Die europäische Flüchtlingskrise und die Zukunft des Resettlements | Legale Zugänge zum Flüchtlingsschutz: Resettlement und andere Aufnahmeprogramme für Flüchtlinge | bpb.de
Die europäische Flüchtlingskrise und die Zukunft des Resettlements
J. Olaf Kleist
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Die hohe Fluchtzuwanderung 2015 stellte die EU vor große Herausforderungen. Auf einen Schlüssel zur gerechteren Verteilung von Asylbewerbern konnten sich die EU-Staaten bislang nicht einigen. Stattdessen sollen die Außengrenzen stärker gesichert werden. Im Rahmen eines Flüchtlingsabkommens mit der Türkei wird dabei auch das Instrument des Resettlements gezielt eingesetzt. Es steht dabei allerdings in Konkurrenz zu der Möglichkeit, in der EU Asyl beantragen zu können.
Resettlement hat als flüchtlingspolitisches Instrument im Verlauf der syrischen Flüchtlingskrise eine Wandlung vollzogen. Als Deutschland 2013 spontan mit dem Interner Link: Humanitären Aufnahmeprogramm (HAP) begann, war UNHCR noch inmitten seines Notfallmodus für syrische Flüchtlinge und war eigentlich nicht darauf eingerichtet, Resettlement durchzuführen. Doch sowohl die Bundesregierung als auch UNHCR hofften, dass Deutschlands Aufnahmeprogramm andere Länder motivieren würde, ebenfalls syrische Flüchtlinge aufzunehmen. UNHCR veröffentlichte Anfang 2014 einen entsprechenden Aufruf. Mit wenigen Ausnahmen wurde er allerdings im Globalen Norden ignoriert, wie auch weitgehend die Interner Link: Flüchtlingskrise in der Region um Syrien selbst, in der die humanitäre Versorgung stark unterfinanziert war.
Anfang 2015 schlugen der UN Special Rapporteur on the Human Rights of Migrants, François Crépeau, sowie einige Wissenschaftler vor, nach dem Vorbild des Comprehensive Plan of Action für vietnamesische Flüchtlinge in den 1980er und 1990er Jahren ein großangelegtes, internationales Resettlementprogramm für ein bis zwei Millionen Syrer über fünf Jahre aufzulegen. Doch der Vorschlag verhallte und syrische Flüchtlinge kamen stattdessen auf eigene Faust über das Mittelmeer nach Europa.
Nachdem im April 2015 innerhalb weniger Tage über 1.000 Migranten ertranken, beschloss die EU im Juli desselben Jahres eine Agenda für Migration. Diese war zwar vor allem auf eine militärische Unterbindung von Menschenschmuggel und irregulärer Migration ausgerichtet, sah aber auch zwei Aufnahmeprogramme vor. Zum einen sollten 120.000 Plätze, die später auf 160.000 erhöht wurden, für Maßnahmen zur Umsiedlung von Asylbewerbern aus Italien und Griechenland freiwillig bereitgestellt werden. Neun Monate später waren unter diesem weitgehend gescheiterten Programm gerade einmal 1.145 Personen in der EU verteilt worden. Zudem versprachen Mitgliedstaaten über 22.000 Resettlementplätze, vorwiegend für syrische Flüchtlinge, von denen nach neun Monaten ein knappes Viertel erfüllt war. Aufnahmeprogramme wurden nur sehr zögerlich als flüchtlingspolitisches Instrument in der Flüchtlingskrise eingesetzt. Die Zögerlichkeit spiegelte sich auch auf globaler Ebene wider. Nach einer UNHCR-Konferenz zur Syrienkrise im Interner Link: März 2016 versprachen Staaten weltweit gerade einmal 185.000 Resettlementplätze, ein Bruchteil dessen, was angesichts von knapp fünf Millionen syrischen Flüchtlingen in der Region nötig wäre.
Die Relevanz des Resettlements änderte sich in Europa durch das Abkommen mit der Türkei vom Interner Link: März 2016, in dem sich die EU verpflichtete, für jede syrische Person, die sie in die Türkei abschiebt, einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufzunehmen und das bis zu einer Quote von 72.000 Personen. Nicht nur verbliebene Resettlementplätze, sondern auch Umsiedlungsplätze der Agenda für Migration sollten hierfür umgewidmet werden, wobei sich europäische Resettlementmaßnahmen damit fast ausschließlich auf syrische Flüchtlinge aus der Türkei konzentrieren. Dabei geht es im Rahmen des Abkommens nicht in erster Linie um den Schutz von Flüchtlingen, denn letztlich werden sogar mehr Asylsuchende abgeschoben als Flüchtlinge aufgenommen. Stattdessen handelt es sich um ein teils symbolisches Faustpfand in Verhandlungen um Grenzschutz. Damit wandelte sich der Charakter des Resettlements von einem humanitären Instrument für gefährdete Flüchtlinge, das strategisch zur Auflösung verfahrener Flüchtlingssituationen genutzt wird, in ein migrationspolitisches Instrument zur Verhinderung irregulärer Fluchtmigration nach Europa. Dass Resettlement migrationspolitisch eingesetzt wird, hat eine lange Tradition. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Neuansiedlung von Flüchtlingen für arbeitsmarktpolitische Ziele der Aufnahmestaaten genutzt. Heute geht es jedoch um die Unterbindung irregulärer Migration. Das war bereits vor dem Abkommen mit der Türkei der Fall und die Bemühungen konzentrieren sich zudem auch auf Gebiete jenseits der nationalen Grenzen. So ist die Einbindung von Resettlement in regionale Schutzprogramme und Mobilitätspartnerschaften der EU mit Herkunfts- und Transitstaaten ein Element im Versuch, Migrationsbewegungen in den Herkunftsregionen besser zu kontrollieren. Resettlement wird gegen den Zugang zu politischem Asyl ausgespielt. Australien tat dies sogar ganz explizit, als eine Expertenkommission der Regierung 2012 die menschenrechtlich bedenkliche Verhinderung irregulärer Migration von Bootsflüchtlingen damit legitimierte, dass dafür jährlich 20.000 Flüchtlinge resettled würden; eine Quote, die Australien letztlich nicht erfüllte. Tatsächlich birgt das Resettlement die Gefahr, dass Staaten den Rechtsanspruch auf Asyl durch die gesteuerte Aufnahme von Flüchtlingen über feste Programme ersetzen möchten. In der momentanen Flüchtlingskrise wird diesem Trend in Europa Vorschub geleistet.
Die Zukunft des Resettlements ist damit ungewiss. Es befindet sich zurzeit an einem Scheideweg. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten als ein wichtiges humanitäres Instrument erwiesen, dass neben freiwilliger Rückkehr, lokaler Integration und politischem Asyl für besonders gefährdete Flüchtlinge und in Krisen für effektive Lösungen eingesetzt werden kann. Doch zunehmend wird Resettlement von Staaten des Globalen Nordens als ein Instrument zur Migrationskontrolle verwendet. So entscheidend eine großzügige Aufnahme von Flüchtlingen in der aktuellen globalen Flüchtlingskrise ist, es ist auch Zeit, Resettlement neu zu konzeptualisieren, einer Grenzschutzpolitik zu entziehen und dabei Flüchtlingsschutz und Menschenrechte als ein zentrales Prinzip der Migrations- und Flüchtlingspolitik demokratischer Staaten festzuschreiben.
Dr. phil., Politikwissenschaftler und Mitglied am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS), Universität Osnabrück; Gründer des Netzwerks Flüchtlingsforschung.
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