In der deutschen Migrationsgesellschaft werden im Alltag häufig durch die Unterscheidung "Wir" und "die Anderen" Trennlinien zwischen Menschen gezogen, die zum deutschen "Wir" dazugehören und solchen, die (vermeintlich) nicht oder nicht "richtig" dazugehören. Dies betrifft auch Jugendliche mit Migrationshintergrund, die in Deutschland aufgewachsen sind. Wenn sie auf die Frage "Woher kommst du?" die deutsche Stadt nennen, in der sie groß geworden sind, so lässt das Gegenüber diese Antwort oft nicht gelten, sondern fragt weiter: "Woher kommst du wirklich? Woher kommt deine Familie?". Ihre Zugehörigkeit zum deutschen "Wir" wird dadurch angezweifelt. Diese wiederholten Erfahrungen wirken sich auch darauf aus, wo die Jugendlichen sich selbst zugehörig fühlen.
Im Folgenden geht es um subjektive Erfahrungen mit Zugehörigkeitszuschreibungen russlanddeutscher Schüler_innen. Diese sollen am Beispiel von Julia und Anna dargestellt werden, die die achte Klasse in einer deutschen Großstadt besuchen. Mit Julia und Anna
Rassismus
Die Rassismusforscher Paul Mecheril und Claus Melter (2010) verstehen Rassismus als ein soziales Unterscheidungssystem, in dem Menschen als erkennbar verschieden konstruiert werden. Die Unterscheidung wird auch als Rassialisierung bezeichnet. Im Rassismus wird bestimmten sozialen Gruppen aus einer machtvollen Position heraus vermeintliche nationale, ethnische oder kulturelle "Andersheit" zugeschrieben. Damit verbunden sind Vorstellungen über die betroffenen sozialen Gruppen. Den Gruppen werden Eigenschaften und Wesensmerkmale zugeschrieben, die als wahr und zutreffend gelten. Die Unterscheidungen werden auf der zwischenmenschlichen Ebene, aber auch beispielsweise in Büchern und Medien und auf institutioneller Ebene (z.B. in Behörden oder Erlassen) wiederholt und gefestigt. Die als "Andere" betrachteten Gruppen werden abgewertet oder als hier nicht zugehörig verstanden. Dies legitimiert Ausgrenzung und Ungleichbehandlung.
Die Alltäglichkeit von Rassismus
Der Hinweis auf die Alltäglichkeit von Rassismus unterstreicht, dass Rassismus uns alle betrifft und nicht etwa nur rechtsextreme Gewalttäter_innen und ihre Opfer. Rassismus beschränkt sich in diesem Verständnis nicht auf körperliche rassistische Übergriffe, sondern schließt auch subtilere Äußerungsformen mit ein. Wir leben in einer Gesellschaft, in der unterschieden wird zwischen fraglos dazugehörigen Menschen, die sich hier legitimerweise aufhalten, und nicht selbstverständlich dazugehörigen Menschen, deren Verhältnis zum Hier oftmals infrage gestellt wird. Diese unterschiedliche Position in der Gesellschaft und die damit einhergehenden unterschiedlichen Erfahrungen betreffen uns alle.
Fußnoten
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Mecheril & Melter (2010), S. 150, 156 und Scharathow (2014), S. 47.
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Mecheril (2007), S. 6.
Deutsch sein
Sowohl für Julia als auch für Anna ist es schwierig, sich als Deutsche zu bezeichnen. Julia erläutert, dass sie mittlerweile dazu übergegangen ist, anderen gegenüber zu sagen, dass sie Russin sei, obwohl sie selbst der Meinung ist, sie sei Deutsche, da ihre Eltern Deutsche sind. Sie selbst bezieht sich in ihrer Verortung als Deutsche auf die Kategorie der Abstammungsgemeinschaft. Damit greift sie auf den ideologisierten Volksbegriff der
Russlandbilder
Die Schülerinnen setzen sich mit in der deutschen Gesellschaft kursierenden Vorstellungen von Russland auseinander. Mit Russland würden demnach eine vermeintliche sozio-ökonomische und technologische Rückständigkeit, eine wilde und gefährliche Natur sowie Alkohol assoziiert. Zum Beispiel gebe es die Vorstellung, "dass dort Bären auf den Straßen rumlaufen" und man "immer noch mit Kerzen"
Die in der Mehrheitsgesellschaft vorherrschenden Vorstellungen von Russland werden für die russlanddeutschen Schülerinnen auch persönlich bedeutsam. Sie erläutern, dass auch diejenigen, die diesem Land zugeordnet würden als "rückständig" eingeordnet würden. Dies wiederum führe dazu, dass man aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werde. Anna berichtet zudem von einer Situation, in der "ein deutscher Junge" auf die Information, sie sei Russin, folgendermaßen reagiert habe: "Dann meinte er sofort, dass man bei dem Spiel Call of Duty die Russen erschießen muss und hat mich ausgelacht". Die Jugendliche wurde in dieser Situation doppelt verletzt. Der Junge macht sie zu einem Mitglied der "Opfergruppe" seiner virtuellen Freizeitbeschäftigung und verhöhnt sie dabei zugleich.
Solche Erfahrungen teilen die russlanddeutschen Schülerinnen Julia und Anna mit ihren Freundinnen Stella und Amina. Auch diese erleben im Alltag verschiedene Vorstellungen über Kollektive von Menschen (Afrikaner_innen, Muslim_innen), die dann auf die Mädchen persönlich projiziert werden.
Ausgrenzungserfahrungen
Der Hidschab von Amina und die Hautfarbe von Stella werden im Alltag meist rassialisiert
Interessant an der Freundschaftsgruppe ist, dass sie ihre ähnlichen und doch unterschiedlichen Erfahrungen in der deutschen Migrationsgesellschaft gemeinsam bearbeiten. In einer Studie von Dietrich (2009) über russlanddeutsche Jugendliche und Rassismus grenzten sich die befragten russlanddeutschen Jugendlichen dagegen von anderen Gruppen Migrationsanderer
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers