Die Bedeutung von Religion für die Integration von Zugewanderten erfährt in der öffentlichen Debatte in Deutschland seit Jahren eine starke Aufmerksamkeit. Analytisch unterscheiden lassen sich grundsätzlich zwei Fragen:
1) Inwiefern fördert oder hemmt intensiv gelebte Religiosität bzw. die religiöse Pluralisierung den gesellschaftlichen Zusammenhalt (sog. Systemintegration)?
2) Inwiefern fördert oder hemmt Religiosität die Teilhabe einzelner Individuen an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (sog. Sozialintegration)?
Der Beitrag fasst Ergebnisse insbesondere quantitativer sozialwissenschaftlicher Studien zusammen und beruht auf einem umfassenderen Kapitel des Externer Link: Jahresgutachtens 2016 des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).
Zur Wirkung von Religion auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt
Die Frage, ob religiöse Pluralisierung und intensiv gelebte Religiosität den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern oder gefährden, lässt sich nicht kategorisch beantworten. In der Literatur diskutiert und nachgewiesen werden sowohl positive als auch negative Wirkungen.
Für eine positive Wirkung von Religion auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt wird unter anderem angeführt, dass Religionsgemeinschaften einen entscheidenden Beitrag zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft leisten können, da soziales Engagement und Toleranz anderen Gruppen gegenüber zu den wesentlichen Elementen von Religionsgemeinschaften gehören
Eine mögliche negative Wirkung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt können Religionsgemeinschaften jedoch dann entfalten, wenn sie sich nach außen abschotten und sich religiös bzw. weltanschaulich voneinander abgrenzende "Parallelgesellschaften" bilden.
Zur Wirkung von Religion auf gesellschaftliche Teilhabe
Die Frage, inwiefern Religion bzw. intensiv gelebte Religiosität soziale Teilhabe befördert oder hemmt, ist schon deutlich älter als die Diskussion über die Integration von Zugewanderten. Spätestens seit Max Webers These über eine positive Wirkung einer im Protestantismus verankerten Arbeitsethik auf den individuellen beruflichen Erfolg
Für eine positive Wirkung spricht unter anderem, dass Religionen eine bestimmte moralische Ordnung vorgeben können, die sich positiv auf die Lebensführung und somit auf die Teilhabe in der Gesellschaft auswirken kann. Zudem kann angenommen werden, dass in der religiösen Gemeinschaft bestimmte (Sozial-)Kompetenzen erlernt werden, die die Teilhabe in einer Gesellschaft positiv beeinflussen.
Für eine negative Wirkung von Religiosität werden unter anderem in bestimmten Religionsgemeinschaften vorherrschende Vorstellungen über Geschlechterrollen angeführt, die insbesondere die Teilhabechancen ihrer weiblichen Mitglieder hemmen können.
Zusammenhänge zwischen Religiosität und Bildungsbeteiligung
Im Hinblick auf mögliche Zusammenhänge von Religiosität und der Teilhabe an zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ist die Forschungslage in den USA deutlich besser als in Deutschland bzw. Europa. Allerdings nehmen die bestehenden US-Untersuchungen nur in Ausnahmefällen migrationsspezifische Aspekte in den Blick.
So wurde bezogen auf die Bildungsbeteiligung in den USA festgestellt, dass mit einer stärkeren religiösen Partizipation unter anderem bessere Schulleistungen, höhere Bildungsaspirationen, ein längerer Schulbesuch sowie eine geringere Wahrscheinlichkeit, die Schule vorzeitig abzubrechen, einhergehen.
Für den deutschen Kontext deuten nur wenige Studien auf einen signifikanten Zusammenhang zwischen Religion und der Bildungsbeteiligung hin. Es liegen bislang kaum belastbare empirische Befunde vor, die zudem nicht verallgemeinert werden können, da sie auf begrenzten Stichproben beruhen. Die identifizierten Zusammenhänge zwischen Religion und Bildungsbeteiligung in einzelnen Geburtskohorten, z.B. ein niedrigeres Bildungsniveau für Mitglieder der katholischen Kirche, sind vergleichsweise schwach.
Zusammenhänge zwischen Religiosität und Erwerbsbeteiligung
Auch mit Blick auf die Erwerbsbeteiligung ist die Forschungsliteratur für Deutschland und Europa überschaubar. Existierende Studien konzentrieren sich auf die Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben im Zusammenhang mit Religionszugehörigkeit. Sie finden eine geringere Arbeitsmarktpartizipation von Frauen in katholisch geprägten Ländern im Vergleich zu protestantisch geprägten Staaten. Zudem verweisen sie auf einen positiven Zusammenhang zwischen protestantischer Religionszugehörigkeit und dem Arbeitswunsch von Frauen bzw. einer positiven Einstellung zur Erwerbstätigkeit von Frauen.
Zusammenhänge zwischen Religiosität und zivilgesellschaftlicher sowie sozialer Teilhabe
Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Religiosität und zivilgesellschaftlicher Teilhabe haben verschiedene Untersuchungen – insbesondere von Richard Traunmüller
Zusammenhänge zwischen Religiosität und Demokratiedistanz sowie Straffälligkeit
Häufig diskutiert wird die Frage, inwiefern Religiosität und demokratieferne Einstellungen zusammenhängen, unter anderem, da Letztere auch als potenzieller Indikator für Radikalisierung angesehen werden. Insgesamt gilt, dass hochreligiöse Personen eher zu demokratiefernen Einstellungen neigen.
Neben den Zusammenhängen zwischen Religion und Einstellungen zur Demokratie beschäftigen sich zahlreiche Studien mit dem Zusammenhang von Religion und Straffälligkeit (Delinquenz): Meta-Analysen sowie Längsschnittstudien in den USA finden einen Delinquenz senkenden Effekt von Religion.
Fazit
Hinsichtlich des Zusammenhangs von Religion bzw. Religiosität und Integration können zwar einige Befunde mittlerweile als gesichert gelten, andere jedoch bislang nicht: Vergleichsweise gut belegt ist, dass individuelle Religiosität in Form einer aktiven religiösen Teilhabe das Vertrauen in Mitmenschen und somit den gesellschaftlichen Zusammenhalt positiv beeinflusst. Desweiteren konnte nachgewiesen werden, dass religiöser Pluralismus keine generelle Gefahr für den sozialen Zusammenhalt innerhalb einer Gesellschaft darstellt. Allerdings kann sich eine starke Abgrenzung von Religionsgemeinschaften nach außen negativ auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirken.
Darüber hinaus legen die vorliegenden empirischen Befunde nahe, dass die individuelle Religiosität bzw. die Religionszugehörigkeit so gut wie keinen Effekt auf die gesellschaftliche Teilhabe der Gläubigen hat, wenn ihr sozialer Hintergrund berücksichtigt wird. Dies gilt insbesondere für die Bildungs- und Arbeitsmarktbeteiligung: In diesen Bereichen feststellbare religions- bzw. religiositätsabhängige Unterschiede lassen sich vor allem durch in bestimmten Gruppen vorherrschende Geschlechterrollen erklären. Weiterer Forschungsbedarf besteht im Bereich der Delinquenz: Zwar ist grundsätzlich nachgewiesen, dass Religiosität eine präventive Wirkung hat, Straffälligkeit also vorbeugt. Dieser Effekt ist jedoch bei jungen männlichen Muslimen nicht zu finden, was auf in dieser Gruppe dominante Männlichkeitsvorstellungen zurückgeführt wird. Anhand der empirischen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Religion und Teilhabe lässt sich abschließend festhalten, dass die Bedeutung von Religion für gesellschaftliche Teilhabe allgemein überschätzt wird. Stattdessen ist es vielmehr die soziale Herkunft, die über Teilhabechancen bestimmt.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers