Schulrechtliche Situation
Laut Art. 1 Abs. 1 der
Allerdings ist der Umfang des Angebots von den jeweiligen strukturellen Möglichkeiten abhängig: So müssen sowohl freie Schulplätze als auch Lehrerstunden zur Verfügung stehen. Ist dies nicht der Fall, wird versucht, die Schüler durch besondere Angebote innerhalb der Regelklasse zu unterrichten.
Nicht zufriedenstellend ist vielfach immer noch die unzureichende Verbindlichkeit der Unterrichtsinhalte, da in den meisten Bundesländern gegenwärtig noch keine eigenen Lehrpläne für Sprachlernklassen existieren. Immerhin gibt es inzwischen die allgemeinen, nicht speziell auf Sprachlernklassen zugeschriebenen Kernlehrpläne für Deutsch als Zweitsprache. Hierbei sind von Bundesland zu Bundesland teilweise erhebliche inhaltliche Unterschiede zu verzeichnen. Und längst nicht alle Vorgaben folgen den wissenschaftlichen Standards.
Ein weiteres Problem sind die fehlenden gut ausgebildeten Lehrkräfte, da Deutsch als Zweitsprache lange Zeit kein obligatorischer Bestandteil der Lehrerausbildung gewesen ist. Als eines der ersten Bundesländer reagierte Nordrhein-Westfalen 2009 mit der Novellierung des Lehrerbildungsgesetzes, das neben Inhalten der Förderdiagnostik auch spezielle Module zu Deutsch als Zweitsprache vorsieht. Diese sind für alle Studierenden der Lehrämter für Grund-, Haupt- und Realschulen verpflichtend. Andere Bundesländer, wie etwa Berlin oder Niedersachsen, ziehen mittlerweile nach.
Spracherwerbsbedingungen in der Schule
Die Frage, ob Kinder in geschlossenen Sprachlernklassen oder in einem offenen Konzept, in dem sie Teile des Unterrichts auch in der Regelklasse verbringen, besser bzw. schneller die Zweitsprache lernen, ist nicht eindeutig zu beantworten. Hierzu liegen bislang keine Studien vor. Allerdings geht die Sprachlehrforschung davon aus, dass Sprache leichter und nachhaltiger gelernt wird, wenn sie an Inhalte geknüpft ist (Gibbons 2010). Dieses Argument wird seit Langem für den bilingualen Fachunterricht (z. B. Erdkunde oder Geschichte in englischer Sprache) ins Feld geführt (Otten/Wildhage 2002). Außerdem haben die Sprachschüler in der Regelklasse mehr Kontakt zu Muttersprachlern, was für den ungesteuerten Erwerb des Deutschen von Vorteil ist, der insbesondere die Entwicklung der Alltagskommunikation betrifft.
Auf der anderen Seite ist ein gesteuerter, grammatikbasierter Unterricht wichtig für den Ausbau schriftsprachlicher Kompetenzen, die die Kinder für ihr weiteres Lernen im institutionellen Rahmen ebenso benötigen wie für die Alltagsbewältigung einer schriftbasierten Gesellschaft. Hierfür liegen mittlerweile für die meisten Bundesländer verbindliche Lehrpläne vor. Noch nicht zufriedenstellend ist das Angebot an valide entwickelten und evaluierten Lehrmaterialien mit entsprechenden Leistungsüberprüfungen.
Sprachkurse für erwachsene Geflüchtete
Erwachsene Flüchtlinge bzw. Asylsuchende haben unter bestimmten Bedingungen das Recht, einen sogenannten Integrationskurs zu besuchen. Dieser wird normalerweise von Volkshochschulen angeboten und besteht aus 660 Unterrichtsstunden. Integrationskurse arbeiten zumeist mit einschlägigen Lehrgängen für Deutsch als Fremdsprache und bilden an bestimmten Alltagsthemen die klassischen vier sprachlichen Kompetenzbereiche aus: Sprechen, Hörverstehen, Schreiben, Leseverstehen. Die Kurse schließen mit einer Prüfung auf B1-Niveau nach dem Externer Link: Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen (GER) für Sprachen ab. D. h., dass die Lernenden in der Lage sein sollten, Standardsprache im Alltagskontext zu sprechen und zu verstehen bzw. zu lesen und zu schreiben. Ähnlich wie in Sprachlernklassen handelt es sich bei Integrationskursen um einen gesteuerten Erwerb, nur dass hier der Unterricht durch die abschließende Testung in einem vorgegebenen zeitlichen Rahmen festgelegten Kompetenzzielen folgt. Dadurch sind die Lerninhalte v. a. in Hinblick auf Wortschatz und Grammatik weitgehend vorgegeben.
Für den Hochschulzugang stellen zahlreiche Universitäten und Fachhochschulen Angebote zur Verfügung, die es interessierten Geflüchteten erleichtern sollen, ein Studium aufzunehmen oder fortzuführen. Oftmals schließen diese Angebote entsprechende Sprachkurse ein. Als sprachliche Mindestanforderung, um akademischen Inhalten zu folgen, gilt die Niveaustufe B2. Hierbei stellt sich neben den festzustellenden allgemeinen Zugangsberechtigungen das Problem, dass bei Sprachanfängern in der Regel nicht damit zu rechnen ist, dass dieses Niveau innerhalb weniger Monate erreicht werden kann. Für B2 (selbstständige Sprachverwendung) werden meist bis zu 800 Stunden Sprachunterricht veranschlagt, für C1 (fachkundige Sprachkenntnisse) bis zu 1.200.
Erwerbsbedingungen
Aktuelle belastbare Daten zu den Bedingungen für sprachlichen Lernerfolg bei Flüchtlingen liegen kaum vor. Insbesondere fehlen Evaluationen unterschiedlicher Unterrichtskonzepte und Vermittlungsmethoden. Da sich die Spracherwerbsbedingungen insgesamt jedoch nicht wesentlich von nicht-geflüchteten Lernergruppen unterscheiden, kann gemäß des aktuellen Forschungsstands von Folgendem ausgegangen werden:
Was die persönlichen und äußeren Einflussfaktoren auf das Sprachenlernen betrifft, so sind in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl unterschiedlicher Parameter diskutiert worden, besonders solche Faktoren, die die Lernmotivation (motivationale Faktoren), die generelle Lernfähigkeit (kognitive Faktoren), Alter und Geschlecht (biologische Faktoren) oder die Einstellung gegenüber Sprache und Kultur (affektive Faktoren) betreffen. In der Regel können diese Faktoren bei den Lernern jedoch nicht eindeutig bestimmt werden, da es sich immer um ganze "Bündel von Fähigkeiten und Einstellungen" handelt (Edmondson/House ²2000).
Als weitgehend unstrittige Einflussgröße gilt das Lebensalter. Dabei gilt die Zeit der Pubertät als kritische Phase, wodurch der Zweitspracherwerb bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in der Regel. unterschiedlich verläuft; dabei ist es zunächst unerheblich, ob eine zweite oder eine dritte, vierte etc. Sprache gelernt wird. Zumindest für den ungesteuerten Erwerb gilt, dass das Sprachenlernen vor Eintritt in die Pubertät leichter von statten geht. Das erreichte Sprachniveau entspricht eher der Zielsprache, wenn der Lerner vor der Pubertät begonnen hat, als danach (Czinglar 2013). Der Lernbeginn allein sagt jedoch noch nichts über den individuellen Grad der Sprachbeherrschung aus und ist nicht ohne Weiteres auf das institutionelle Sprachenlernen übertragbar. Die Sprachwissenschaftler Wolfgang Klein und Christine Dimroth (2003) weisen zudem darauf hin, dass der Faktor Alter sich auf die einzelnen sprachlichen Ebenen unterschiedlich auswirkt: Während es Erwachsenen in der Regel schwerfällt, Laute bzw. Lautverbindungen zu lernen, die in ihrer Muttersprache unbekannt sind, gibt es beim Wortschatz meist weniger Probleme.
Klein und Dimroth haben 2003 in einer umfangreichen Studie den Lernverlauf von 40 erwachsenen Lernern unterschiedlicher Zielsprachen und verschiedener Herkunftssprachen untersucht. Dabei beobachteten sie, dass von Beginn des Lernens an bestimmte Lernervarietäten entwickelt werden. Als Lernervarietäten werden in der Sprachlernforschung Stadien bezeichnet, die zwischen dem Lernbeginn und der Zielsprache liegen. Die Zweitspracherwerbsforschung hat verschiedene Stadien definiert, in denen sich jeweils die Sprachstrukturen überindividuell ähneln. In einem frühen Stadium werden beispielsweise Verben nicht flektiert ("Gehen Arbeit"; zum Begriff der Lernervarietät vgl. Dimroth 2013). Als für den Lernerfolg maßgebliche Komponenten nennen Klein und Dimroth den "Sprachverarbeiter" (das individuell vorhandene Sprachlernvermögen), den "Zugang" (das zur Verfügung stehende neue Sprachmaterial bzw. der Input) und den "Antrieb" (Motivation und Einstellung gegenüber der Sprache). Diese Komponenten entscheiden in hohem Maße darüber, welche Lernervarietäten in welcher Weise ausgebildet werden.
Nicht endgültig geklärt ist der Einfluss der Erstsprache. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich unterschiedliche, z. T. konkurrierende Theorien herausgebildet, die weder vollständig bestätigt noch widerlegt werden konnten.
Vertreter der sogenannten Identitätshypothese gehen davon aus, dass die Reihenfolge, in der die Grammatik der Zweitsprache gelernt wird, eine ähnliche ist, wie im Erwerb derselben Sprache durch muttersprachliche Kinder. Hier geht es insbesondere um die Entwicklung der grammatischen Fähigkeiten. Dabei nimmt man an, dass die Lerner den sprachlichen Input analysieren, um daraus Hypothesen abzuleiten, die bei der Sprachproduktion erprobt und bestätigt bzw. verworfen werden (vgl. Dulay/Burt 1974). Tatsächlich konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden, dass Lerner unterschiedlicher Herkunftssprachen eine Zweitsprache in ähnlichen Abfolgen erwerben (Edmondson/House ²2000).
Vertreter der Kontrastivitätshypothese fokussierten dagegen den Einfluss der Erstsprache. Sind Erst- und Zweitsprache sich in ihren grammatischen Strukturen sehr ähnlich, komme es zu positiven Lernergebnissen, bei Verschiedenheit aber zu Übertragungsfehlern aus der Erst- in die Zweitsprache (vgl. Fries 1945). Tatsächlich sind Übertragungsfehler zwar feststellbar, v. a. im lautlichen und im grammatischen Bereich, so dass ein kontrastiver Ansatz aus sprachdidaktischer Sicht eine gewisse Plausibilität besitzt. Allerdings führen strukturelle Unterschiede nicht zwangsläufig zu Fehlern und nicht jeder Fehler ist auf Strukturunterschiede zurückführbar.
Insgesamt betrachtet existieren heute also mehrere Annahmen nebeneinander, von denen einige weitgehend unstrittig sind, wie die genannten Faktoren Motivation, Alter oder Sprachlernfähigkeit, während andere durchaus kontrovers diskutiert werden, wie z. B. der Einfluss der Erstsprache. Was die Rahmenbedingungen des schulischen Lernens angeht, befinden wir uns derzeit in einem Prozess, in dem vieles gegenüber früheren Bedingungen bereits deutlich verbessert werden konnte, etwa die Einrichtung von Sprachlernklassen und Lehrpläne für Deutsch als Zweitsprache. Gleichwohl ist das deutsche Bildungssystem noch weit davon entfernt, allen Schülerinnen und Schülern die gleichen Chancen zu bieten. So liegen laut den letzten PISA-Studien Jugendliche mit Zuwanderergeschichte gegenüber Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund im Schnitt etwa ein Schuljahr zurück (Externer Link: KMK PISA), was nicht zuletzt auch an sprachlichen Hürden liegt. Dass dies nicht zwangsläufig so sein muss, zeigt das Beispiel Kanada, wo u. a. aufgrund einer anderen Integrationspolitik Einwanderer ungleich bessere Bildungschancen haben als in Deutschland. So gibt es dort in einzelnen Bundesländern das Schulfach Englisch als Zweitsprache. Mehrsprachigkeit ist in Kanada per Gesetz die Regel (offizielle Texte sind grundsätzlich mindestens in Englisch und Französisch verfasst) und Minderheitensprachen werden in Öffentlichkeit und Schule erkennbar wertgeschätzt. So kommt es nicht von ungefähr, dass in Kanada das sogenannte "Immersionsprinzip" entwickelt wurde, d.h. die Mehrheitssprache wird in der Schule auf Grundlage der Erstsprache gelernt, während in Deutschland das "Submersionsprinzip" vorherrschend ist, bei dem die Erstsprache institutionell keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers