Von den gegenwärtig rund 17 Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte bilden die Türkeistämmigen mit etwa knapp drei Millionen, nach den Aussiedlern und Spätaussiedlern, die größte Gruppe in Deutschland. Rund die Hälfte von ihnen ist eingebürgert. Sie sind jedoch, was die gleichen Teilhabe- und Teilnahmechancen am gesellschaftlichen Leben betrifft, oft an hinterster Stelle. Dies wird gelegentlich von der Mehrheitsgesellschaft als "mangelnde Integrationsbereitschaft" gedeutet. Aber auch sie selber betrachten das Integrationsgeschehen vonseiten der Zuwanderer am skeptischsten, wie der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration in seinem Externer Link: Integrationsbarometer 2016 festgehalten hat.
Parteipräferenzen Türkeistämmiger in Deutschland
Menschen mit Migrationshintergrund bilden Externer Link: für politische Parteien ein immer wichtiger werdendes Potenzial; ihre spezifischen Bedürfnisse, Wünsche, Haltungen, Einstellungen und deren Dynamiken zu kennen, kann künftig wahlentscheidend sein. Über alle Zuwanderergruppen hinweg lässt sich festhalten, dass diese ihr politisches Zuhause eher in der
Allerdings gibt es markante Unterschiede zwischen den beiden größten Zuwanderergruppen, und zwar den (Spät-)Aussiedlern und den Türkeistämmigen. Während die Gruppe der (Spät-)Aussiedler mit etwa 45 Prozent nach wie vor die Union favorisiert, ist bei den Türkeistämmigen mit fast 70 Prozent die SPD die beliebteste Partei; mit etwa 13 Prozent erfahren Bündnis 90/Die Grünen die zweitstärkste Präferenz; mit Werten um sechs Prozent scheint die
Parteipräferenzen Türkeistämmiger in der Türkei
Warum ist aber zugleich eine starke Sympathie für die
Die türkischen Sozialdemokraten (
Wie ist der Widerspruch in der Parteipräferenz zu erklären?
Vergleicht man die Präferenzen türkeistämmiger Zuwanderer in Deutschland für das deutsche und das türkische Parteienspektrum, so zeichnet sich also ein in doppelter Hinsicht völlig umgekehrtes Bild: spiegelverkehrt zur Präferenz einheimischer deutscher Wähler und spiegelverkehrt zur Präferenz einheimischer türkischer Wähler.
Die Dominanz sozialdemokratischer und grüner Parteien bei türkeistämmigen Zuwanderern in Deutschland lässt sich stark auf die Parteiprogramme zu Fragen von Integration, Minderheitenrechten, Akzeptanz
Die parteipolitischen Präferenzen mit Blick auf die Türkei lassen sich in erster Linie mit den unterschiedlichen Migrationsbewegungen aus der Türkei nach Deutschland erklären: In der ersten Phase der Migration, von 1961 bis 1973, rekrutierten sich die damaligen "
In der zweiten größeren Migrationsbewegung, während und nach dem Militärputsch von 1980 sowie nach den lang andauernden Unruhen im Südosten der Türkei in den 90er Jahren, kamen verstärkt Menschen mit einer eher politisch linken Gesinnung oder aus den überwiegend von Kurden bewohnten Gebieten und suchten in Deutschland Asyl. Gegenwärtig stellen neben (hierzulande aufgewachsenen) linksliberalen Intellektuellen insbesondere kurdische und auch
Mehrfache Spaltung türkeistämmiger Zuwanderer
Am Beispiel dieser scheinbar widersprüchlichen Parteienpräferenz lässt sich die mehrfache Spaltung der türkeistämmigen Zuwanderer innerhalb Deutschlands nachvollziehen. Auf der einen Seite steht eine starke religiös-konservative Orientierung, die den Islamisierungstendenzen in der Türkei zumindest wohlwollend gegenübersteht. Gerade Zuwanderer mit einer solchen Orientierung machen jedoch in Deutschland die stärksten Ausgrenzungserfahrungen und fordern mehr Teilhabe und Gleichberechtigung. Auf der anderen Seite findet sich eine linksliberale Orientierung, die den politischen Entwicklungen in der Türkei höchst kritisch gegenübersteht, zugleich aber auch skeptisch ist, was ein stärkeres "Empowerment" von Muslimen in Deutschland betrifft, weil sie diese als "rückständig", "vormodern" ansieht. Eine Balance wäre hier eher mit einer Orientierung an Menschenrechten sowie an allgemeinen Gleichheitsgrundsätzen, jenseits von nationaler und religiöser Orientierung, herzustellen.
Sind die Türkeistämmigen nun in Deutschland zuhause? Diese Frage ist sicherlich kaum mittels einer binären Ja/Nein-Logik zu fassen. Sie sind dabei, sich in dem neuen Zuhause Deutschland einzurichten. Sie werden es eher als ihr Zuhause wahrnehmen, wenn sie gewohnte Einrichtungsgegenstände aufstellen dürfen, wenn sie die Wände und Zimmer anders aufteilen können und wenn sie an der Architektur des gesamten Hauses mitwirken können.