Migration und Pflege – wie hängt das zusammen?
Die Sozial- und Gesundheitsforschung beschäftigt sich schon seit langem mit Migrantinnen und Migranten
Aufgrund anderer Lebensumstände
Aus den Ergebnissen zahlreicher Studien zur Pflege von Migrantinnen und Migranten lassen sich keine eindeutigen Schlussfolgerungen mit Blick auf ihre Pflegebedürftigkeit ableiten. So gibt es durchaus Hinweise in der einschlägigen Forschungsliteratur für eine im Vergleich zu Nicht-Migranten eher geringere Pflegebedürftigkeit bei Migranten, die durch "schützende" Migrationsfaktoren (Healthy-Migrant-Effect
Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl von Risikofaktoren, die eine erhöhte Pflegebedürftigkeit bei Migranten verursachen können. So verrichteten viele Migranten, vor allem die "Gastarbeiter" der 1950er bis 1970er Jahre, über lange Zeiträume schwere, körperlich belastende Tätigkeiten, die mit einem höheren Risiko der vorzeitigen Erwerbsminderung und Pflegebedürftigkeit im Alter einhergehen. Gegenüber der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund sind vor allem gering ausgebildete Migranten häufig in sozioökonomischer Hinsicht (z.B. im Hinblick auf Beruf, Einkommen und Wohnsituation) benachteiligt, was das Risiko, pflegebedürftig zu werden, ebenfalls erhöht. Berichte aus der Pflegepraxis dokumentieren darüber hinaus auch fehlende Ressourcen im häuslichen Pflegealltag, die u.a. aus den wohnräumlichen Bedingungen, einer Überforderung der Angehörigen und der Tabuisierung von Themenfeldern, die für die Pflege wichtig sind, resultieren.
Die verschiedenen Migrantengruppen nehmen Leistungen aus der Pflegeversicherung unterschiedlich stark in Anspruch. Insbesondere unter Migranten türkischer Herkunft ist die Nachfrage nach stationären bzw. professionellen Pflegeleistungen gering. Des Weiteren muss beachtet werden, dass im Falle einer (weniger schwerwiegenden) Pflegebedürftigkeit diese in vielen Fällen innerhalb der Familie aufgefangen wird (informelle Pflege), die dann in der amtlichen Pflegestatistik nicht enthalten ist, weil keine Leistungen bezogen werden.
Bislang nehmen Migrantinnen und Migranten im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund gesetzliche Pflegeleistungen unterdurchschnittlich in Anspruch. Dies dürfte sich in Zukunft ändern. Das gilt nicht nur aufgrund sich wandelnder demografischer Strukturen, sondern auch, weil die von älteren Migranten bislang gegebenen familialen Solidar- und Unterstützungspotenziale vermutlich nicht mehr im heutigen Umfang zur Verfügung stehen werden. So deutet sich an, dass der Wunsch älterer Migranten nach familialer Unterstützung im Fall von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit in den nachfolgenden Generationen bedingt durch veränderte soziale Normen, Lebensstile und Lebensentwürfe an Grenzen stößt. Hier zeigen sich Ähnlichkeiten zu Entwicklungen in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Daher ist mit einem Anstieg des Bedarfs an professioneller Hilfe zu rechnen.
Wer gilt eigentlich als pflegebedürftig?
Als pflegebedürftig gelten nach sozialrechtlicher Definition (§ 14 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XI) Personen, die eine bestimmte Vorversicherungszeit erfüllen und aufgrund von Krankheit oder Behinderung bei bestimmten gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens (Körperpflege, Ernährung, Mobilität, hauswirtschaftliche Versorgung) voraussichtlich für mindestens sechs Monate Hilfe in erheblichem oder höherem Maße benötigen.
Entsprechend des Umfangs des Hilfebedarfs werden die Betroffenen in
Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung werden einkommens- und vermögensunabhängig gewährt und sollen den Bedarf an Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung weitgehend abdecken. Sämtliche Leistungen werden nur auf Antrag gewährt und ruhen bei Auslandsaufenthalt (länger als sechs Wochen im Kalenderjahr) sowie Leistungsbezug aus anderen öffentlichen Versicherungen (z.B. gesetzliche Unfallversicherung).
Die häusliche Pflege soll der stationären Pflege vorangehen, damit Pflegebedürftige möglichst lange in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. In der ambulanten Versorgung unterscheidet man zwischen Pflegesachleistungen und Pflegegeld. Unter Externer Link: Sachleistung ist die Inanspruchnahme professioneller Pflegedienste zu verstehen. Als Sachleistung können Pflegeeinsätze bis zu einem Gesamtwert von 468 Euro monatlich in Pflegestufe I, bis zu 1.144 Euro in Pflegestufe II, bis zu 1.612 Euro in Pflegestufe III, in Härtefällen auch bis zu 1.995 Euro monatlich in Anspruch genommen werden (Stand: 1.1.2015). Sofern Pflegegeld bezogen wird, muss die häusliche Pflege durch Angehörige oder andere Personen gesichert sein (§ 37 SGB XI). Das Pflegegeld soll die Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen ermöglichen. Ebenso wie die Sachleistungen richtet sich die Höhe des Pflegegeldes nach der Pflegestufe. Das Pflegegeld beträgt seit dem 1. Januar 2015 244 Euro monatlich in Pflegestufe I, in der Pflegestufe II 458 Euro und in der Pflegestufe III 728 Euro (§ 37 Abs.1 SGB XI).
Für Pflegeleistungen liegen verlässliche Angaben zu den tatsächlichen Kosten nur für den stationären Sektor vor. Im Jahr 2011 beliefen sich die durchschnittlichen monatlichen Heimkosten (Kosten für Pflege sowie Unterkunft und Verpflegung) in Pflegestufe I auf 1.998 Euro, in Pflegestufe II auf 2.440 Euro sowie in Pflegestufe III auf 2.907 Euro
Aktuelle Zahlen
Wie viele alte Menschen gibt es in Deutschland? Wie viele davon haben einen Migrationshintergrund?
Am 31.12.2013 waren 21 Prozent der gesamten Bevölkerung Deutschlands (80,8 Millionen) 65 Jahre und älter. Nach aktuellen Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes
Die Kombination aus schrumpfender Bevölkerung und demografischer Alterung hat für den Pflegebereich unterschiedliche Konsequenzen. Zum einen geht das Potenzial an Arbeitskräften und damit auch die Zahl an potenziellen Pflegekräften zurück, da die Zahl der Bevölkerung im Erwerbsalter (20 bis unter 65 Jahre) sinkt. Zum anderen wird die Zahl der Pflegebedürftigen weiter ansteigen, da mehr Ältere und damit potenziell mehr Pflegebedürftige in Deutschland leben. Die Zahl der über 80-Jährigen wird sich kontinuierlich von 4,4 Millionen im Jahr 2013 auf ca. neun Millionen im Jahr 2060 erhöhen. Über 13 Prozent der Bevölkerung werden dann mindestens 80 Jahre alt sein (2013: fünf Prozent).
Von den 16,8 Millionen Älteren mit 65 und mehr Altersjahren hatten am 31.12.2013 697.000 Personen, d.h. 4,1 Prozent, eine ausländische Staatsangehörigkeit. Ihre Zahl hat sich damit seit 1990 (143.000 Ausländer im Alter ab 65 Jahren) bereits verfünffacht. Nach Angaben des Mikrozensus 2013 haben etwa 20 Prozent der in Deutschland lebenden Personen einen "Migrationshintergrund", sie sind also entweder selbst zugewandert oder Nachkommen von zugewanderten Personen. Davon waren 1,5 Millionen 65 Jahre und älter (2005: 1,2 Millionen). Bis 2030 zeigen Modellrechnungen für die Älteren unter den Personen mit Migrationshintergrund eine Zunahme auf 3,6 Millionen Menschen
Wie viele Pflegebedürftige leben in Deutschland und wie werden sie versorgt?
Nach zuletzt verfügbaren Zahlen der bundesamtlichen Pflegestatistik waren zum Jahresende 2013 etwa 2,63 Millionen Versicherte der sozialen und privaten Pflegeversicherung als pflegebedürftig anerkannt
Von den anerkannt Pflegebedürftigen sind mehr als die Hälfte (55,8 Prozent) der Pflegestufe I zugeordnet. Der Anteil der Empfänger der Pflegestufe II liegt bei 31,9 Prozent und der Anteil der Pflegestufe III bei 11,8 Prozent, wobei 0,5 Prozent noch ohne Zuordnung waren.
Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen (70,9 Prozent bzw. 1,86 Millionen) wurden zu Hause versorgt. Pflegegeld bezogen davon 1,25 Millionen Pflegebedürftige. Diese Personen wurden in der Regel allein durch Angehörige gepflegt. Bei weiteren 616.000 Pflegebedürftigen erfolgte die Pflege zwar auch zu Hause, allerdings ergänzt oder vollständig durch ambulante Pflegedienste. In Pflegeheimen wurden zudem 764.000 Pflegebedürftige versorgt.
Pflegebedürftigkeit ist äußerst altersabhängig. Insgesamt sind etwa 83 Prozent der Leistungsempfänger älter als 65 Jahre. Neben der Altersabhängigkeit sind Pflegerisiken auch geschlechtsabhängig, Frauen sind insgesamt stärker von Pflegebedürftigkeit betroffen. Dies ist vor allem damit begründet, dass Frauen länger leben und das Pflegerisiko mit dem Alter ansteigt. Weiterhin ist der Familienstand ein Faktor, weil Frauen aufgrund höherer Lebenserwartung häufiger verwitwet bzw. alleinstehend sind.
Wissenschaftler des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen haben eine (regionalisierte) Vorausberechnung der Zahl der Pflegebedürftigen bis 2060 vorgenommen
Aufgrund bis dahin fehlender quantitativer Erkenntnisse zu pflegebedürftigen Personen mit Migrationshintergrund wurden 2011 im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums im Rahmen der Studie zur “Weiterentwicklung des Pflegegesetzes“ u.a. Pflegebedürftige und Pflegekräfte mit Migrationshintergrund befragt
Bei den ambulant betreuten Pflegebedürftigen weisen insgesamt etwa sieben Prozent einen Migrationshintergrund auf. Dieser Anteil macht bei den vollstationär Versorgten ca. neun Prozent aus, wobei die Schätzungen der jeweiligen Heimleitungen nur einen Wert von sechs Prozent ergaben. Hier kann davon ausgegangen werden, dass ein etwaiger Migrationshintergrund für die Heimleitung nicht immer ersichtlich ist und daher der Anteil von ihnen eher zu gering eingeschätzt wurde