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Asylrecht nicht nur für Ausländer | Flüchtlingslager | bpb.de

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Asylrecht nicht nur für Ausländer Das Notaufnahmelager Uelzen-Bohldamm und die Zuwanderung aus SBZ und DDR vor dem Mauerbau

Arne Hoffrichter

/ 6 Minuten zu lesen

Im Lager Uelzen-Bohldamm wurden von 1945 bis 1963 verschiedene Migrantengruppen aufgenommen und über deren Verbleib in Westdeutschland entschieden. Hier offenbarten sich die mit der deutsch-deutschen Migrationsbewegung verbundenen Probleme, auf die die Politik zu reagieren hatte. Die Aufnahmepolitik gegenüber den Zuwanderern und Flüchtlingen aus Ostdeutschland war einerseits stark beeinflusst von deren unterschiedlicher Akzeptanz bei Politikern und Bevölkerung sowie andererseits verzahnt mit ihrer Befragung zu geheimdienstlichen Zwecken.

Flüchtlingskinder in einer Baracke des Flüchtlingslagers Uelzen-Bohldamm. Angehörige des englischen Hilfswerks nehmen sich der Kinder an. (© dpa)

Das deutsche Interner Link: Asylrecht wurde seit Gründung der Bundesrepublik mehrfach modifiziert und den politischen Zielsetzungen angepasst. Das Fundament blieb jedoch stets die bereits 1949 in das Externer Link: Grundgesetz aufgenommene Formulierung, wonach politisch Verfolgte Asyl genießen. Bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes hatten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates aber nicht nur verfolgte ausländische Staatsangehörige im Blick, denen in bewusster Abgrenzung von der Verfolgung Andersdenkender im Nationalsozialismus Zuflucht gewährt werden sollte. Vielmehr galt es auch, deutschen Landsleuten aus der Interner Link: sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Schutz zu gewähren. Denn im Zuge des sich herausbildenden Interner Link: Ost-West-Konfliktes ersuchte ab 1947 eine immer größer werdende Zahl von Menschen aus dem Gebiet der späteren Interner Link: DDR um Aufnahme in Westdeutschland und berief sich hierbei auf politische Verfolgung jenseits des sich verdichtenden ›Eisernen Vorhangs‹. Die frühesten westdeutschen Erfahrungen mit der Gewährung politischen Asyls waren daher auf das Engste verbunden mit der Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR und somit auch mit dem niedersächsischen Flüchtlingsdurchgangslager Uelzen-Bohldamm.

Funktionen des Lagers im Wandel der Zeit

Das Lager Uelzen-Bohldamm diente von seiner Gründung im Herbst 1945 bis zum Frühling 1947 der britischen Militärregierung und den niedersächsischen Behörden zunächst als Durchgangslager für insgesamt 1,3 Millionen Flüchtlinge und Interner Link: Vertriebene, die zumeist aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten hier ankamen. In der überwiegenden Zeit seiner Existenz, von 1947 bis zur Schließung 1963, war das Lager zuständig für Zuwanderer und Flüchtlinge aus SBZ und DDR. In diesem Zeitraum durchliefen insgesamt 765.000 Personen das Lager. Sie wurden grundlegend anders behandelt als die Vertriebenen. Denn Niedersachsen hatte als eines der wichtigsten Ziele der Zuwanderung von Vertriebenen ab Mai 1947 damit begonnen, die im Lager Uelzen ankommenden Menschen aus der SBZ nach ihren Fluchtmotiven zu befragen und nur noch politisch Verfolgten die förmliche Anerkennung und Weiterleitung als Flüchtlinge zu gewähren. Damit hatte es eine Vorreiterstellung eingenommen, denn die Praxis, Ostdeutschen Asyl nunmehr anhand des Kriteriums der politischen Verfolgung zuzusprechen, fand Eingang in die folgenden Regelungen, die über Niedersachsen hinauswiesen. So basierten die für die britische Besatzungszone im Februar 1948 verabschiedeten Braunschweiger Richtlinien wie auch das Bundesnotaufnahmegesetz aus dem August 1950 inhaltlich auf dem ersten niedersächsischen Erlass aus dem Mai 1947. Bis zum Sommer 1949 blieb Uelzen-Bohldamm niedersächsisches Durchgangslager und wurde dann zentrales Notaufnahmelager der britischen Besatzungszone, in dem sich grundsätzlich jeder Neuankömmling von jenseits der deutsch-deutschen Grenze zu melden hatte. 1949 schließlich wurde das Lager neben Externer Link: Gießen zu einem von zwei Bundesnotaufnahmelagern für DDR-Zuwanderer im Bundesgebiet.

Das Lager als Verwaltungseinrichtung

In erster Linie war Uelzen-Bohldamm eine Verwaltungseinrichtung, mit deren Hilfe das Land Niedersachsen und später die Bundesrepublik die Aufnahmeregeln für die Ostdeutschen umsetzten. Die Ankommenden hatten zunächst in einer Vorprüfung ihre Abwanderungsmotive in aller Kürze vorzutragen. Die Bewertung der Aussagen war ausschlaggebend dafür, welche weiteren Stellen im Lager sich mit dem Fall auseinanderzusetzen hatten und welche Informationen bei anderen Behörden eingeholt werden mussten. Zentrales Element des Verfahrens war die dreiköpfige Aufnahmekommission, die nach der Anhörung darüber entschied, ob der Vorsprechende als politischer Flüchtling oder als Härtefall anerkannt wurde. Hierbei versuchten die Prüfer, die Aussagen der Zuwanderer anhand ihres Wissensstandes über die Verhältnisse in Ostdeutschland zu verifizieren, griffen jedoch auch auf andere Informationsquellen zurück. So spielten im Aufnahmeverfahren Gutachten eine erhebliche Rolle, die eine Vielzahl von Organisationen anfertigte. Exemplarisch herauszuheben sind hierbei die drei großen westdeutschen Parteien Interner Link: SPD,Interner Link: CDU und Interner Link: FDP.
Sie verfügten durch ihre ›Ostbüros‹ über ein weit verzweigtes Informationsnetzwerk in der DDR und konnten so gezielt ermitteln, ob der jeweilige Antragsteller politisch verfolgt worden war. Mit dem Aufnahmebescheid waren deutliche Erleichterungen bei der Wohnraum- und Lebensmittelzuteilung sowie der Arbeitsvermittlung verbunden. Wenngleich die deutschen Politiker bis in die Mitte der 1950er Jahre eine eher restriktive Aufnahmepolitik verfolgten und auch nicht davor zurückschreckten, die Zuwanderer aus SBZ und DDR als „asozial“, „kriminell“ und „arbeitsscheu“ zu brandmarken, brauchten auch die Abgelehnten eine zwangsweise Rückführung nicht zu fürchten, da die britische Militärregierung dies ablehnte.

Das Lager als Informationsquelle

Eine ganze Reihe an nachrichtendienstlichen Organisationen erkannte, dass sich das Lager an der Schnittstelle zwischen Ost und West bestens dazu eignete, Informationen zu gewinnen. Hatten die britischen Geheimdienste bereits vor Gründung der Bundesrepublik die Zuwanderer aus dem Osten befragt, um Informationen über die SBZ zu erhalten, ließ sich ab 1950 auch das Bundesamt für Interner Link: Verfassungsschutz, getarnt als zweite Vorprüfstelle im Lager, potenzielle Wissensträger zuführen. Gefragt waren vor allem Kenntnisse über die sowjetische Armee, die Interner Link: Kasernierte Volkspolizei und die Externer Link: Staatssicherheit. Weitere Befragungen führten in den 1950er Jahren auch der Vorläufer des militärischen Abschirmdienstes der Bundeswehr und das Interner Link: Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen durch. Der Bundesnachrichtendienst schaltete sich nach seiner Gründung 1956 intensiver ein und hatte hierzu gemeinsam mit den alliierten Diensten eine Befragungsstelle unweit des Lagers eingerichtet. Darüber hinaus unterhielten mit der ›Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit‹ und den ›Ostbüros‹ von SPD, CDU und FDP auch nichtstaatliche Organisationen, deren Gemeinsamkeit eine antikommunistische Ausrichtung war, Büros im Lager. Nach außen traten diese als Hilfsstellen für die Zuwanderer auf, doch dienten sie in erster Linie dem Ausbau des Informationsreservoirs. Im Resümee war Uelzen-Bohldamm damit nicht nur eine Einrichtung zur Kategorisierung der aus SBZ und DDR Zugewanderten, sondern diente ebenso den Politikern und Geheimdiensten als Instrument zur Informationsabschöpfung.

Zum Thema

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zur Geschichte des Lagers Uelzen insgesamt das noch unveröffentlichte Dissertationsmanuskript des Verfassers: Verwaltung, Politik, Geheimdienste. Das Notaufnahmelager Uelzen-Bohldamm im Prozess der Zuwanderung aus SBZ und DDR (1945-1963), Göttingen 2015. Die Studie wird 2017 in Buchform publiziert.

  2. Die Formel findet sich heute in Artikel 16a des Grundgesetzes, war in der Urfassung der bundesdeutschen Verfassung aber in Art. 16 niedergelegt.

  3. Vgl. hierzu insgesamt die Debatten in: Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. 5/I Ausschuß für Grundsatzfragen, bearb. v. Eberhard Pikart und Wolfram Werner, Boppard am Rhein 1993, Dok. Nr. 5 (Vierte Sitzung, 23.9.1948), S. 83-87. Vgl. auch Oltmer, Jochen (2016): Schutz für Flüchtlinge in der Bundesrepublik. Der Blick zurück. In: Anja Reschke (Hg.): Und das ist erst der Anfang, Deutschland und die Flüchtlinge. 5. Aufl.. Hamburg, S. 202-217, hier S. 209.

  4. Zum Umgang der Bundesrepublik mit der Zuwanderung aus SBZ und DDR vgl. ausführlich Heidemeyer, Helge (1994): Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR 1945/1949-1961. Die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland bis zum Bau der Berliner Mauer. Düsseldorf; Ackermann, Volker (1995): Der "echte" Flüchtling. Deutsche Vertriebene und Flüchtlinge aus der DDR 1945-1961. Osnabrück.

  5. NLAH Nds. 380 Acc. 62a/65, Nr. 409, Erlass des Niedersächsischen Staatskommissars für das Flüchtlingswesen, 6.5.1947.

  6. Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet v. 22.8.1950 (kurz: Notaufnahmegesetz), Bundesgesetzblatt (BGBl.) Teil 1, Nr. 36/1950, 26.8.1950, S. 367-368.

  7. Vgl. hierzu: Effner, Bettina /Heidemeyer, Helge (Hg./2005): Flucht im geteilten Deutschland. Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde. Berlin. van Laak, Jeannette (2013): Das Notaufnahmelager Gießen. In: Deutschland Archiv , S. 133 -144.

  8. Ein Schema des Verfahrens findet sich auf der Homepage der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde: Externer Link: http://www.notaufnahmelager-berlin.de/de/das-notaufnahmelager-585.html (18.10.2016).

  9. Arne Hoffrichter, Heinrich Albertz und die SBZ-Flucht. Zur Rolle Niedersachsens, der Presse und des Durchgangslagers Uelzen-Bohldamm im Prozess der Notaufnahmegesetzgebung 1949/1950, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 84 (2012), S. 377-409.

  10. Zu den nachrichtendienstlichen Aktivitäten in den 1950er Jahren vgl. Foschepoth, Josef (2012): Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik. Göttingen; Allen, Keith R. (2013): Befragung, Überprüfung, Kontrolle. Die Aufnahme von DDR-Flüchtlingen in West-Berlin bis 1961. Berlin.

  11. Creuzberger, Stefan/ Hoffmann, Dierck (Hg./2014): "Geistige Gefahr" und "Immunisierung der Gesellschaft". Antikommunismus und politische Kultur in der frühen Bundesrepublik. München..

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Arne Hoffrichter ist Historiker und Jurist. Er wurde an der Universität Göttingen mit einer Studie über das Flüchtlingsdurchgangs- und Notaufnahmelager Uelzen-Bohldamm (1945-1963) promoviert und ist derzeit tätig in der Flüchtlingsverwaltung bei der Bundesagentur für Arbeit in Hannover.