Chancenungleichheit in der Anerkennungspraxis
Die bislang fehlende Rechtslage für Verfahren zur Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen, besonders im Fall von Drittstaatsangehörigen, führte in der Vergangenheit zu großen Missständen und Chancenungleichheit in der Anerkennungspraxis. Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit (BA) beschreibt in ihrem Abschlussbericht 2009 die "unzureichende Informationslage in Bezug auf die komplexen Anerkennungsmöglichkeiten und -zuständigkeiten in Deutschland" (Schneider/Pfund 2009: 9). Die Vielfalt voneinander abweichender Regelungen des Bundes, der Länder und der Europäischen Union waren ein Grund für die Unübersichtlichkeit und die Intransparenz des Systems in dem sich Migrantinnen und Migranten für eine Anerkennung selbstständig orientieren mussten. Aus dem Fehlen bundesweit einheitlicher Standards und Kriterien für die Bewertungs- und Entscheidungspraxis resultierten zersplitterte Zuständigkeiten und eine uneinheitliche Verwaltungspraxis der Länder. Die getroffenen Entscheidungen über Anerkennungsverfahren waren nicht deutschlandweit verbindlich, sondern galten jeweils nur für das spezifische Bundesland in dem sie gefällt worden waren. Der von Ackermann/Meier (2011) beschriebene Fall der chinesischen Ärztin Yin Yu veranschaulicht die von Bundesland zu Bundesland variierende Möglichkeit der Qualifikationsanerkennung. Frau Yin Yu versuchte vergeblich eine Berufserlaubnis in Baden-Württemberg zu erlangen, während sie diese in Bayern problemlos erhielt. Grund hierfür waren unterschiedliche Kriterien für die Vergabe der Berufserlaubnis. In Baden-Württemberg orientierte sich die Anerkennungsstelle an den Inhalten und der Dauer ihres Studiums, die zuständige Stelle in Bayern hingegen an der Universität, an der sie studiert hatte (Ackermann et al. 2011). Ein positiver Anerkennungsbescheid galt ausschließlich in derjenigen Region, die einem/r Bildungsausländer/-in die Gleichwertigkeit seiner/ihrer Qualifikation bestätigt hatte, was jegliche innerdeutsche Mobilität unterband. Ein weiteres Manko der bisherigen Anerkennungsverfahren war ihre Dauer. Da es keine Frist für einen Entscheid gab, kam es in vielen Fällen zu sehr langwierigen Verfahren, die sich teilweise über Jahre hinzogen. Insgesamt kann das alte System als intransparent und ineffizient beschrieben werden. Es benachteiligte bestimmte Migrantengruppen strukturell, insbesondere aufgrund des fehlenden allgemeinen Rechtsanspruchs auf die Durchführung eines Anerkennungsverfahrens (Integrationsbeauftragte 2010).
Informationsdefizite
Viele Bildungsausländer/-innen, die ihren mitgebrachten Abschluss in Deutschland anerkennen lassen wollten, scheiterten zum Beispiel schon auf der Suche nach der zuständigen Anerkennungsstelle (Englmann et al. 2007: 102). Hadeed (2004: 57) konnte zeigen, dass strukturelle Hindernisse auch bei zuwandernden Hochqualifizierten eine Arbeitsmarktintegration verhindern konnten. Nur 12% der 260 von ihm Befragten waren über die Möglichkeit informiert worden, den im Ausland erworbenen Abschluss in Deutschland anerkennen zu lassen. Darüber hinaus führten auch Informationsdefizite im Laufe des Anerkennungsverfahrens zum Scheitern. Unklarheit bestand insbesondere im Hinblick auf die Frage nach dem Ablauf, der Dauer, den Ausgleichsmaßnahmen und den Kosten des Verfahrens (Braun 2011). Ein hoher finanzieller Aufwand entstand beispielsweise durch Verfahrensgebühren bei der Anerkennungsstelle, durch die Übersetzung von Zertifikaten oder durch mehrmonatige Nachqualifizierungsmaßnahmen. Viele Betroffene konnten die Mittel hierfür nicht aufbringen (Brussig et al. 2009: 10). Das Bewusstwerden dieser Mängel und Defizite führte schließlich zur Einsicht in die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage, die daraufhin mit der Verabschiedung des BQFG geschaffen wurde.
Dieser Text ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: "Bewertung von im Ausland erworbenen Qualifikationen".