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Einleitung

Jochen Oltmer

/ 3 Minuten zu lesen

Migration ist seit jeher ein zentrales Element der Anpassung des Menschen an Umweltbedingungen sowie gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Herausforderungen. Räumliche Bewegungen von Menschen veränderten in den vergangenen Jahrhunderten die Welt: Zahlreiche Beispiele zeigen das Ausmaß, mit dem Arbeits- oder Siedlungswanderungen, Flucht, Vertreibung oder Deportation die Bevölkerungszusammensetzung, die Entwicklung von Arbeitsmärkten oder kulturell-religiöse Orientierungen beeinflussten. Auch in Zukunft wird Migration ein globales Thema bleiben. Das verdeutlichen beispielsweise die aktuellen Debatten über die Folgen des weiteren Anwachsens der Weltbevölkerung, der Alterung der Gesellschaften des reichen "Nordens", des Klimawandels oder des Mangels an Fachkräften für zunehmend komplexere und international eng vernetzte "Wissensgesellschaften".

Bedingungen, Formen und Folgen von Migration

Migration kann als die auf einen längerfristigen Aufenthalt angelegte räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes von Individuen, Familien, Gruppen oder auch ganzen Bevölkerungen verstanden werden. Unterscheiden lassen sich verschiedene Erscheinungsformen globaler räumlicher Bevölkerungsbewegungen. Dazu zählen vor allem Arbeits- und Siedlungswanderungen, Nomadismus, Bildungs-, Ausbildungs- und Kulturwanderungen, Heirats- und Wohlstandswanderungen sowie Zwangswanderungen.

Tabelle 1: Hintergründe und raum-zeitliche Dimensionen von Migration
Eigene Darstellung
Hintergrund
  • Chancenwahrnehmung (Arbeits- und Siedlungswanderungen)

  • Zwang (Flucht, Vertreibung, Deportation, meist politisch und weltanschaulich bedingt oder Folge von Kriegen)

  • Krise/Katastrophe (z.B. Abwanderung aufgrund menschlicher oder natürlicher Umweltzerstörung, akuter wirtschaftlicher und sozialer Notlagen)

  • Bildung/Ausbildung (Erwerb von beruflichen oder akademischen Qualifikationen)

  • Lebensstil (Kulturwanderungen, Wohlstandswanderungen)

Raum
  • intraregional (Nahwanderungen)

  • interregional (mittlere Distanz)

  • grenzüberschreitend (muss keine großen Distanzen umfassen, der Grenzübertritt hat aber in der Regel erhebliche rechtliche Konsequenzen für das Individuum)

  • interkontinental (große Distanzen mit in der Regel relativ hohen Kosten)

Richtung
  • unidirektional (Wanderung zu einem Ziel)

  • etappenweise (Zwischenaufenthalte werden eingelegt, v.a. um Geld für die Weiterreise zu verdienen)

  • zirkulär (mehr oder minder regelmäßiger Wechsel zwischen zwei Räumen)

  • Rückwanderung

Dauer des Aufenthalts
  • saisonal

  • mehrjährig

  • Arbeitsleben

  • Lebenszeit und intergenerationell

Der Überblick über die Hintergründe und raum-zeitlichen Dimensionen von Migration verdeutlicht die Komplexität des Phänomens, dessen Entwicklung von einer Vielzahl von Faktoren abhängt: Arbeitswanderungen sind Konjunktur- und Krisensymptome; die Veränderung ihrer Dimensionen und Verläufe spiegelt die Entwicklung globaler, nationaler und regionaler Ökonomien. Migration ist aber auch gebunden an Herrschaftsverhältnisse und politische Prozesse: Individuelles und kollektives Handeln von (potenziellen) Migranten unterliegt staatlichen, politischen und administrativen Einflüssen und Einflussnahmen. Zwangswanderungen wiederum sind Ausdruck davon, dass die Einschränkung der Freiheit von Individuen und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit staatlich und gesellschaftlich akzeptiert werden. Menschen reagieren auf bewaffnete Konflikte mit Bewegungen im Raum, d.h. sie fliehen an einen (vermeintlich) sichereren Ort. Wie eine Unzahl von Vertreibungen und Deportationen in Geschichte und Gegenwart zeigt, ist die Vorstellung weit verbreitet, durch die Nötigung zur Migration ließe sich Herrschaft stabilisieren oder könnten politische Interessen durchgesetzt werden.

Blicke in die Zukunft: Probleme und Perspektiven

Weil sich die Genese der skizzierten (und anderer) Einflussfaktoren kaum prognostizieren lässt, bleibt der Blick in die migratorische Zukunft der Welt unsicher. Dennoch lässt sich auf der Grundlage einiger Trends der vergangenen Jahre und Jahrzehnte skizzieren, welche Entwicklungen unter Berücksichtigung welcher Einflussfaktoren in der absehbaren Zukunft erwartet werden können. Im Folgenden gilt das Interesse den Folgen dreier globaler Prozesse, die das Migrationsgeschehen entscheidend prägen: 1. dem Bevölkerungswachstum, 2. der Urbanisierung und 3. den Umweltveränderungen.

Gegenüber allen statistischen Angaben ist dabei Skepsis angebracht. Das gilt nicht nur wegen der bereits erwähnten Komplexität des beobachteten Phänomens. Selbst Staaten, die über gut funktionierende statistische Behörden verfügen, bieten in aller Regel nur unzureichende Angaben über grenzüberschreitende Zu- und Abwanderung sowie intra- und interregionale Migration. Meist werden unterschiedliche Definitionen für die verschiedenen Migrationsphänomene zugrunde gelegt. Auch wandeln sich die stark variierenden Erhebungskriterien häufig, weshalb sich Vergleiche und das Zusammenführen von Angaben zu einzelnen Ländern als sehr schwierig gestalten. Weder über die Vergangenheit, noch über die Gegenwart oder gar über die Zukunft der Migrationsverhältnisse lassen sich abgesicherte Umfangsangaben machen.

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Globale Migration in der Zukunft".

Dr. phil. habil., geb. 1965, ist Apl. Professor für Neueste Geschichte und Vorstand des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.


Der Autor dankt Vera Hanewinkel, Kristina Jäger und Martha Quis für intensive Recherchen sowie viele Hinweise und Anregungen. E-Mail: E-Mail Link: joltmer@uni-osnabrueck.de