Im Gegensatz zu den langfristig angelegten Strukturen demografischer Prozesse, wie sie im aktuellen demografischen Wandel deutlich werden, zeigt die internationale Migration in Europa zeitlich und räumlich größere Unterschiede und kann hier in ihrer Entwicklung nur in Grundzügen beschrieben werden. Ursachen, Wanderungsmotive, Alter, Geschlecht und Sozialstruktur der beteiligten Bevölkerungsgruppen, Wanderungsdistanzen, Dauerhaftigkeit bzw. Periodizität sowie die sich hieraus ergebenden Wechselwirkungen zwischen den Bevölkerungen in den Herkunfts- und Zielregionen von Wanderung sind überaus komplex.
Viele Wanderungsströme reagieren heute sehr kurzfristig auf sich verändernde Rahmenbedingungen, beispielsweise günstige Bedingungen auf nationalen Arbeitsmärkten. Auch der Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern unterliegt zeitlich größeren Schwankungen hinsichtlich der Intensität und der Herkunftsländer. Letztlich ist gegenwärtig ein nicht unbedeutender Teil der Zuwanderung auch gar nicht auf Dauer angelegt, z.B. bei der zeitlich befristeten Entsendung Hochqualifizierter oder der periodischen Beschäftigung von Saisonarbeitnehmern. Entsprechend schwierig sind solche Wanderungsmuster in Modellrechnungen zur künftigen Bevölkerungsentwicklung zu berücksichtigen. Andere demografische Folgen der Wanderung sind hingegen langfristig angelegt. Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Migration und demografischem Wandel spielt in Europa dabei vor allem die sogenannte "Kettenwanderung" eine Rolle. Bis heute folgt der ehemaligen "Gastarbeiterwanderung" ein Familiennachzug, von dem Regionen, die in der Vergangenheit Ziel einer größeren Zuwanderung waren, demografisch profitieren.
Migration und Bevölkerungszusammensetzung
Wanderungsbewegungen der Vergangenheit haben die aktuelle Bevölkerungszusammensetzung vieler europäischer Länder geprägt. So zählen Migranten aus ehemaligen Kolonialländern (z.B. Algerien und Marokko in Frankreich, Pakistan und Indien in Großbritannien, Indonesien in den Niederlanden) oder "Gastarbeiteranwerbeländern" (z.B. Türkei in Dänemark, Deutschland und den Niederlanden, Italien in Deutschland und Frankreich), aber auch Migranten, die im Rahmen der Asylwanderung nach Europa kamen (Irak, Nigeria und Sudan z.B. in Dänemark, Irland, Norwegen und den Niederlanden) zu den bedeutendsten Zuwanderergruppen in europäischen Staaten (vgl. Abb. 4). Auch die EU-Binnenmigration, die auf dem Prinzip der Niederlassungsfreiheit basiert, hat in den betrachteten europäischen Ländern die Bevölkerungsanteile aus den anderen EU-Ländern, vor allem den jeweiligen Nachbarländern, stark geprägt.
Am Beispiel Polens lässt sich zudem die Bedeutung der arbeitsmarktabhängigen EU-Binnenwanderung in den letzten beiden Jahrzehnten gut verdeutlichen. Nach 1990 nahm die Zahl der polnischen Migranten in Ländern wie Dänemark, Deutschland, Irland, Norwegen und Großbritannien sehr schnell zu. Zwischen 2000 und 2010 schwächte sich die Abwanderung in andere EU-Länder ab. Die positive Wirtschaftsentwicklung führte in diesem Zeitraum dazu, dass Polen selbst zum Zielland von Zuwanderern, insbesondere aus anderen osteuropäischen Staaten, wurde. Eine vergleichbare Entwicklung zeigt auch Spanien, das lange Zeit selbst Abwanderungsland (z.B. in der "Gastarbeiterphase") war. Vor allem zwischen 2000 und 2010 nahm die Zuwanderung aus Rumänien aber auch aus Nordafrika und Lateinamerika sehr stark zu. In der jüngsten Wirtschaftskrise haben sich diese Wanderungsströme z.T. wieder erheblich verändert – lassen sich aber anhand der hier ausgewählten Datenquellen noch nicht analysieren.
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers