Ein Hauptproblem bei der Erfassung der deutschen Bevölkerung im Ausland (wie auch derjenigen jedes anderen Staates) ist die Frage nach deren Konzeptionalisierung, d.h. wer eigentlich genau als Teil dieser Bevölkerung gezählt werden soll. Sollen beispielsweise nur Personen gezählt werden, die tatsächlich die Erfahrung der Abwanderung aus Deutschland selbst gemacht haben oder sollte versucht werden, auch Personen der nachfolgenden Generationen deutscher Abwanderer mit einzubeziehen, also solche die über keine eigene Migrationserfahrung verfügen? Und wie verhält es sich mit Deutschen, die zusätzlich noch die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes angenommen haben (sogenannte Doppelstaater
Wer ist ein Expatriate? Versuch einer Definition
…im engeren Sinne
Der Begriff Expatriate (oder Expat) bezeichnet im Allgemeinen eine Gruppe besonders qualifizierter Arbeitskräfte, "deren Auslandsaufenthalt meist beruflich motiviert sowie in der Regel auf ein bis fünf Jahre befristet ist und im Rahmen einer Organisation oder eines hoch institutionalisierten Kontextes stattfindet".
…im weiteren Sinne
Die ursprüngliche lateinische Bedeutung des Begriffs ist dagegen sehr viel breiter. Sie bezieht sich nicht auf die Dauer und die Gründe für einen Auslandsaufenthalt, sondern versteht unter einem Expatriate eine Person, die außerhalb des Territoriums ihres Herkunftslandes lebt.
Solch ein Verständnis von Expatriates bietet eine nützliche Perspektive, da es die komplexen und vielfältigen Realitäten der im Ausland lebenden Bevölkerung eines Staates widerspiegelt. Es erlaubt zum Beispiel, dass die nachfolgenden Generationen von ins Ausland verzogenen deutschen Staatsangehörigen zur Bevölkerung Deutschlands gezählt werden, wenn sie weiterhin die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Wohingegen sie nicht unter die Definition eines Migranten fallen, da sie strenggenommen selbst nie migriert sind.
Wie groß ist die deutsche Bevölkerung im Ausland? Einige Schätzungen
Versuche, die im Ausland lebende Bevölkerung eines Staates zu erfassen, werden erschwert durch die Existenz unterschiedlicher Konzeptionalisierungen und darauf bezogener Erfassungsmethoden, die von Land zu Land variieren. Nationale Statistiken über Wanderungsbewegungen taugen also nur bedingt zur Generierung eines Überblicks über tatsächliche Wanderungsbewegungen. Dies liegt vor allem daran, dass einzelne Staaten unterschiedliche Zeitschwellen anlegen, um zu definieren, ab wann jemand als Zuwanderer gilt.
Zum Beispiel analysierte der Wissenschaftler Bleek Daten aus den späten 1980er Jahren und kam zu dem Schluss, dass etwa 10-15 Millionen Personen außerhalb Deutschlands leben, die der deutschen Sprache mächtig sind und/oder ihre Zugehörigkeit zum deutschen "Volkstum" deklarieren.
Die sogenannte Global People Origin Datenbank des Development Research Centre on Migration, Globalisation and Poverty der Universität Sussex, Großbritannien, gibt an, dass um das Jahr 2000 etwa eine Million deutsche Staatsangehörige in den insgesamt 226 Ländern lebten, die in die Datensammlung einbezogen wurden. Diese Zahl wiederum scheint zu niedrig, da die Datenbank aus einer Reihe von Ländern keine Daten erfasst, die aber wichtige Ziele für deutsche Staatsangehörige sind, wie beispielsweise die USA, und weil auch nicht alle sich im Ausland aufhaltenden Deutschen als offizielle Einwohner des jeweiligen Landes definiert werden. In der Datenbank wird deshalb darauf verwiesen, dass die Gesamtzahl der in Deutschland geborenen und im Ausland lebenden Personen viel höher liege – nämlich bei rund 3,4 Millionen.
Unter Berücksichtigung dieser divergierenden Zahlen kann man annehmen, dass weltweit mindestens eine Million deutsche Expats leben, ihre Zahl aber vermutlich noch viel höher ist. Möglicherweise entspricht sie den 3,3 bis 3,4 Millionen, die von der Migrationsdatenbank des Development Research Centers bzw. in einer Datenbank der OECD erfasst werden.
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers