Auf der Suche nach analytischen Konzepten, um die Erfahrungen von Migrantinnen und Migranten zu untersuchen und zu beschreiben, haben die Begriffe Exil, Diaspora und Transmigration über die Grenzen verschiedener Wissenschaftsdisziplinen hinweg (unter anderem Politikwissenschaft und Soziologie, Ethnologie und Anthropologie, Kulturwissenschaften und Geografie) viel Aufmerksamkeit erfahren. Während Exil und Diaspora historische Begriffe sind und insbesondere letzterer seit den 1960er Jahren zunehmend in akademischen Debatten Verwendung findet, wurde die Idee von transnationaler Migration beziehungsweise Transmigration in den 1990er Jahren populär.
In der gegenwartsbezogenen Migrationsforschung sind Diaspora und Transmigration neben Exil häufig genutzte Termini, deren Bedeutungen sich zu unterschiedlichem Grad überschneiden und mitunter schwer voneinander zu trennen sind. Auch wenn diese Begriffe bisweilen synonym verwendet werden, so unterscheiden sich die (idealtypischen) Konzepte zu Exilierten, Diasporen und Transmigranten doch insbesondere hinsichtlich ihrer Vorstellungen von Heimat und Fremde, ihren Beziehungen zum Aufenthalts- und Heimatland sowie in Bezug auf ihre Identität und Loyalität und dem Gefühl von Marginalisierung und Hybridität (Zugehörigkeit zu mehreren kulturellen Räumen) voneinander.
Der Begriff Exil ist eng mit der klassischen Verwendung des Konzepts Diaspora verknüpft, dessen prototypisches Beispiel die jüdische Diaspora ist. Beide Begriffe beschreiben dabei Gruppen, die die historische Erfahrung von Verfolgung oder erzwungener Migration aus ihrem Heimatland teilen. Diese Erfahrungen sind geprägt durch die (mitunter weltweite) Zerstreuung ihrer Mitglieder, von einem Leben in der Fremde, dem Gefühl des Verlusts und der Marginalisierung sowie der Sehnsucht nach der Heimat und dem Wunsch nach Rückkehr. Exil und Diaspora beschreiben somit eine geografische Vertreibung beziehungsweise Entwurzelung von Menschen, Identitäten und Kulturen, die häufig auf die eine oder andere Art zu Widerstand und Hybridität führen.
In den 1990er Jahren führten Debatten über die klassische Definition und Bedeutung von Diaspora zu einer Begriffserweiterung dieses Konzepts. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen begannen, den exilbezogenen Eigenschaften von Diaspora (wie der unfreiwilligen Migration, Verfolgung, Leiden und dem Rückkehrwunsch) weniger Bedeutung zu schenken und stattdessen transnationale Aktivitäten und Praktiken hervorzuheben, die die Diasporagemeinschaften in verschiedenen Aufnahmeländer und das Herkunftsland miteinander verbinden.
Vor diesem Hintergrund bietet der Beitrag im Folgenden einen Überblick und eine Auseinandersetzung mit drei zentralen, sich überschneidenden Konzepten der Migrationsforschung. Dabei werden die Begriffe Exil, Diaspora und Transmigration aus semantischer und historischer Perspektive betrachtet und ihre Schnittmengen und Unterscheidungsmerkmale herausgestellt.
Exil und Diaspora
Wie Migration sind auch Exil und Diaspora Begriffe, die allgemein geläufig sind und auch außerhalb wissenschaftlicher Diskurse genutzt werden, deren Definition jedoch nicht einfach ist. Sowohl für Diaspora als auch für Exil gibt es eine Vielzahl von Auslegungen. Exil (lateinisch exilium, zu ex(s)ul = in der Fremde weilend, verbannt) bezeichnet im Allgemeinen die Vertreibung oder Verbannung von einem bestimmten Ort durch einen institutionellen Akt der Gewalt, während Diaspora (vom griechischen Verb diaspeirein = aus- beziehungsweise verstreuen) als Zerstreuung einer Gemeinschaft aus ihrer ursprünglichen Heimat über mehrere fremde Regionen verstanden werden kann.
Die Bedeutungen beider Ausdrücke sind semantisch und historisch eng miteinander verknüpft, und ihre Definitionen überschneiden sich insbesondere in Bezug auf die für beide Begriffe zentralen Elemente der Vertreibung und der Beziehung zum Heimatland. Eine klare Abgrenzung der beiden Konzepte voneinander ist daher nicht möglich und auch nicht sinnvoll.
Der Begriff Exil ist Bestandteil vieler Definitionen von Diaspora. So beschreibt beispielsweise der Sozialwissenschaftler Robin Cohen Diaspora als ein kollektives Trauma, eine Verbannung, in der die Sehnsucht nach der Heimat einem Leben im Exil entgegensteht, das dazu beiträgt, starke kollektive Identitäten als Leidensgemeinschaft aufrechtzuerhalten.
Dabei unterlag der Begriff diaspora beziehungsweise diaspeirein in seiner semantischen Geschichte mehreren Bedeutungsänderungen.
Kollektivität versus Individualität:
Ein in der wissenschaftlichen Literatur auszumachender Unterschied findet sich darin, dass Exil tendenziell als individuelle Erfahrung gilt.
(Un)Freiwilligkeit:
Diasporen und Exilierten ist gemeinsam, dass ihre Migration primär durch Umstände in ihrer Heimat verursacht wurde, die nicht mit dem Wunsch, sich ein neues Leben anderswo aufzubauen, in Verbindung stehen. Der Aspekt des Zwangs beziehungsweise der Gewalt wird dabei in der wissenschaftlichen Literatur für beide Konzepte insbesondere hinsichtlich der Ursachen und des Prozesses der Abwanderung herausgestellt. In Bezug auf den Zustand (das heißt ein Leben im Exil oder in der Diaspora) findet der Aspekt der Unfreiwilligkeit jedoch stärkere Betonung für das Exil. Ähnlich wie bei Diaspora handelt es sich beim Exil allgemein um eine langfristige Trennung vom Heimatland infolge von Verbannung, Vertreibung, Ausbürgerung, politischer oder religiöser Verfolgung durch eine Obrigkeit oder untragbaren (politischen) Verhältnissen. Das Verlassen der Heimat beruht somit in beiden Fällen auf Zwang. Während das sich in der Folge ergebende Leben in der Diaspora in der wissenschaftlichen Literatur jedoch durchaus auch auf Freiwilligkeit beruhend betrachtet wird, trifft dies für ein Leben im Exil in der Regel nicht zu.
Heimat und Zugehörigkeit:
Ein grundlegender Unterschied zwischen Exil und Diaspora kann in der Vorstellung von Heimat gesehen werden. Während Mitglieder einer Diaspora zwar eine enge (emotionale) Bindung zu ihrem Ursprungsland besitzen, dieses als wahres Zuhause betrachten und ihre eigene (kulturelle) Identität pflegen, sind sie in der Lage, sich mit einem Leben anderswo, das heißt außerhalb ihres Heimatlandes, zu arrangieren, soziale und symbolische Verbindungen zum Aufenthaltsland aufzubauen und dieses zu einem gewissen Grad zur Heimat in der Fremde werden zu lassen. Für Exilierte dagegen bleibt das Leben im Gastland ein provisorischer, vorübergehender Aufenthalt als Fremde "always out of place" und "outside habitual order", das Gastland selbst ein "territory of non-belonging".
Wunsch nach Rückkehr:
Exil und Diaspora unterscheiden sich auch in ihrem Verständnis von Rückkehr. Anders als für Exilierte stellt das Heimatland für Diasporen nicht zwangsläufig einen Ort der unmittelbaren physischen Rückkehr dar. Es bildet vielmehr einen wichtigen (geistigen) Bezugspunkt der eigenen individuellen und kollektiven Identität und Zugehörigkeit. Zwar streben auch Diasporen prinzipiell nach Rückkehr, sind gedanklich fest in ihrer Heimat verankert und identifizieren sich mit dieser; wenn diese jedoch nicht erreichbar ist, nicht länger existiert oder identifiziert werden kann, sind sie in der Lage, zu akzeptieren, dass eine physische Rückkehr vielleicht niemals möglich sein wird. Diaspora ist ein beständiger, wenn nicht permanenter Zustand, der Generationen überdauern kann. Exil dagegen, obgleich prinzipiell ebenfalls langfristig, wird von Exilierten selbst lediglich als temporärer Zustand begriffen. Für sie ist die Heimat ein physischer Ort, an den es, sobald es die Umstände zulassen (das heißt sobald die für das unfreiwillige Verlassen der Heimat verantwortlichen Ursachen beseitigt sind), zurückzukehren gilt. Exil geht also nicht nur mit der Sehnsucht nach der Heimat einher, sondern auch mit dem allgegenwärtigen Streben nach baldiger, tatsächlicher Rückkehr.
Identität:
Obgleich sich Diasporen, ebenso wie Exilierte, stark mit ihren historischen, religiösen, kulturellen, linguistischen und nationalen Wurzeln identifizieren, haben auch die Erfahrungen des Prozesses und des Ergebnisses ihrer Abwanderung Auswirkungen auf ihre Identitätsformierung. In der Diasporaforschung werden die Identitäten von Diasporen daher häufig als hybride beziehungsweise fragmentierte Identitäten beschrieben, die sich als Resultat verschiedener Einflüsse und der Entwicklung eines Empfindens mehrere Zugehörigkeiten hier (Aufenthaltsland) und dort (Heimatland) ergeben. Hybridität und Heterogenität sind Attribute, die Exilierten dagegen weniger zugeschrieben werden. Edward Said beschreibt Exil als einen grundsätzlich unterbrochenen Daseinszustand, der aus der erzwungenen Trennung der Exilierten von ihren Wurzeln, ihrem Land und ihrer Vergangenheit resultiert.
Transnationalität:
Diaspora wird in der Migrationsforschung allgemein als ein Netzwerk verschiedener Gemeinschaften gleichen Ursprungs außerhalb des Heimatlandes verstanden, das die triadischen Beziehungen zwischen der (global) zerstreuten Diaspora, den verschiedenen Aufnahmeländern sowie dem Heimatland umfasst. In dieser Eigenschaft einer spezifischen Form transnationaler Gemeinschaften, die nicht nur bedeutende soziale und symbolische Beziehungen zum Heimat-, sondern auch zum Aufenthaltsland unterhalten, unterscheiden sich Menschen in der Diaspora von Exilierten, deren primärer Bezugspunkt beim Heimatland liegt.
Politische Aktivitäten:
Obwohl sowohl Diaspora als auch Exil im Allgemeinen einen politischen Hintergrund der unfreiwilligen Migration aus dem Herkunftsland implizieren, trägt insbesondere das Konzept Exil eine starke politische Konnotation. Die empirische Exilforschung und die historische und gegenwärtige Exilliteratur kennen zahlreiche Beispiele von Exilierten, deren Leben von politischem Kampf und dem starken Wunsch, wenn nicht sogar dem Gefühl der Pflicht, nach dem Exil zurückzukehren, bestimmt war und ist. Folglich wird Exil auch konzeptionell häufig im Zusammenhang mit heimatlandpolitischem Aktivismus oder dem Diskurs eines zu erreichenden politischen Wandels im Herkunftsland diskutiert. So sieht der Politikwissenschaftler Yossi Shain Exilierte als aus dem Heimatland Vertriebene, die durch politische Aktivitäten, die gegen die Politik des Regimes im Heimatland, gegen das Regime selbst oder gegen das gesamte politische System gerichtet sind, versuchen, Bedingungen für eine baldige Rückkehr zu schaffen.
Definitionen beanspruchen in der Regel Allgemeingültigkeit und Unveränderlichkeit. Exil und Diaspora sollten jedoch nicht als statische Zustände verstanden werden: Sie überschneiden sich semantisch und konzeptionell und können ineinander übergehen. So kann Diaspora als mögliche Entwicklung von Exil betrachtet werden, das heißt, Exil kann mit der Zeit zu Diaspora werden, wenn die ersehnte, baldige Rückkehr ins Heimatland verwehrt bleibt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich über einen langen Zeitraum keine politischen Veränderungen im Heimatland ergeben und Exilierte ihre Hoffnung auf Rückkehr ins Heimatland aufgeben. Oder wenn sie sich mit der Vorstellung, irgendwann zurückzukehren, arrangieren, sich graduell auf ein Leben im Aufenthaltsland physisch und gedanklich einlassen, eine Neuverhandlung von Heimat trotz des Wunsches nach Rückkehr zulassen und sich in der Lage sehen, Wurzeln an einem Ort zu schlagen, der zuvor als lediglich vorläufig und vorübergehend erschien.
Diaspora und Transmigration
Anfang der 1990er Jahre löste sich im Zusammenhang mit Debatten um Globalisierungstheorien und Phänomenen des Transnationalismus der zuvor grundsätzlich negativ besetzte Begriff Diaspora semantisch von den historischen Exilerfahrungen des jüdischen Beispiels, das bis dahin die Vorlage vieler Definitionsansätze zur Beschreibung dessen, was eine Diaspora ausmacht, war. Kritik an der essenzialisierenden Benutzung des Terminus (auf die jüdische und nur wenige weitere historische Erfahrungen beschränkt)
Der Begriff Diaspora wurde zunehmend in die semantische Nähe des in den 1990er Jahren populär werdenden Konzepts Transnationalismus beziehungsweise Transmigration gerückt. Der Begriff transmigrant beziehungsweise transnational migrant findet heute breite Verwendung in der Migrationsforschung, um eine Form von Migranten zu beschreiben, die mannigfaltige Beziehungen aufbauen und unterhalten, die die Gesellschaften ihrer Herkunftsländer mit denen ihrer Aufenthaltsländer verbinden.
Die Debatten um einen Paradigmenwechsel in der wissenschaftliche Literatur weg vom starren Konzept von Diaspora als nation-in-exile hin zu einer semantischen Erweiterung des Begriffs hinterließen der Migrationsforschung jedoch eine Reihe uneindeutiger Merkmalszuschreibungen für Diasporas im auslaufenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert. Charakteristika, wie die Zerstreuung einer Gruppe, die einen gemeinsamen nationalen, kulturellen oder ethnischen Ursprung teilt, über mindestens zwei verschiedene Länder und die Unterhaltung von Netzwerkbeziehungen zwischen diesen verschiedenen Orten sowie symbolische oder reale Beziehungen zum Heimatland, treffen auf verschiedenste Migrationsformen zu, einschließlich der Transmigration. Warnungen vor dem inflationären Gebrauch des Begriffs Diaspora beziehungsweise seiner unkritischen und unreflektierten Anwendung auf jedwede Art globaler Zerstreuung oder Form der Migration wurden lauter.
Auch wenn der häufig diskutierte Vorschlag des Politikwissenschaftlers William Safran, den Exilcharakter von Diaspora als Definitionsgrundlage beizubehalten,
Schlussbetrachtung
Wie ich dargelegt habe, gibt es wesentliche konzeptionelle und terminologische Überschneidungen der Begriffe Exil, Diaspora und Transmigration. Die Konzepte weisen viele gemeinsame Merkmale auf und sind daher nicht klar voneinander trennbar. Sie sind jedoch auch keine Synonyme und ihre Unterschiede sind entscheidend. Die konzeptionelle Gemeinsamkeit aller drei Begriffe liegt darin, dass sie Migrationsbewegungen von Menschen über Grenzen hinweg beschreiben. Zudem beziehen sich alle drei Begriffe auf die Erfahrungen der geografischen Trennung vom und der Neuverortung außerhalb des Herkunftsortes sowie der damit einhergehenden Aushandlung von (unter anderem nationalen, sozialen und kulturellen) Identitäten. Dabei unterscheiden sich Exilierte, Diasporen und Transmigranten jedoch deutlich in ihrem Verständnis von Zugehörigkeit und der Vorstellung von Heimat. Der Beitrag verdeutlicht auch, dass die Bedeutungen der diskutierten Begriffe nicht statisch sind, sondern durchaus semantischem Wandel unterliegen. Während sich zum Beispiel der Begriff Diaspora ursprünglich konkret auf das Exil des jüdischen Volkes und seine Zerstreuung außerhalb des historischen Heimatlandes bezog, findet er heute zunehmend Anwendung auf transnationale Migrationsformen.
Trotz (oder gerade wegen) aller semantischen und konzeptionellen Gemeinsamkeiten der drei diskutierten Begriffe bleibt es eine Aufgabe der aktuellen Migrationsforschung, auch die wesentlichen Unterschiede von Exil, Diaspora und Transmigration als wichtige Kategorien dieses Forschungsfeldes herauszustellen, um eine klarere, analytisch sinnvolle Typologie verschiedener Migrationsformen zu erarbeiten – eine Typologie, die nicht starr ist (und nicht sein kann), aber es der theoretischen und empirischen Migrationsforschung ermöglicht, die Mannigfaltigkeit globaler Bewegungsphänomene besser erfassen und verstehen zu können sowie der Herausforderung eines nuancierten Verständnisses von historischen und gegenwärtigen Migrationsphänomenen gerecht zu werden.
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