In Diskussionen über die Verbundenheit von Migrierten und ihren Nachkommen mit ihrem Herkunftsland fallen oft Schlagwörter wie "Parallelgesellschaft" oder "kulturelle Abschottung"
Russische Diaspora – Definition
Zur russischen Diaspora werden Personen gezählt, die sich im Ausland lebend auf irgendeine Art und Weise mit der russischen Kultur und mit dem Raum der ehemaligen Sowjetunion verbunden fühlen. Für die Medienauswahl und die Mediennutzung sind Fragen der eigenen Zuordnung prägend. Gleichzeitig haben die genutzten Medien wiederum Einfluss auf die Identitätsorientierung der Diasporamitglieder. Zudem ist ihre Alltagswelt durch eine umfassende Durchdringung mit Medien geprägt. Mithilfe von Medien entwickeln Eingewanderte und ihre Nachkommen ein geteiltes Selbstverständnis der Zugehörigkeit zur russischen Diaspora. Medienbilder prägen das, was sie als ihre kulturelle Herkunft konstruieren. Die Herkunftsorte ihrer Familie kennen sie einerseits aus ihren Besuchen dort. Andererseits bleiben sie mittels Telefon, Social Media und anderen Medien in Kontakt mit ihren dort lebenden Familienangehörigen.
Mediennutzung allgemein
Eine allgemeine Übersicht der Mediennutzung der russischen Diaspora liefern die Daten der ARD/ZDF-Studie "Medien und Migranten 2011".
Mediennutzung – eine Typologie
In ihrer qualitativen Studie, in der sie neben 32 bzw. 37 Personen der marokkanischen und der türkischen Diaspora auch 31 Personen der russischen Diaspora vertieft durch Interviews, Medientagebücher
Vereinfacht lässt sich sagen, dass Herkunftsorientierte eine subjektiv gefühlte Zugehörigkeit zu ihrer Herkunftsregion in der ehemaligen Sowjetunion haben, die ihr Leben in der "Fremde" prägt. Diese gefühlte Zugehörigkeit kann, muss jedoch nicht auf einer Sozialisation in der Herkunftsregion beruhen. Gerade bei jüngeren Diasporaangehörigen, die weitgehend in Deutschland, dort aber stark fokussiert auf die Gemeinschaft der russischen Diaspora aufgewachsen sind, basiert die herkunftsorientierte Zugehörigkeit eher auf Vorstellungen oder Erfahrungen, die sie im Zuge von Urlaubsreisen in die Herkunftsregion (ihrer Vorfahren) gesammelt haben. Ihre kulturelle Identität definieren diese Menschen – das zeigen qualitative Interviews aus der genannten Studie – schlicht als "Russe" oder als zu der "sowjetischen Kultur" gehörend.
Die herkunftsorientierte kulturelle Identität der Migrierten dieser Gruppe zeigt sich u.a. darin, dass ihre Deutschkenntnisse eher schlecht sind und sie im Alltag hauptsächlich auf Russisch kommunizieren. Die Aufrechterhaltung dieser Identität in der Fremde findet auch vermittelt über die Mediennutzung statt. So konsumieren Herkunftsorientierte russisches Fernsehen, um sich über aktuelle Geschehnisse in ihrer Herkunftsregion in der ehemaligen Sowjetunion zu informieren. Sie verwenden den Computer und das Smartphone, um über das Internet russische Filme und Serien zu laden. Die generelle Ausrichtung auf die russische Herkunft manifestiert sich deutlich beispielsweise an der Nutzung russischer Suchmaschinen und Nachrichtenportale wie Yandex.ru oder Rambler.ru. Ihre meist russischsprachigen Freundinnen und Freunde und Bekannten leben in ihrer Herkunftsregion und in Deutschland. Mit diesen sind sie meistens über die russischen Social Networking-Seiten vkontakte.ru oder odnoklassniki.ru vernetzt.
Anders verhält es sich bei der Gruppe der ethnoorientierten Diasporaangehörigen. Die Bezeichnung dieser Gruppe verweist darauf, dass diese ihre Zugehörigkeit im Spannungsverhältnis zwischen ihrem Herkunftsland und ihrem aktuellen Lebensort Deutschland sieht. Sie bezeichnen sich selbst charakteristischer Weise als "Russlanddeutsche", "Deutschrussen" oder "Deutsche". Im Zentrum der Zugehörigkeit steht jedoch der Teil der jeweiligen russischen Diasporagemeinschaft, der in Deutschland lebt. Mit der Bezeichnung "Ethnoorientierte" soll verdeutlicht werden, dass für solche Personen Fragen der ethnischen Verortung ein wichtiger Aspekt der Identitätsorientierung sind. Viele von ihnen
Diesem bikulturellen Spannungsverhältnis ethnischer Zugehörigkeit entspricht die kommunikative Vernetzung der ethnoorientierten Angehörigen der russischen Diaspora. Neben deutschem Fernsehen konsumieren sie auch solche russischen Fernsehsender wie den für das Ausland produzierten Sender Rossija 1. Für die Vernetzung mit anderen Diasporaangehörigen in Deutschland, aber auch mit Freundinnen und Freunden und Familie im Raum der ehemaligen Sowjetunion, nutzen die Ethnoorientierten russische Social Networking-Seiten oder die deutsche Seite germany.ru, die im deutschsprachigen Raum lebende Russischsprachige adressiert. Gleichzeitig pflegen sie ihre deutschsprachigen Kontakte auf Facebook.
Die dritte Gruppe der Angehörigen der russischen Diaspora, die man in Bezug auf ihre Zugehörigkeitsbeschreibung und daran angelehnte Mediennutzung unterscheiden kann, sind die Weltorientierten. Für diese Gruppe sind Fragen ethnischer Zugehörigkeit eher unwichtig. Sie bezeichnen sich als "Weltmensch" oder als "Europäer". Ihre subjektiv gefühlte kulturelle Zugehörigkeit sehen sie jenseits des Nationalen. Vorstellungen der Nation als primärer zugehörigkeitsstiftender Rahmen lehnen sie ab. Stattdessen werden das supranationale Europa oder gar das Menschsein als solches zum Bezugspunkt von Zugehörigkeit. Ähnlich ausgerichtet ist auch ihre Mediennutzung. Neben deutschen Fernsehsendern wie ARD, ZDF oder RTL nutzen die Weltorientierten internationale Sender wie BBC, Deutsche Welle oder Euronews. Sie weisen ein transkulturelles Freundschaftsnetzwerk auf und sind über die Social Networking-Seite Facebook, E-Mail und Skype mit Freundinnen und Freunden, die neben der russischen Herkunft diverse andere Nationalitäten aufweisen und in verschiedenen Ländern leben, vernetzt.
Die beschriebene Typologie der Mediennutzer_innen in der russischen Diaspora zeigt die Pluralität dieser Diaspora sowohl auf der Ebene der Identitätsorientierung als auch auf der Ebene der Mediennutzung. Sie unterstreicht die skizzierten Ergebnisse der ARD/ZDF-Studie "Medien und Migranten 2011". Und sie zeigt: Mediennutzung und Identitätsorientierung bedingen sich gegenseitig. Eine herkunftsorientierte kulturelle Identität geht mit einer medialen Orientierung auf die Herkunftsregion der ehemaligen Sowjetunion und der medienvermittelten Kommunikation mit dort lebenden Menschen sowie Teilen der russischen Diaspora in Deutschland einher. Ein Selbstverständnis doppelter kultureller Zugehörigkeit in Form einer Ethnoorientierung entspricht einer Nutzung von Medien aus dem Herkunftsland und dem aktuellen Aufenthaltsland (Deutschland). Eine europäische bzw. globale Zugehörigkeit spiegelt sich in einer globalen Ausrichtung der Mediennutzung wider. Insgesamt bilden Ethnoorientierte die größte Gruppe unter den in der Studie befragten Angehörigen der russischen Diaspora (siehe Tabelle).