Lager und ihre Vorgeschichte
Zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde auf Beschluss der Bundesregierung die erste und einzige statistische Erhebung zu den in Deutschland bestehenden kriegsbedingten Lagern und ihren Insassen durchgeführt. Demnach gab es zum Stichtag 30. Juni 1955 im Bundesgebiet 3.008 Lager (Auswandererlager, Behelfswohnlager, Durchgangslager, Grenzdurchgangslager, Massenlager, Notaufnahmelager, Notunterkünfte Ost, Rückführungslager, Umsiedlungslager, Wohnlager). Darin und insbesondere in den rund 1.900 Wohnlagern lebten mehr als eine halbe Million Menschen, viele von ihnen seit 1947 und früher. Diese Lagerstatistik bietet zwar einerseits eine klare Momentaufnahme für eine der Folgen von millionenfacher Flucht und Ausweisung der deutschen Bevölkerung aus Ostmitteleuropa während und am Ende des
Die Schlotwiese – vom Erholungsort zur Lagerstätte
Auf dem Gebiet der Stadt Stuttgart wurden während des Zweiten Weltkriegs von Firmen und der Stadtverwaltung unterschiedliche Arten von Lagern eingerichtet und betrieben – für Rückkehrer, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Das Lager auf der Schlotwiese zählte zu den größten dieser Einrichtungen. Es wurde ganz bewusst versteckt auf einer Waldlichtung, die ursprünglich als Sport- und Erholungsgebiet diente, errichtet. Vor allem die in den nahe gelegenen Firmen beschäftigten Zwangsarbeiter,
Von den zahlreichen alliierten Luftangriffen auf Stuttgart waren auch die beiden Lager auf der Schlotwiese betroffen. Dabei kamen mehrere Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene ums Leben. Ein Teil der Baracken wurde zerstört. Bei Kriegsende wurden die verbliebenen Lagerinsassen befreit und konnten in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Doch damit endete die Geschichte der Lager auf der Schlotwiese nicht.
Die langjährige Belegung durch Displaced Persons
Das Russische Büro in Stuttgart beschlagnahmte die verbliebenen baufälligen Baracken. Als Verbindungsstelle der sowjetischen Besatzungsmacht richtete es dort ein Rückkehrerlager für ehemalige sowjetische Zwangsarbeiter ein. Dieses Lager war eine der vielen Anlaufstellen, von der aus die
Dem geplanten Abriss kamen die amerikanischen Militärbehörden zuvor. Sie beschlagnahmten das Lager, unterstellten es der "United Nations Relief and Rehabilitation Administration" (UNRRA) und brachten dort vom 13. August 1945 an Volksdeutsche aus dem ungarisch-rumänisch-serbisch-kroatischen Grenzgebiet unter. Diese waren von NS-Reichsstellen im Oktober 1944 vor den herannahenden sowjetischen Truppen ins Reich evakuiert worden oder sie waren geflohen. Bei Kriegsende erhielten sie den DP-Status, konnten aber nicht heimkehren, weil ihnen die jugoslawischen Behörden wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit die Rückkehr in ihre Heimatorte verweigerten.
Mit dem Einweisen der volksdeutschen DPs auf die Schlotwiese begann eine weitere, sich über mehr als zwei Jahrzehnte hinziehende Etappe der Lagergeschichte. In deren Verlauf änderte sich der rechtliche Status der Lagerbewohner mehrfach, weil sie niemand in seiner Zuständigkeit haben wollte. Der vorteilhafte, mit der Rückkehroption in die Heimat verbundene DP-Status wurde ihnen von den Militärbehörden schon im Dezember 1945 mit der Begründung aberkannt, sie seien keine Zwangsverschleppten. Die Stadt Stuttgart, für die das Lager "ein Pfahl im Fleisch der Stadt" war, beharrte darauf, den Status der Lagerbewohner zu klären. Sie verband damit die Hoffnung, sich nicht um das Lager und seine Bewohner kümmern zu müssen. In der Folge wurden die Lagerbewohner zunächst als Staatenlose, dann als den Deutschen gleichgestellte Ausländer und schließlich als Vertriebene eingestuft und verblieben somit schließlich doch in der Zuständigkeit der Stadt.
Das Lager als Heimat auf Zeit
Während dieser Zeit als Außenseiter abgestempelt, entstand durch die Selbstorganisationsinitiative der Bewohner eine "hölzerne Barackenstadt" auf der Schlotwiese. Deren Bevölkerung wuchs durch weiteren Zuzug auf zeitweilig bis zu 1.600 Bewohner an. Die Lagergemeinde verfügte über eine eigene Verwaltung. Es entstanden mehrere Betriebe, darunter auch eine Gaststätte. Ein Kindergarten, eine Schule und ein Kirchenraum mit geweihter Glocke wurden eingerichtet. Mehrere Vereine wurden gegründet, darunter mit dem F.C. Batschka ein erfolgreicher Fußballklub. Mit seinen Siegen gegen alteingesessene Mannschaften trug er wesentlich zum Selbstbewusstsein der Schlotwieser bei.
So gelang es vielen der Lagerbewohner sich trotz der schlechten Lebensbedingungen auf der Schlotwiese eine "Heimat auf Zeit", eine zweite Heimat - wie sie das Lager nannten - aufzubauen. In seiner Abgeschiedenheit bot das Lager den Bewohnern die notwendige "Nestwärme". Das Lager war der erforderliche Rückzugsraum, in dem man ungestört auf Vertrautes zurückgreifen konnte. Es bildete letztendlich die Schleuse, die, als die Rückkehrhoffnungen den politischen Realitäten wichen, den Übergang in die neue bundesdeutsche Gesellschaft erleichterte.
Vom Lager zur Siedlung – die Schlotwiese und ihre Nachgeschichte
1948 gründeten die Schlotwieser, wie sie sich selbst nannten und damit ihre Verbundenheit mit dem Lager ausdrückten, im Lager die Baugenossenschaft "Neues Heim". Sie legte mit dem im Dezember 1949 eingeweihten ersten Wohnblock den Grundstein für die neue Siedlung Stuttgart-Rot in Sichtweite des Lagers. In den neuen, 1960 mehr als 10.000 Einwohner zählenden Stadtteil zogen nach und nach auch die meisten Bewohner des Lagers um. Die Baracken wurden nach jedem Auszug abgerissen. Stuttgart-Rot wurde den Lagerbewohnern zur dritten und endgültigen Heimat, wie viele berichteten. Hier wurde aus dem F.C. Batschka der bis heute bestehende S.V. Rot. Doch es sollte noch bis 1967 dauern, bis mit dem Abbruch des einzigen Steinbaus die letzten Bewohner auszogen und das Lager sein Ende fand.
Heute erinnert vor Ort nichts mehr an die Lager. Die öffentliche Erinnerung scheint diese Geschichte der Schlotwiese auszublenden. Die Schlotwiese ist wieder Sport- und Freizeitgelände.
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