Das Jahr 2000 gilt vielen Beobachtern der deutschen Migrationspolitik als entscheidende Wegmarke: Mit dem neuen Jahrtausend begann ein in den 1990er Jahren noch auf Abwehr ausgerichtetes und bestenfalls "zögerliches" Einwanderungsland
Der liberale Wandel der deutschen Arbeitsmigrationspolitik seit 2000
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Binnen 15 Jahren ist die Bundesrepublik in vielen Bereichen der Migrations- und Integationspolitik zu einem – so die Einschätzung des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) – 'modernen Einwanderungsland'
Die Green Card: Ausgangspunkt eines seit Jahren andauernden Reform- und Liberalisierungsprozesses
Bei der sog. Green Card handelte es sich um eine auf fünf Jahre beschränkte und auf maximal 20.000 Personen quotierte Arbeitserlaubnis für Fachkräfte aus den Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Die Maßnahme wurde als Teil eines Sofortprogramms der Bundesregierung zum Abbau des IKT-Fachkräftemangels per Rechtsverordnung umgesetzt. Zwar werteten Politik und Öffentlichkeit die
Das Zuwanderungsgesetz 2005: Niederlassungserlaubnis für Hochqualifizierte
Mit dem Zuwanderungsgesetz (ZuwG) wurde seitens der Bundesregierung erstmals seit dem Anwerbestopp 1973 wieder die prinzipielle Notwendigkeit der Arbeitsmigration für Deutschland anerkannt. Arbeitsmigrationspolitisch relevant war das Gesetz vor allem aufgrund der darin erfolgten Öffnung des Arbeitsmarkts für ausländische Absolventen deutscher Hochschulen und der Schaffung eines privilegierten Zugangs für höchstqualifizierte Akademiker und Selbstständige. War es zuvor für ausländische Absolventen deutscher Hochschulen quasi unmöglich gewesen, nach Studienabschluss im Land zu bleiben, so wurde durch das neue Gesetz eine im Rahmen der Green Card bereits für IKT-Absolventen eingeführte Bleibeoption generalisiert: Fächerübergreifend erhielten nun ausländische Studienabsolventen eine zeitlich befristete Aufenthaltserlaubnis zur Suche eines dem Abschluss angemessenen Arbeitsplatzes. Darüber hinaus wurde im ZuwG für 'besonders Hochqualifizierte' (§ 19 AufenthG) sowie Selbstständige (§ 21 AufenthG) über die Niederlassungserlaubnis eine dauerhafte Lebensperspektive in Deutschland eröffnet. Zwar waren die in Betracht kommenden Gruppen eng definiert (Wissenschaftler bzw. Fachkräfte mit hohem Einkommen) und die Voraussetzungen für die Erteilung der entsprechenden Aufenthaltstitel hoch (bei Selbstständigen etwa eine Mindestinvestition von einer Million Euro und die Schaffung von zehn Arbeitsplätzen), doch leitete dies eine deutliche Öffnung des Arbeitsmarktes für ausländische Fachkräfte ein.
Das Richtlinienumsetzungs- und das Arbeitsmigrationssteuerungsgesetz: Graduelle Weiterentwicklung des Einwanderungsrechts
Weitere Reformschritte folgten 2007 und 2009 als mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz, der Hochschulabsolventenzugangsverordnung und dem Arbeitsmigrationsteuerungsgesetz weitere Zugangsmöglichkeiten für Drittstaatsangehörige zum deutschen Arbeitsmarkt geschaffen wurden.
die Mindestinvestitionssumme für die Zuwanderung von Selbstständigen halbiert,
die Mindestgehaltsgrenzen für eine Niederlassungserlaubnis noch einmal deutlich reduziert und schließlich
die Vorrangprüfung (die Feststellung, ob Deutsche, Unionsbürger oder andere bevorrechtigte Staatsangehörige für eine Stelle zur Verfügung stehen) für ausländische Absolventen deutscher Hochschulen bei der Jobsuche gestrichen.
Die Umsetzung der Blue Card-Richtlinie und Einführung eines Punktesystems: Vollendung des einwanderungspolitischen Paradigmenwechsels
Diese Öffnung Deutschlands für hochqualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten wurde im Rahmen der Umsetzung der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie (Blue Card-Richtlinie) im Jahr 2012 fortgesetzt. Dabei sind zwei Dinge bemerkenswert: Zum einen die Art der Richtlinienumsetzung selbst, denn die Bundesregierung nutzte die in der Richtlinie den Nationalstaaten verbleibenden Spielräume – anstelle der sonst üblichen 1:1-Umsetzung
Reform der Beschäftigungsverordnung und Einreiseoptionen zur Nachqualifikation: Das Ende der 'akademischen Arroganz'
Ein weiterer fundamentaler Wandel der deutschen Arbeitsmigrationspolitik wurde 2013 durch die (eher versteckte) Reform der Beschäftigungsverordnung eingeleitet, welche die Zuwanderung nicht-akademisch ausgebildeter Fachkräfte ermöglichte. Auf dieser Grundlage können Drittstaatsangehörigen in sog. Mangelberufen (dazu gehören derzeit z.B. Berufe in der Mechatronik, der Elektrotechnik oder der Kranken- und Altenpflege), deren Berufsqualifikation in Deutschland anerkannt wurde, in die Bundesrepublik zuwandern. Erstmals wurde mit dieser Regelung die u.a. vom SVR als "akademische Arroganz"
Notwendig, aber nicht hinreichend: Das Recht und seine Grenzen
Infolge dieses Reformprozesses kann das bereits 2013 von der OECD ausgesprochene Prädikat, dass Deutschland im Bereich der Arbeitsmigrationspolitik zu einer Gruppe von Ländern "among the most open in the OECD"
Der Zuwanderungsboom der letzten Jahre ist vorrangig auf den Zuzug von EU-Bürgern zurückzuführen, für die das Aufenthaltsgesetz wegen der europäischen Freizügigkeit nicht gilt. Als Reaktion auf die durch die Wirtschafts- und Finanzkrise bedingte Massenarbeitslosigkeit in einigen südeuropäischen Staaten ergriff die Bundesregierung auch aktiv Maßnahmen zur Verbesserung der beruflichen Mobilität jünger Menschen innerhalb Europas, die gleichzeitig zur Sicherung des Fachkräftebedarfs in Deutschland beitragen sollten: Bereits in den ersten zwei Jahren haben über 10.000 jungen Menschen die Unterstützung des 2013 aufgelegten Programms "MobiPro-EU" in Anspruch genommen, um entweder als Fachkraft in einem Engpass- bzw. Mangelberuf zu arbeiten oder eine betriebliche Berufsausbildung in Deutschland zu beginnen. Hingegen ist die Zahl der Arbeitsmigranten aus Drittstaaten seit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zwar leicht gestiegen, allerdings stagniert sie seit 2011, und der Anteil der Arbeitsmigration an der Gesamtzuwanderung ist weitgehend konstant geblieben. Erhielten laut Migrationsbericht der Bundesregierung
Deutliche Wirkung zeigten auch die neuen Regelungen für ausländische Studierende: So ist die jährliche Zahl der sog. Bildungsausländer, die ein Studium in Deutschland beginnen (mehr als zwei Drittel davon Drittstaatsangehörige), im zurückliegenden Jahrzehnt stark gewachsen, von 53.554 (2006) auf 99.087 (2015), sodass – bei späterem Verbleib und erfolgreichem Berufsübergang – ein großes Potenzial für den Arbeitsmarkt besteht.
Im Kontext des gesamten Wanderungsgeschehens – 2015 zogen mehr als 2,1 Mio. Ausländer nach Deutschland (rund drei Viertel EU-Bürger), während 998.000 fortzogen (Wanderungssaldo: +1.139.000)
Die Verfasser arbeiten in der Geschäftsstelle des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Der Beitrag gibt ihre persönliche Auffassung wieder.
Weitere Inhalte
Holger Kolb, Dr. phil., leitet den Arbeitsbereich Jahresgutachten in der Geschäftsstelle des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).
Jan Schneider, Dr. rer. soc., leitet den Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).
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