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Wechselwirkungen zwischen Migrantenorganisationen und ihrer Umwelt | bpb.de

Wechselwirkungen zwischen Migrantenorganisationen und ihrer Umwelt

Ludger Pries

/ 3 Minuten zu lesen

In Bezug auf die Wechselwirkungen zwischen MSOs und ihrer Umwelt sind sowohl die in einem Land herrschenden Migrationspolitiken als auch die Bezugseinheiten und Adressaten der jeweiligen Organisationen zu beachten.

München, Juni 2013: Hungerstreikende Asylbewerber im Gespräch mit Vermittlern. (© picture-alliance/dpa)

Neben der Multidimensionalität und Dynamik der MSOs ist immer auch die Wechselwirkung zwischen diesen und den durch ihre Umwelt gegebenen Gelegenheitsstrukturen und Politiken zu beachten (Koopmans/Statham 2000; Pries 2010). Diese werden vor allem durch das in der jeweiligen Ankunftsgesellschaft dominante "Migrationsregime" und das "organisationale Feld" (s. Definition unten) der Migrantenorganisationen beeinflusst.

Migrationsregime

Als nationales Migrationsregime werden hier die in einem Land herrschenden Wertorientierungen, Gesetze sowie praktischen Politiken und Prozeduren im Hinblick sowohl auf die Kontrolle von Migration (Ein- und Auswanderungsregeln) als auch auf die Behandlung der im jeweiligen Land lebenden Menschen mit Migrationshintergrund (inkludierend oder exkludierend) verstanden. Hierzu zählen zunächst die historischen Rahmenbedingungen eines Landes z.B. als Auswanderungs- und/oder Einwanderungsland, die potenzielle Kolonialgeschichte und damit zusammenhängende Regelungen, die expliziten Anwerbungs-/Einwanderungs- oder Auswanderungspolitiken, das jeweils dominante historisch-kulturelle nationale Selbstverständnis und die daraus resultierenden Konzepte von Staatsbürgerschaft als gesellschaftliche Teilhabe.

Eine zweite Dimension des Migrationsregimes bezieht sich auf das allgemeine sozio-politische Institutionensystem, welches für Menschen mit Migrationshintergrund relevant ist. Hierzu zählen etwa der grundlegende Typus, über den Migranten und ihre Verbände Zugang zum politischen System erreichen können (z.B. über ihre eigenen, um öffentlichen Einfluss ringenden Organisationen oder über Gruppenbildung innerhalb etablierter übergreifender Parteien und Organisationen), die Besonderheiten der Parteienlandschaft im Hinblick auf Migration (Verteilung oder Konzentration von Migrationsthemen bezüglich der Parteien, Migranten in Führungspositionen von Parteien und Parlamenten, Integrations- oder Assimilationsorientierungen etc.) und die mit Migration und Integration befassten öffentlichen Einrichtungen (für Deutschland z.B. die Rolle von Verbänden wie der Arbeiterwohlfahrt, von Caritas und Diakonie, dem Deutschen Roten Kreuz, offiziell anerkannter religiöser Einrichtungen sowie der Gewerkschaften).

Eine dritte Dimension des Migrationsregimes betrifft die den Migranten gewährten formalen Rechte und realen Teilhabechancen, die sich vor allem auf die unterschiedlichen Statusgruppen von Menschen mit Migrationshintergrund (Arbeitsmigranten, Flüchtlinge und Asylsuchende, Aussiedler, Angehörige ehemaliger Kolonien etc.), deren Aufenthaltstitel, die typischen Verläufe rechtlicher Anpassungen an die vollen Staatsbürgerrechte (z.B. passives und aktives Wahlrecht) und die sonstigen zivilen und politischen Partizipationsmöglichkeiten (Vereinigungsrecht, Integrationsräte, kommunale Beteiligungsmöglichkeiten etc.) beziehen. Schließlich sind viertens die den Migranten gewährten Möglichkeiten der Daseinsvorsorge und Erwerbsgelegenheiten von großer Bedeutung: Welchen Zugang haben Migranten zu den Systemen sozialer Sicherung und zum Arbeitsmarkt? Welche Politiken und Mechanismen der Inklusion und Exklusion, der Diskriminierung bzw. der Gleichstellung werden vom Staat und den wichtigsten kollektiven und korporativen Akteursgruppen verfolgt?

Organisationales Feld

Neben diesen vier Hauptaspekten nationaler Migrationsregime ist bei der Untersuchung von MSOs auch das jeweils spezifische "organisationale Feld" zu beachten, in dem diese agieren. Hiermit ist die Gesamtheit aller (anderen) Organisationen gemeint, die für eine bestimmte MSO als Bezugseinheiten und Adressaten ihres kollektiven Handelns bedeutsam sind (z.B. andere MSOs, politische Parteien, staatliche Verwaltungseinheiten, Ausländerbeiräte, Gewerkschaftsverbände etc.). Eine wissenschaftlich geleitete und empirisch fundierte Diskussion der Rolle von MSOs zwischen dem Extrem der "Integrationsbrücke" und der "Integrationsfalle" ist ohne die Berücksichtigung der jeweiligen Migrationsregime (im Herkunfts- und Ankunftsland sowie supranational wie z.B. in der EU) sowie der entsprechenden "organisationalen Felder" nicht möglich (als international vergleichende Studie zu grenzüberschreitend aktiven MSOs in diesem Sinne vgl. Pries/Sezgin 2012 und die dort angegebene internationale Literatur; für Deutschland vgl. auch Hunger/Candan 2009; MASSKS-NRW 1999a; Müller-Hofstede 2007).

Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Migrantenselbstorganisationen – Umfang, Strukturen, Bedeutung".

Prof. Dr. Ludger Pries ist Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie/Organisation, Migration, Mitbestimmung an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Migrationssoziologie und Transnationalisierungsforschung.
E-Mail Link: ludger.pries@ruhr-uni-bochum.de