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Regionale Muster des demografischen Wandels | Demografischer Wandel und Migration in Europa | bpb.de

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Regionale Muster des demografischen Wandels

Frank Swiaczny

/ 4 Minuten zu lesen

Deutschland weist ein Geburtendefizit auf. (© fotolia.com/Herby)

Eine regionale Betrachtung des demografischen Wandels und der Wanderungssalden auf der Basis kleinerer Gebietseinheiten (NUTS-3, entsprechend den Kreisen in Deutschland) zeigt, dass auch in Ländern, die insgesamt noch einen positiven Bevölkerungssaldo aufweisen, die Bevölkerung in einzelnen Regionen bereits schrumpfen kann (siehe Abb. 7).

Negative Bevölkerungssalden, in der Karte mit einer gepunkteten Signatur dargestellt, erstrecken sich von Griechenland im Süden über weite Bereiche Osteuropas und die baltischen Staaten bis in die peripheren Regionen in Finnland und den Norden Schwedens. Einen Bevölkerungsrückgang zeigen auch periphere Regionen im Süden Italiens und auf der Iberischen Halbinsel sowie einzelne Regionen in Zentralfrankreich und den Ardennen sowie an der britischen Westküste. Außerdem sind, aufgrund der niedrigen Fertilität und der bereits weit fortgeschrittenen Alterung, große Teile Deutschlands und Österreichs betroffen.

Abb. 7: Regionale Bevölkerungsdynamik in Europa 2010 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Gewinner und Verlierer

Diese regionalen Unterschiede setzen sich aus dem natürlichen Bevölkerungssaldo sowie dem Wanderungssaldo zusammen, der sowohl die Außenwanderung als auch die häufig bedeutendere Wanderung zwischen den Regionen innerhalb eines Landes umfasst. Die Karte stellt die Kombination beider Indikatoren anhand von vier Klassen dar. Positiver natürlicher Bevölkerungs- und Wanderungssaldo (grüne Signatur), negativer natürlicher und Wanderungssaldo (rote Signatur) sowie positiver natürlicher und negativer Wanderungssaldo (dunkelrosa Signatur) bzw. umgekehrt (hellrosa Signatur).

Vergleicht man die räumliche Verteilung der Regionen mit einem negativen natürlichen Saldo (hellrosa und rot) mit der zusammengefassten Geburtenziffer, der Lebenserwartung bei der Geburt und der Altersstruktur der Bevölkerung, die hier nicht dargestellt werden können, so wird deutlich, dass die regionalen Unterschiede der Fertilität und Lebenserwartung innerhalb der einzelnen Länder vergleichsweise gering sind (mit Ausnahme der Türkei). Sie können die Unterschiede in der natürlichen Bevölkerungsentwicklung alleine nicht erklären. Niedrige oder negative natürliche Salden gehen allerdings mit überdurchschnittlich hohen Anteilen der älteren Bevölkerung einher. In diesen spiegelt sich dabei auch die Wirkung lang anhaltender Abwanderung jüngerer Altersgruppen in der Vergangenheit.

Regionen mit positiven natürlichen Salden finden sich hingegen vor allem in Ländern, in denen die Fertilität insgesamt vergleichsweise hoch ist bzw. in denen der Rückgang der Geburtenzahlen erst spät begonnen hat. Auch hier zeigen Regionen, die in der Vergangenheit überdurchschnittlich von der Zuwanderung junger Menschen profitieren konnten, eine besonders günstige natürliche Bevölkerungsentwicklung.

Die regionalen Wanderungsmuster lassen zwei generelle Trends mit positiven Wanderungssalden (grün und hellrosa) erkennen. Gewinner der Zuwanderung sind vor allem die städtischen Regionen mit hoher Bevölkerungsdichte und ihr direktes Einzugsgebiet. Eine Ausnahme stellen hier Frankreich sowie Teile Skandinaviens dar. In Frankreich ist hier ein Trend zur Wanderung Richtung Süden und Westen festzustellen, von dem auch ländliche Regionen profitieren. In Skandinavien ist zu berücksichtigen, dass sich die Wanderungsgewinne je 1.000 Einwohner auf Regionen mit einer sehr geringen Bevölkerungsdichte beziehen.

Wanderungsverluste (rot und dunkelrosa) konzentrieren sich in Regionen mit geringer Wirtschaftskraft sowie hoher Arbeitslosigkeit, wie fast flächendeckend in Osteuropa. Am Beispiel Deutschlands wird zudem deutlich, wie räumlich eng benachbart sich Regionen mit Wanderungsgewinnen und -verlusten herausbilden können. Neben den in der Karte gut erkennbaren Ballungsräumen und ihrem weiteren Umland (Hamburg, Berlin, Rhein-Ruhr, Oberrhein/Rhein-Main, München), gehören auch die punktuell hervortretenden mittelgroßen Städte zu den Wanderungsgewinnern (hellrosa), während die ländlichen und vor allem die peripheren Kreise, besonders in Ostdeutschland und den Mittelgebirgsregionen im Westen, Bevölkerung durch Abwanderung verlieren (rot).

Da allgemein eher junge und überdurchschnittlich gebildete Personen in wirtschaftlich attraktive Regionen wandern, dies gilt für die Außenwanderung wie für die Binnenwanderung, trägt die Wanderung nicht nur zur Vergrößerung wirtschaftlicher Unterschiede bei. Mit der Zu- bzw. Abwanderung junger Frauen intensiviert die Wanderung mittelfristig auch die räumlichen Unterschiede der natürlichen Bevölkerungsentwicklung. Führen Alterung und Bevölkerungsrückgang, zusammen mit geringer Bevölkerungsdichte, dazu, dass sich Arbeits- und Lebensbedingungen sowie Zukunftsaussichten verschlechtern, kann sich dies zu einem Push-Faktor entwickeln, der weitere Abwanderung begünstigt. Wanderungsprozesse tendieren entsprechend dazu, die räumlichen Unterschiede, demografisch wie ökonomisch, zu intensivieren.

Waren bisher Raumplanung und Regionalentwicklung bestrebt, das Auseinanderentwickeln der Regionen zu verhindern, so stellt sich für die Zukunft die Frage, ob die bisherigen Konzepte auch dann noch brauchbar sein werden, wenn aufgrund der beschriebenen Bevölkerungsprozesse immer mehr Regionen neben einer zunehmenden Alterung auch eine schrumpfende Bevölkerung verzeichnen. Deutschland mit seinem hohen Geburtendefizit stellt dabei einen Vorreiter für eine gesamteuropäische Entwicklung dar, die in der Karte nur als eine Momentaufnahme dargestellt werden kann.

Bleiben die Geburtenziffern in den europäischen Regionen in Zukunft konstant niedrig, so werden durch die rückläufigen natürlichen Bevölkerungssalden immer mehr Regionen den Punkt erreichen, an dem sie ein Geburtendefizit aufweisen. Die Bedeutung von Wanderungsgewinnen wird damit langfristig für alle Regionen zunehmen. Während bei der internationalen Wanderung bereits jetzt die Konkurrenz einzelner Länder um die Hochqualifizierten zunimmt, muss künftig sicher damit gerechnet werden, dass die Konkurrenz um junge und gebildete Zuwanderer auch zwischen den Regionen zunehmen wird. Die räumliche Komponente spielt daher für die Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels in Europa eine besonders wichtige Rolle.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Demografischer Wandel und Migration in Europa".

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Frank Swiaczny ist Wissenschaftlicher Rat am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden und leitet die Redaktion der Zeitschrift Comparative Population Studies. Von 2000 bis 2012 war er Vorsitzender des Arbeitskreises Migration-Integration-Minderheiten der Deutschen Gesellschaft für Demographie (DGD). Zu seinen Aufgaben am Bundesinstitut gehören Forschung und Politikberatung in den Bereichen Demografie und Weltbevölkerung. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen daneben unter anderem Bevölkerungsgeographie und Migrationsforschung.
E-Mail: E-Mail Link: frank.swiaczny@swiaczny.de