Zivilgesellschaft – eine Definition
In den letzten Jahrzehnten haben die Begriffe der Zivilgesellschaft und des bürgerschaftlichen bzw. freiwilligen Engagements in der öffentlichen, wissenschaftlichen und politischen Diskussion zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Der Begriff der Zivilgesellschaft wird (inter)national mit unterschiedlichen Akzentsetzungen geführt. Im Allgemeinen werden ihm eine bereichs- und eine handlungsbezogene Bedeutungsdimension zugeschrieben: So bezeichnet Zivilgesellschaft einen intermediären öffentlichen Raum zwischen Staat, Wirtschaft und Privatsphäre (Familie), in dem eine Vielzahl von Vereinigungen, (Wohlfahrts-)Verbänden, Bewegungen und Initiativen auf einer freiwilligen, selbstorganisierten und nicht profitorientierten Basis agieren. Diese organisierten Formen zivilgesellschaftlichen Engagements werden häufig auch als "Dritter Sektor" oder "Non-Profit-Organisationen" bezeichnet. Um handlungsfähig zu sein, sind sie auf staatlichen Schutz und ermöglichende Rahmenbedingungen wie die Garantie der Meinungs-, Presse- und Vereinigungsfreiheit sowie der Menschen- und Bürgerrechte angewiesen. Dort, wo Staaten diese Rahmenbedingungen nicht garantieren oder sie sogar bewusst unterdrücken – wie zum Beispiel in einigen autoritär regierten Ländern –, können sich organisierte Formen zivilgesellschaftlichen Engagements nur schwer etablieren.
Beim Engagement stellt sich immer auch die Frage, welche Formen als zivil und bürgerschaftlich gelten können und so beinhaltet der Begriff der Zivilgesellschaft auch eine wertgebundene normative Komponente. Ihm liegt die Vorstellung einer "guten" Gesellschaft zugrunde, die auf Maßstäben und Merkmalen wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Respekt der Menschenwürde, Partizipation, Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Solidarität und Toleranz beruht. Dieses positive Verständnis von Zivilgesellschaft wird auch dadurch deutlich, dass einige Formen des Engagements wie rechtsextremistische oder islamistische Organisationen als
Zivilgesellschaftliches Engagement
Mit dem Verständnis von Zivilgesellschaft unmittelbar verknüpft ist der Begriff des freiwilligen, bürgerschaftlichen oder zivilgesellschaftlichen Engagements. Eine starke Zivilgesellschaft zeichnet sich demnach durch einen hohen Grad an bürgerschaftlichem Engagement aus. Das Interner Link: Engagement der Bürgerinnen und Bürger gilt als essenziell für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und dient als Gradmesser für den sozialen Zusammenhalt in modernen, komplexen und pluralen Gesellschaften. Zivilgesellschaftliches Engagement bezeichnet dabei eine freiwillige, nicht auf materiellen Gewinn ausgerichtete, im öffentlichen Raum meist gemeinschaftlich-kooperativ und mit Gemeinwohlorientierung ausgeübte Tätigkeit. Ein weit gefasstes Verständnis von zivilgesellschaftlichem Engagement beinhaltet ein breites Spektrum unterschiedlicher traditioneller und innovativer Formen sozialen und politischen Engagements: neben dem klassischen Ehrenamt als Schöffe, Wahlhelferin oder in Elternbeiräten beispielsweise auch Tätigkeiten im Rahmen selbstorganisierter Initiativen oder in Projekten in der Flüchtlingshilfe, die ganz verschiedene Formalisierungsgrade aufweisen können.
Funktionen und Formen zivilgesellschaftlichen Engagements von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund
Dem Engagement wird eine wichtige sozialintegrative Funktion beigemessen: Aufgrund der Einbindung der Individuen in soziale Beziehungsnetzwerke werden soziales Vertrauen, Kooperationen, wechselseitige Solidarität und Hilfeleistungen – "Sozialkapital" – aufgebaut und gepflegt. Diese Aneignung individueller Kompetenzen und Verhaltensmuster kann positiv auf andere gesellschaftliche Bereiche ausstrahlen und für ein Klima des Vertrauens sorgen.
Vor diesem Hintergrund ist im Einwanderungsland Deutschland in den letzten Jahren das Engagement von Migrantinnen und Migranten zunehmend in den Blick von Wissenschaft und Politik geraten. Es wird als ein Indikator für Integration und Partizipation sowie die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts betrachtet und kann dazu beitragen sowohl bei den Zugewanderten als auch in der Aufnahmegesellschaft interkulturelle Lern- und Öffnungsprozesse, ein respektvolles und toleranteres Miteinander und eine höhere Identifikation mit dem Aufnahmeland zu fördern. Dabei wird zum einen der Einsatz der Aufnahmegesellschaft für Migrantinnen und Migranten und zum anderen auch das Engagement von Zugewanderten für andere betrachtet. Letzteres ist jedoch umstritten und wird von Debatten begleitet, die sich um die Frage drehen, ob das in Migrantenorganisationen und -netzwerken vorzufindende Engagement eher desintegrativ bzw. separierend, also abschottend gegenüber der Aufnahmegesellschaft wirke ("bonding social capital"), oder mit nach außen gerichteten Gruppen- und Vertrauensbeziehungen eher integrationsfördernd sei ("bridging social capital"). Angesichts der Pluralität der
Dabei ist über spezifische Formen des Engagements in Migranten-Communities bislang (empirisch) immer noch wenig bekannt. Festgestellt wurde, dass Migrantinnen und Migranten vielfältig, eher in informellen sozialen Netzwerken (z.B. im Umfeld von Verwandtschaft und Nachbarschaft) und in Bereichen der gegenseitigen Hilfe und Selbsthilfe in ihren ethnischen Gemeinschaften aktiv sind. Im Zentrum ihres Engagements und der Übernahme von Verantwortung für andere steht zunächst die Bewältigung der eigenen (Gruppen-)Situation und vielfältiger integrationsbezogener Herausforderungen (Erlernen der Sprache und kultureller Regeln etc.). Dabei ist davon auszugehen, dass hinsichtlich ihres Engagementverhaltens bzw. dem Zugang zum Engagement eine Geburt und anschließende Sozialisation in Deutschland, der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit und der rechtliche Migrationsstatus (als formalrechtliche Voraussetzung, bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten aufnehmen zu können), die Aufenthaltsdauer und die Bleibeabsichten in Deutschland bedeutsam sind. Mit zunehmender Länge des Aufenthalts im Aufnahmeland steigt die Bereitschaft, sich zu engagieren, weil mehr Anknüpfungsmöglichkeiten an die Mehrheitsgesellschaft und die Einbindung in zentrale gesellschaftliche Bereiche gegeben sind. Damit verbunden ist die zunehmende Identifikation mit dem Lebensort und der Wunsch, diesen aktiv (mit)zugestalten. Vor diesem Hintergrund finden im Generationenverlauf Angleichungsprozesse statt, das heißt, in Deutschland geborene Personen mit Migrationshintergrund der sogenannten "zweiten Generation" sind zu höheren Anteilen freiwillig engagiert als ihre Eltern bzw. Personen mit eigener Zuwanderungserfahrung der "ersten Generation".
Als wichtige Voraussetzungen für freiwilliges Engagement gelten dabei Gelegenheitsstrukturen, Netzwerke, die Verfügbarkeit von Zeit und soziostrukturelle Merkmale wie das Bildungsniveau und der Erwerbsstatus. Dies gilt selbstverständlich für Menschen ohne und mit Migrationshintergrund gleichermaßen. Letztere verfügen im Durchschnitt jedoch über geringere sozioökonomische (beispielsweise finanzielle) Ressourcen und mithin nicht über die gleichen Möglichkeiten, sich freiwillig zu engagieren. Allerdings gibt es auch speziell migrationsspezifische Teilhabehürden, wie mangelnde Sprachkenntnisse oder Diskriminierung.
Bisherige Untersuchungen zeigen, dass die Bereitschaft sich zu engagieren, bei Personen mit Migrationshintergrund zwar hoch ist, sie im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund in klassischen zivilgesellschaftlichen Bereichen im Durchschnitt (gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung) aber weniger engagiert und sie in Institutionen der Mehrheitsgesellschaft, zum Beispiel in der Freiwilligen Feuerwehr, unterrepräsentiert sind.
Engagement in der Flüchtlingshilfe
Im Zuge der seit 2011 stark gestiegenen Fluchtzuwanderung ist eine erhöhte Engagementbereitschaft für und von Flüchtlinge(n) bzw. von Menschen mit Migrationshintergrund zu registrieren, die bislang jedoch noch nicht umfassend untersucht worden ist. An der Entwicklung wird allerdings deutlich, dass die
Fazit: Zivilgesellschaftliches Engagement als Schlüsselfaktor in der Migrationsgesellschaft
In der Migrationsgesellschaft mit ihrer heterogenen Grundstruktur werden Zugehörigkeiten, Anerkennungs- und Teilhabefragen
Seitens der Politik ist in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel in der Einschätzung des Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund zu beobachten. Auch zeigt sich die Tendenz, Migrantenorganisationen als wichtige Akteure der Zivilgesellschaft zu betrachten, deren Engagementstrukturen und Zusammenarbeit mit Organisationen der Mehrheitsgesellschaft es wahrzunehmen und zu fördern gilt. Entsprechend wird dem Engagement von, für und mit Migranten sowie insbesondere der Anerkennung und Stärkung ihrer Organisationen als wichtige und gleichberechtigte Partner eine wichtige Rolle beigemessen: "Dies ist Ausdruck des gleichberechtigten Dialogs von Staat und Migranten und einer partizipativen Integrationspolitik. Migrantenorganisationen übernehmen auf allen Ebenen gesellschaftlichen Handelns neue Verantwortung für Integration".
Ein offener zivil-, aber auch gesamtgesellschaftlicher Dialog kann dazu beitragen, ein prozesshaftes, dynamisches Verständnis von emotional aufgeladenen und statisch wirkenden Konzepten wie "Heimat", "Nation" und "Kultur" zu entwickeln. Er kann zudem den Blick auf fortbestehende Ungleichheitsstrukturen lenken, die sich auch in Organisationen der Zivilgesellschaft widerspiegeln. Nur so können Zugangsbarrieren analysiert, abgebaut und gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht werden. Zugleich können zivilgesellschaftliche Organisationen zu interkulturellen Lernorten werden und als Brückenbauer zwischen unterschiedlichen ethnischen und sozialen Gruppen fungieren.
Zum Thema:
Datenreport 2013: Zivilgesellschaftliches Engagement
Interner Link: Engagement in der Flüchtlingshilfe – eine Erfolg versprechende Integrationshilfe Interner Link: Demokratische Migrationsgesellschaft: Zusammenleben neu aushandeln Interner Link: Zivilgesellschaft und interkultureller Dialog
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers