Eine klare Gemeinsamkeit unterschiedlicher Formen lebensstilorientierter Migration ist das Streben nach Selbstverwirklichung. Lifestyle-Migranten stellen sich häufig als aktiv Handelnde dar, die ihr Leben durch die Migration selbst in die Hand genommen haben. Ihre Geschichten beinhalten stets Berichte des Ankommens, des Neubeginns und der Verwirklichung ihrer Träume. Sie betonen ihren vermeintlichen Pioniergeist und dass die Migration ihnen die Möglichkeit gegeben habe, ihr "wahres Selbst" an Orten zu finden, zu deren Kulturen oder Landschaften sie sich hingezogen fühlten.
Der ersehnte Lebensstil spiegelt sich in unterschiedlichen Wanderungszielen wider. Die einen suchen ein gemächlicheres und ruhigeres Leben und ziehen "zurück aufs Land", etwa Briten in Frankreich oder US-Amerikaner in Lateinamerika.
Daneben gibt es aber auch Lifestyle-Migranten, die vom pulsierenden kulturellen Leben und den Freiräumen globaler Großstädte wie Berlin angezogen werden.
Bürgerliche Boheme, Residenztourismus und Ländliches Idyll
Einige Migranten suchen alternative Lebensstile an Orten, die die Erfüllung von Boheme-Idealen versprechen. Sogenannte Bürgerliche Bohemiens suchen Ziele, die geistige, künstlerische oder kreative Erwartungen bedienen und die einzigartige "kulturelle" Erfahrungen versprechen. Die Literaten, Künstler und Musiker, die die amerikanische Anthropologin Jacqueline Waldren (1996) in ihrem Buch über In- und Outsider von Deia, Mallorca beschrieben hat, gelten als Paradebeispiel für diese Boheme-Migranten. Sie suchen einerseits ein freies, unangepasstes Leben, in Abgrenzung zu den Normen sowohl der Ziel- als auch der Herkunftsgesellschaft. Andererseits sind ihre finanziellen Ressourcen die Voraussetzung für ihren Aufenthalt. Ähnliches gilt für die "Wahl-Mykonioten", die immer wieder auf die griechische Insel Mykonos kommen und dort durch ihr künstlerisches "Leben, Schauspielen, Arbeiten und Schaffen in einem touristischen Raum" eine alternative Identität ausleben.
Andere Lifestyle-Migranten ziehen als Residenztouristen in vom Massentourismus geprägte (und zumeist am Meer gelegene) Gebiete, etwa in der Türkei, Spanien oder Griechenland. Sie verbinden ihre Migrationsziele mit Sonne, Meer und Urlaub, allerdings weniger mit ausschweifendem Hedonismus als vielmehr mit Frieden, Ruhe und Freiheit. Die erste Begegnung mit der Zielregion erfolgt meist als Tourist und der dabei entstandene Eindruck ist von den sozialen und materiellen Freizeit- und Genussräumen des Tourismus geprägt. Tourismusbroschüren und andere Marketinginstrumente fördern diese Bilder und Vorstellungen attraktiver Zielregionen. Residenztouristen streben gewissermaßen nach einem Leben immerwährenden Urlaubs. Einige sind saisonale Migranten, viele lassen sich jedoch dauerhaft nieder. Dabei müssen sie zwar unter Umständen auch arbeiten, die Arbeit steht aber nicht im Mittelpunkt der Migrationsentscheidung. Hauptziel der Auswanderung ist es, der Hektik der Herkunftsländer zu entkommen und gerade genug für ein angenehmes Leben zu verdienen. Neben diesen ursprünglichen Wohntouristen im Mittelmeerraum gibt es weitere Formen von Residenztourismus, etwa von US-amerikanischen und kanadischen sogenannten "Snowbirds", die einen Teil des Winters im warmen Klima Kaliforniens oder Floridas verbringen, oder die wachsende Zahl von US-Amerikanern, die sich dauerhaft in Panama, Mexiko und Costa Rica niedergelassen haben.
Diejenigen Lifestyle-Migranten, die auf der Suche nach dem Ländlichen Idyll sind, suchen das ruhige Leben. Ländliche Orte werden als Möglichkeit einer Reise zurück in die "gute alte Zeit" gedacht: zurück zum einfachen Leben auf dem Lande, wo noch Gemeinschaftssinn herrsche.
Die Prägung von Lifestyle Migration durch kulturelle Narrative und globale Ungleichheiten
Obwohl Lifestyle Migration eigentlich als individuelle Suche nach dem "guten Leben" verstanden wird, beeinflussen weitere Faktoren sowohl die Wahl der Zielorte als auch die dort gemachten Erfahrungen. Ob im übertragenen oder im Wortsinn: Orte erfordern eine bestimmte Lebensweise. Amerikaner suchen im Mittleren Westen Orte, die sie als heilsam wahrnehmen; Lifestyle-Migranten, die aufs Land ziehen, wollen Teil der Dorfgemeinschaft werden und autark oder zumindest ursprünglicher leben; Westler in Varanasi hoffen, ihrem spirituellen Selbst näher zu kommen; und für einige Kanadier hat das Leben in abgelegenen Regionen abseits der Zivilisation etwas von der sprichwörtlichen einsamen Insel – ruhig und abgeschieden. All dies sind keine individuellen Ideale, sondern übergreifende kulturelle Narrative, die nicht selten von denen gefördert werden, die diese Orte – in Mythen und Wunschträume verpackt – vermarkten. Noel Salazar (2014, S. 124) hat die Bedeutung gesellschaftlicher Vorstellungen für lebensstilorientierte Migration wie folgt auf den Punkt gebracht: "Geteilte kulturelle und gesellschaftlich vermittelte Vorstellungen, die mit individuellen Vorstellungen interagieren, werden als sinngebende und welterklärende Mittel verwendet."
Zudem lässt sich nicht ignorieren, dass historisch geschaffene globale Ungleichheiten Lifestyle Migration in Teilen der Welt ermöglichen und den Weg bahnen: Lifestyle Migration beruht auf relativem Wohlstand. Häufig erwerben diese Migranten Immobilien als Zweit- oder vielmehr als Erstwohnsitz, die sie sich in ihrem Herkunftsland niemals leisten könnten. Viele führen ein entspanntes Leben auf Grundlage ihrer im Westen gemachten Einkünfte oder Investitionen oder der guten Renten, die sie aufgrund langjähriger Arbeit in den reicheren Ökonomien erhalten. Zwar sind sie nach den Maßstäben ihrer Herkunftsgesellschaft nicht reich, doch profitieren Lifestyle-Migranten häufig von niedrigeren Lohnniveaus in den gewählten Zielländern oder ländlichen Gebieten. Vielerorts sind diese Wohlstandsunterschiede das Ergebnis kolonialer Ausbeutung und den daraus folgenden Macht- und Wohlstandsasymmetrien. So ist es auch kein Zufall, dass viele Lifestyle-Migranten den Pfaden früherer kolonialer Beziehungen folgen. Viele Ziele lebensstilorientierter Migration (wie bspw. Malaysia, Südafrika oder Thailand) sind ehemalige Kolonien oder waren in jüngerer Zeit von westlichen Mächten besetzt. In dem Fall, dass Lifestyle-Migranten aus den ehemaligen Kolonialmächten stammen, können gegenwärtige Hierarchien auf historisch gewachsenen Ungleichheiten aufbauen. Koloniale Kontinuitäten spiegeln sich in Rechtsordnungen und Besitzverhältnissen, in Mobilitätschancen (z.B. unidirektionale Reisemöglichkeiten durch Visa und Aufenthaltsgenehmigungen), Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen (aufgrund der Aufmerksamkeit die "weiße Körper" häufig erlangen) wider, die bisweilen auch daher herrühren, dass wohlhabende Migranten in den Zielregionen als Ressourcen zur ökonomischen Entwicklung angesehen werden.
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers