Der globale Süden ist die Weltregion, in der die meisten Menschen vor Verfolgung und Krieg fliehen. Die Mehrzahl dieser Flüchtlinge
In vielen Ländern sind Flüchtlinge gesetzlich verpflichtet, in Lagern zu leben, die häufig in der Peripherie und relativ grenznah errichtet werden. Gleichwohl wählen viele Flüchtlinge alternative, oft irreguläre, Formen der Unterbringung.
Flüchtlingslager werden zum einen deshalb eingerichtet, weil es dort logistisch einfacher ist, Flüchtlinge zu versorgen, als bei dezentraler Unterbringung – gerade im Fall von Massenflucht und kurzfristigen Notmaßnahmen. Zum anderen bieten Lager nationalen wie internationalen Akteuren bessere Möglichkeiten, Flüchtlinge zu kontrollieren, ihre Mobilität und ihren Zugang zu Ressourcen des Aufnahmelandes einzuschränken und die Chancen für eine Repatriierung über längere Zeit aufrechtzuerhalten.
In diesem Dossier werden allgemeine Charakteristika von Flüchtlingslagern im globalen Süden vorgestellt. Der Fokus liegt dabei auf den folgenden Themenkomplexen: Strukturen und Akteure, Macht und Mitbestimmung, das Lager und die Zeit: Dauerhafte Vorläufigkeit, Lageralltag und Lebensgestaltung.
Strukturen und Akteure in Flüchtlingslagern
Eingerichtet und betrieben werden Flüchtlingslager in den meisten Fällen von der Regierung des Aufnahmelandes in Zusammenarbeit mit UNHCR, dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge. In den Lagern sind in der Regel Vertreter der Regierung und (teils paramilitärische) Polizeieinheiten präsent. UNHCR ist für das Gesamt-Monitoring der Abläufe im Lager zuständig und an der Koordination der verschiedenen Hilfsorganisationen vor Ort beteiligt. Dabei handelt es sich häufig um Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs).
Nur als sporadische Besucher vor Ort, aber als Orientierungsinstanz bei Entscheidungen der Lagerorganisationen immer präsent sind schließlich die Geldgeber. Dies sind insbesondere Regierungsstellen einzelner Geberländer und Hilfsfonds von Staatenverbünden wie der EU, aber auch kirchliche und andere nichtstaatliche Geldgeber. Sie bewilligen die unterschiedlichen Projekte im Flüchtlingslager meist nur von Jahr zu Jahr, weshalb die Organisationen ihnen gegenüber unter stetem Legitimierungsdruck stehen und eine langfristige Programmplanung häufig nur schwer möglich ist.
Nicht zuletzt gehören die Bewohnerinnen und Bewohner eines Lagers zu dessen Akteuren. Sie werden von der Lagerverwaltung unter der juristisch-administrativen Kategorie "Flüchtlinge" gefasst. Dies bringt die Problematik mit sich, dass die ganz unterschiedlichen Identitäten verschiedener Lagerflüchtlinge im Verwaltungshandeln hinter diesem vereinheitlichenden "Master-Status" zurücktreten.
Macht und Mitbestimmung in Flüchtlingslagern
Die Frage nach der Leitung eines Flüchtlingslagers ist nicht eindeutig zu beantworten. Zwar gilt die Souveränität des aufnehmenden Staates auch innerhalb von Flüchtlingslagern, doch wo
Zu den etablierten Leitlinien des Lagermanagements gehört es, dass die Flüchtlingsbevölkerung eigene Vertreter wählt.
Informellen Einfluss auf das Lagergeschehen können Flüchtlinge über Strukturen nehmen, die sie aus ihren Herkunftsregionen in das Lager mitgebracht haben – etwa, wenn politisch organisierte Gruppen gemeinsam in einem Lager untergebracht sind. Als solche agieren sie nicht nur bezogen auf ihr Herkunftsland, sondern können ihre Interessen auch gegenüber den Lagerorganisationen wirkungsvoller einbringen als nicht organisierte Flüchtlinge.
Das Lager und die Zeit: Dauerhafte Vorläufigkeit
Flüchtlingslager sind als vorläufige Einrichtungen konzipiert. UNHCR wie Zielländer richten sie mit der Erwartung ein, dass die Geflüchteten in ihr Herkunftsland zurückkehren, sobald sich die Situation dort wieder stabilisiert hat.
Häufig jedoch bestehen diese Exilsituationen längerfristig, da die erwartete politische Stabilität und Sicherheit in der Heimatregion nicht eintritt. Bleibt das als vorläufig definierte Leben im Exil über Jahre oder Jahrzehnte bestehen,
Lageralltag: Lebensgestaltung im Flüchtlingslager
Trotz der permanenten Vorläufigkeit der Lebenssituation entwickelt sich in Flüchtlingslagern über die Jahre ein Alltagsleben. Die institutionellen Strukturen des Lagers und die eigene Fluchtgeschichte werden in bestimmten Situationen relevant, dominieren jedoch nicht den Alltag, in dem Bewohnerinnen und Bewohner des Lagers erfolgreich Normalität etablieren. Sie ersetzen nach und nach die Notunterkünfte aus Zeltplanen durch Häuser in lokaler Bauweise; sie kümmern sich um ihren Lebensunterhalt – eröffnen beispielsweise Geschäfte, arbeiten für Hilfsorganisationen oder gehen anderen (auch gezwungenermaßen illegalen) Formen der Erwerbstätigkeit außerhalb des Lagers nach –; sie gestalten ihr Privatleben mit Familie und Freunden.
Wenngleich Stimmen aus Forschung und Praxis die Einrichtung von Flüchtlingslagern kritisch diskutieren und sich UNHCR inzwischen vom Primat der Lagerunterbringung programmatisch distanziert, werden Flüchtlingslager auch in der näheren Zukunft eine wesentliche Unterbringungsart von Flüchtlingen im globalen Süden bleiben.