeit" aufwachsen, müssen Drittkulturkinder oft Aufgaben unvollendet lassen oder werden unerwartet von engen Freunden verlassen. Im Erwachsenenalter treten diese Verbindlichkeitsunsicherheiten offensichtlich zutage. Über Third Culture Kids wird berichtet, dass sie ihr Hauptfach während ihres Studiums mehr als einmal ändern; höhere Raten gescheiteter Ehen aufweisen; Probleme haben, sich für eine Karriere zu engagieren, häufig den Arbeitsplatz wechseln und Fernweh entwickeln.
Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel
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