Rassismus ist ein eingeschliffenes Wahrnehmungssystem
Rassismus lenkt unsere Wahrnehmung, unsere Interpretation und unsere Verarbeitung sozialer Informationen.
Zeigen Angehörige von dominierten Gruppen negative Eigenschaften, werden diese als Bestätigung für die Unterlegenheit, des Wesens ihrer Gruppe in ihrer Gesamtheit interpretiert und dargestellt. Durchgesetzt wird diese ungleiche Bewertungspraxis über Wissensstrukturen (Differenzwissen). Die dominierten Gruppen geraten durch diese beständige negative Darstellung in eine exponierte Position. Sie müssen sich daher bspw. von Handlungen einzelner Angehöriger abgrenzen oder gar entschuldigen ("nicht alle ... sind Terroristen", "nicht alle ... sind kriminell", "nicht alle ... sind fundamentalistisch"). Berichterstattung, die die Gruppenzugehörigkeit von Tätern hervorhebt, wenn diese zu dominierten Gruppen gehören oder im Gegenzug die Gruppenzugehörigkeit von Opfern betont, wenn diese zur dominanten Gruppe gehören, verschärft diese Schieflage in der Wahrnehmung rassifizierter, also rassistisch markierter Gruppen. Es erscheint dann so, als seien Angehörige der dominierten Gruppen häufiger kriminell. Diese hervorgehobene, negative Position gleicht einer Brandmarkung, weshalb es hier Sinn macht von durch Rassismus markierten Gruppen oder von rassistisch markierten Personen und Gruppen zu sprechen.
Rassismus schützt das Selbstbild und die gesellschaftliche Stellung der dominanten Gruppe
Eine ähnliche, durch rassistische Wahrnehmungen eingeschliffene, systematische Besserbewertung wird in einem zweiten Beispiel, dem Externer Link: Projective Doll Interviews deutlich, in dem Kinder Puppen oder Figuren unterschiedlicher Hautfarbe Eigenschaften zuordnen sollen. Die rassistisch un/markierten Puppen oder Figuren bilden hier die festgelegten und gesellschaftlich erkennbaren Gruppen. Ihre Eigenschaften (Differenzen) werden in Interviews mit Kindern erschlossen. Die negativen Zuschreibungen, die mit rassistischer Markierung verknüpft werden, sind im Gehalt der Interviewgespräche erkennbar (böse, dumm, hässlich). Die automatische positive Wahrnehmung weißer Subjekte (gütig, hilfsbereit, schön), ist offenbar als gesellschaftliches Wissen im Kindesalter bereits eingeprägt. Rassismus zahlt sich also aus als positives Selbstbild (Doll Test) und als positive Deutung der Handlungen weißer Akteur_innen (Bike Theft Test). Weißsein bildet somit eine unsichtbar herrschende Normalität.
Moderner Rassismus: Die Gleichzeitigkeit von Rassismus und egalitären Menschenrechten
Eine Mitarbeiterin eines Reinigungs-Service mit Kopftuch säubert einen Abfallcontainer im Flughafen Frankfurt am 11.08.2016, (© picture-alliance)
Eine Mitarbeiterin eines Reinigungs-Service mit Kopftuch säubert einen Abfallcontainer im Flughafen Frankfurt am 11.08.2016, (© picture-alliance)
Interner Link: Rassismus hat eine sehr lange, weitreichende Geschichte.
Kultur als Platzhalter für "Rasse": Von biologistischen zu kulturalistischen Differenzmarkierungen
Die seit der Zeit der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert vorherrschende Idee, Menschen ließen sich nach biologischen Kriterien in klar voneinander abgegrenzte Rassen unterteilen, wurde wissenschaftlich konsequent zurückgewiesen.
Kulturrassismus basiert zudem auf Vorstellungen einer Unvereinbarkeit von als kulturell unterschiedlich konstruierten gesellschaftlichen Gruppen. Es geht also nicht darum, eine gleichberechtigte Pluralität kultureller Lebenskonzeptionen, eine gleichberechtigte Koexistenz zu fördern. Es geht vielmehr darum, 'Kultur' als Differenzmarkierung zu etablieren und als hergestellte Grenze oder soziale Hierarchie wirksam werden zu lassen. Kulturelle Praxisformen (religiöse Praktiken, Formen der Erziehung, Geschlechterarrangements) werden als unvereinbare Gegensätze konzipiert. Das hat den Nutzen, dass eine kulturelle Hegemonie entsteht, mit der dominanten Kultur an ihrer Spitze. Dieses Arrangement schützt wiederum das positive Selbstbild der Angehörigen der Dominanzkultur, deren Handlungsweisen wohlwollender ausgelegt und bei Fehltritten nicht folgenreich auf die Gesamtheit ihrer Gruppe als Negativeigenschaft projiziert werden. Rassistisch markierte Akteur_innen werden dagegen als nicht-integrationsfähige Belastung für die Dominanzgesellschaft dargestellt. Konkrete Beispiele dieser kulturalisierenden Dominanzperspektive sind die Leitkulturdebatte des Jahres 2000 und die Thesen des ehemaligen SPD Politikers Thilo Sarrazin (2010).
Die systematische Schlechterbewertung von rassistisch markierten sozialen Gruppen und Akteur_innen birgt folgenreiche Einschränkungen für ihren Alltag, da sich diese Diskriminierungsmuster auf ihre Chancenstruktur auswirken. Zu gängigen kulturalisierenden Praxisformen des Alltags gehören zum Beispiel rassistische Türpolitiken oder der ambivalente Umgang mit weiblichen Beschäftigten, die eine Kopfbedeckung tragen
Zusammenfassung
Rassismus kann als eine Infrastruktur, als ein vielschichtiges System verstanden werden. Er gewinnt seine Stabilität aus einem komplexen Ineinandergreifen intersubjektiver Wahrnehmungen und Handlungen (soziale Praxis), instituierter Ungleichheiten (soziale Strukturen) und der Produktion von Bildern hierarchisierter Differenz (symbolische Ordnung). Rassismus ist nicht umkehrbar. Soziale Experimente (z.B. "Externer Link: Dunkles, rätselhaftes Österreich"
Literatur
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Farr, Arnold (2005): Wie Weißsein sichtbar wird. Aufklärungsrassismus und die Struktur eines rassifizierten Bewusstseins. In: Eggers, Maureen Maisha; Kilomba, Grada; Piesche, Peggy; Arndt, Susan (Hrsg.). Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. 1. Auflage. Münster: Unrast- Verlag, 2009, S. 40-55
Kalpaka, Annita (2005): Pädagogische Professionalität in der Kulturalisierungsfalle – Über den Umgang mit "Kultur" in Verhältnissen von Differenz und Dominanz, in: Rudolf Leiprecht und Anne Kerber (Hrsg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft. Ein Handbuch, Schwalbach, S. 387 – 403 Mills, Charles Wade (1999): The Racial Contract, Ithaca, Cornell University Press
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Internetquellen (Hyperlinks)
Bike Theft Experiment im Rahmen der Sendung "What Would You Do?" des US-amerikanischen Senders abc. Sendung vom 7. Mai 2010. Online: Externer Link: http://www.nydailynews.com/news/national/watch-white-black-bike-thieves-treated-differently-article-1.1368401
Zusammenschnitt des Projective Doll Interviews in verschiedenen nationalen Kontexten. Online: Externer Link: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=tkpUyB2xgTM
Mocumentary "Dunkles, rätselhaftes Österreich". Online: Externer Link: https://www.youtube.com/watch?v=8--cZEq-vwU&list=FLbTqcwZT7lMCvOcb_duqZAw&index=135