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Demografischer Wandel in Deutschland und Europa | Demografischer Wandel und Migration in Europa | bpb.de

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Demografischer Wandel in Deutschland und Europa

Frank Swiaczny

/ 5 Minuten zu lesen

Eine Mutter mit ihren beiden Kindern. (© picture-alliance/AP)

Bevölkerungsrückgang

Am Beispiel Deutschlands lassen sich die Zusammenhänge demografischer Teilprozesse anschaulich erläutern. Deutschland wies zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine zusammengefasste Geburtenziffer (TFR) von rund 4,2 Kindern je Frau auf (bei einem Bestandserhaltungsniveau von damals noch 2,9 Kindern). Die Lebenserwartung bei der Geburt lag bei unter 45 Jahren. Die Zahl der Geburten überstieg die Zahl der Sterbefälle um durchschnittlich rund 10,4 je 1.000 Einwohner, der natürliche Saldo betrug 1900 +760.000. Mitte der 1950er Jahre war die Geburtenziffer bis auf das Bestandserhaltungsniveau von nun 2,1 Kindern je Frau gefallen. Bis Ende der 1960er Jahre folgte dann der “Babyboom“ mit Spitzenwerten von über 2,5 Kindern je Frau.

Der zweite demografische Übergang begann Anfang der 1970er Jahre. Er leitete den dauerhaften Rückgang auf eine Fertilität von 1,4 Kindern oder weniger ein, ein Wert der seit 1991 nicht mehr überschritten wurde. 1971 war schließlich das letzte Jahr, in dem die Zahl der Geburten die Zahl der Sterbefälle überstieg. Seitdem herrscht ein negativer natürlicher Bevölkerungssaldo (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Bevölkerungssaldo Deutschland 1950-2012 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Das Bevölkerungswachstum ist seither ausschließlich von der Höhe des Wanderungsgewinns abhängig. Geht die Zuwanderung zurück, wie seit Mitte der 1990er Jahre, oder überwiegt die Abwanderung, wie während der Wirtschaftskrisen Anfang der 1970er und 1980er Jahre, schrumpft die Bevölkerung in Deutschland. Im Jahr 2011 hatte sich das Geburtendefizit auf -2,3 je 1.000 Einwohner und der natürliche Saldo auf -190.000 erhöht. Trotzdem kam es nicht zu einem Bevölkerungsrückgang. Denn nach einer Reihe von Jahren mit steigenden Bevölkerungsverlusten aufgrund niedriger oder negativer Wanderungssalden ist die Bevölkerung in Deutschland 2011 dank der zuletzt stark angestiegenen Wanderungsgewinne erstmals seit 2003 wieder leicht gewachsen.

Alterung

Niedrige Fertilität und eine auf 78 (Männer) bzw. 83 (Frauen) Jahre gestiegene Lebenserwartung haben einen ausgeprägten Alterungsprozess eingeleitet. Um 1900 waren noch 45 Prozent der Bevölkerung in Deutschland unter 20 Jahre und nur 5 Prozent über 65 Jahre alt. Aktuellen Modellrechnungen zufolge wird sich der Anteil der unter 20-Jährigen bis 2060 auf etwa ein Drittel reduzieren und der Anteil der über 65-Jährigen auf mehr als das Sechsfache erhöhen. Langfristig wird die Bevölkerung nach dem Ergebnis dieser Modellrechnungen bis 2060 deutlich zurückgehen. Bei einer Fertilität auf dem gegenwärtigen Niveau von knapp 1,4 Kindern je Frau und einem angenommenen Wanderungsüberschuss, der ab 2020 200.000 Migranten pro Jahr beträgt, wird für Deutschland eine Gesamtbevölkerung von etwa 70 Millionen erwartet. Bei einem konstanten Überschuss von 100.000 Migranten pro Jahr sind es rund 65 Millionen und ohne Wanderungsüberschuss wird die Bevölkerung auf unter 60 Millionen zurückgehen. Bei einer moderaten Steigerung der Fertilität auf 1,6 Kinder je Frau bis 2025 ergeben die beiden Wanderungsszenarien mit einem Wanderungsüberschuss von 100.000 bzw. 200.000 Migranten erwartete Bevölkerungszahlen von knapp 70 bis 75 Millionen Einwohner.

Modellrechnungen

Im europäischen Vergleich sind die Alterung und die drohende Schrumpfung bzw. die Abhängigkeit des Bevölkerungswachstums von der Zuwanderung für Deutschland besonders ausgeprägt. In einigen anderen west- und nordeuropäischen Ländern hat sich das Fertilitätsniveau nach anfänglichem Rückgang inzwischen wieder erholt. In vielen süd- und osteuropäischen Ländern hat der Rückgang erst deutlich später als in Deutschland eingesetzt (siehe Interner Link: Abb. 1). Entsprechend unterscheidet sich, ob und gegebenenfalls wann der natürliche Bevölkerungssaldo negativ wird.

Frankreich hat nach anfänglichem Rückgang der Fertilität gegenwärtig wieder fast das Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Kindern je Frau erreicht. Nach Ergebnissen einer Modellrechnung der UN setzt sich bei konstanter Fertilität der Rückgang des natürlichen Bevölkerungssaldos zwar bis zum Ende des Jahrhunderts leicht fort, er bleibt aber selbst unter der Annahme langfristig rückläufiger Wanderungsgewinne stets positiv. Gleiches gilt beispielsweise auch für Irland und Norwegen. In Großbritannien, das nur ein unwesentlich niedrigeres Fertilitätsniveau als Frankreich aufweist und in den Niederlanden sowie Dänemark, die nach einem stärkeren Rückgang zwischenzeitlich wieder eine Fertilität von um 1,8 Kindern je Frau aufweisen, ist mit negativen natürlichen Salden ab 2050/55 bzw. 2030/35 und 2035/40 zu rechnen.

Im Gegensatz hierzu stehen Spanien und Slowenien, in denen der Rückgang der Geburten später begonnen hat und das Fertilitätsniveau derzeit knapp über 1,4 liegt sowie Polen, das nach der Systemtransformation einen Rückgang auf unter 1,4 Kinder je Frau verzeichnet. In diesen Ländern hat das Geburtendefizit entweder bereits eingesetzt, wie in Slowenien 1995/2000 und Polen 2000/05, oder steht unmittelbar bevor, wie in Spanien, wo ein negativer Saldo im Zeitraum 2010/15 erwartet wird. Überlagert werden diese demografischen Prozesse vom Wanderungssaldo. In Spanien ist dieser seit den 1990er Jahren im langjährigen Durchschnitt stark positiv, in Slowenien ebenfalls leicht positiv, während Polen seit den 1950er Jahren einen Abwanderungsüberschuss aufweist, der seit Mitte der 1980er Jahre weiter ansteigt. Entsprechend weisen Polen und Slowenien seit einigen Jahren negative Bevölkerungssalden auf, während dies für Spanien erst in den 2040er Jahren zu erwarten ist, vorausgesetzt, die Zuwanderung erreicht künftig wieder das Niveau vor der Wirtschaftskrise.

Unabhängig von den unterschiedlichen Trends der natürlichen Bevölkerungsentwicklung zeigen die ausgewählten europäischen Länder (siehe Abb. 3) zwischen 1950 und 2010 alle eine ausgeprägte Alterung der Bevölkerung. Lag der Bevölkerungsanteil unter 20 Jahren 1950 noch zwischen 30 Prozent bis knapp über 40 Prozent (Polen) und der Anteil mit 65 Jahren und älter zwischen knapp 5 Prozent (Polen) bis 10 Prozent, so haben sich die Anteile der jüngeren Altersgruppe bis 2010 deutlich reduziert und die der älteren Jahrgänge erhöht.

Abb. 3:Altersstruktur in ausgewählten europäischen Ländern 1950, 2010 und 2060 (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Während der Rückgang des Bevölkerungsanteils der unter 20-Jährigen in den meisten Ländern auf zwischen 25 Prozent bis 30 Prozent erfolgte, deutet sich hier bereits eine Differenzierung gegenüber solchen Ländern an, die wie Polen, Spanien oder Slowenien, nur noch Werte um oder knapp über 20 Prozent erreichen. Spitzenreiter dieser Entwicklung ist hier Deutschland mit einem Rückgang von 33,8 Prozent 1950 auf 19,5 Prozent 2010.

Die Zunahme des Anteils der Personen, die 65 Jahre und älter sind, für den neben der rückläufigen Fertilität auch der Anstieg der Lebenserwartung zu berücksichtigen ist, erreicht für alle in Abbildung 3 betrachteten Länder 2010 Werte zwischen 10 Prozent und 15 Prozent. Auch hier stellt Deutschland mit einem Wert von 18,2 Prozent eine Ausnahme dar.

Den Einfluss, den das Fertilitätsniveau auf die weitere Dynamik des Alterungsprozesses hat, zeigt das Ergebnis der UN-Modellrechnung bis 2060 in Abbildung 3, für die eine konstante Fertilität angenommen wurde. Hier zeigen sich zwei Entwicklungslinien: In der Gruppe der Länder mit einer höheren Fertilität, die nahe an das Bestandserhaltungsniveau heranreicht, geht der Anteil der jungen Altersgruppen nur noch um wenige Prozentpunkte zurück und erreicht Werte zwischen 20 Prozent und knapp 25 Prozent. In Ländern mit niedriger Fertilität, einschließlich Deutschland, erreicht der Anteil dieser Altersgruppen 2060 hingegen nur noch knapp über 15 Prozent.

Der lange Modellrechnungszeitraum von 50 Jahren führt in diesem Beispiel auch dazu, dass der unterschiedliche Beginn der Niedrigfertilität in den einzelnen Ländern keine Rolle mehr spielt und sich die Alterung nahezu ausschließlich auf die Höhe des Fertilitätsniveaus zurückführen lässt. Entsprechend entwickelt sich auch der Anteil der Personen im Alter von 65 Jahren und älter auf rund 22 Prozent bis 26 Prozent in der Ländergruppe mit hoher Fertilität und auf 30 Prozent bis 34 Prozent bei niedriger Fertilität.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Demografischer Wandel und Migration in Europa".

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Frank Swiaczny ist Wissenschaftlicher Rat am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden und leitet die Redaktion der Zeitschrift Comparative Population Studies. Von 2000 bis 2012 war er Vorsitzender des Arbeitskreises Migration-Integration-Minderheiten der Deutschen Gesellschaft für Demographie (DGD). Zu seinen Aufgaben am Bundesinstitut gehören Forschung und Politikberatung in den Bereichen Demografie und Weltbevölkerung. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen daneben unter anderem Bevölkerungsgeographie und Migrationsforschung.
E-Mail: E-Mail Link: frank.swiaczny@swiaczny.de