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Sevim Celebi-Gottschlich | 1961: Anwerbeabkommen mit der Türkei | bpb.de

1961: Anwerbeabkommen mit der Türkei Von der Fremde zur Heimat Das ist meine Welt! Peitschenstriemen der Armut Der große Streik Ich kannte nur mein Dorf Skandal und Konflikt Vielfalt Türkische Minderheit Niederlassungsprozesse Das Anwerbeabkommen Anwerbestopp 1973 Portraits Selahattin Biner Ali Başar Mesut Ergün Eva und Sokrates Saroglu Sevim Celebi-Gottschlich Yahko Demir Salih Güldiken Saliha Çukur Mahir Zeytinoglu Selahattin Akyüz Suzan und Tevfik Bilge Cem Gülay Redaktion

Sevim Celebi-Gottschlich

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Mit lediglich 17 Jahren verlässt Sevim Celebi-Gottschlich ihre Familie in der Türkei und zieht 1970 in ein Wohnheim für Gastarbeiterinnen an den Stadtrand von Berlin. 1987 schafft die Tochter einer Putzfrau aus Ankara eine kleine Sensation und wird die erste Migrantin in einem deutschen Parlament.

Sevim Celebi-Gottschlich

Ihre Mutter putzt in Ankara bei reichen Leuten; Sevim Celebi-Gottschlich arbeitet sich auf das Handelsgymnasium vor. Mit gerade einmal 17 Jahren eröffnet sie 1970 ihrer Familie: Ich gehe nach Deutschland! Sie geht zur Deutschen Verbindungsstelle und eine Woche später bezieht sie ein Vierbettzimmer in einem Wohnheim für Gastarbeiterinnen am Stadtrand von Berlin. Nur wenige Fabrikarbeiterinnen schaffen es in ein deutsches Parlament, darunter besonders wenige, die aus der Türkei stammen. Als 1987 eine ehemalige Gastarbeiterin als erste Migrantin überhaupt in das Berliner Abgeordnetenhaus einzieht, ist das deshalb eine kleine Sensation.

Anfänge in Berlin

"Das bin ich in der Fabrik. Bei Siemens in Spandau, in meinem ersten Monat. Weil ich vom Gymnasium kam, musste ich nicht an so ein richtiges Arbeiterfließband. Ich kam in eine Abteilung, in der die elektrischen Teile aus der Produktion ankamen. Die haben wir kontrolliert. Der Job war ein bisschen qualifizierter als die meisten Gastarbeiterjobs; wir haben auch mit Ingenieuren zusammengearbeitet. Das hier ist Jörg, ein Kollege. Wir haben uns auf der Arbeit immer gut unterhalten, so gut wie es mit unserem Englisch eben ging. Seine Frau und er haben mich in meinem ersten Jahr Weihnachten und Silvester zu sich nach Hause eingeladen. Sie war katholisch, vielleicht hatte das auch etwas mit Nächstenliebe zu tun. Sie waren sehr nett – und ich war glücklich, Anschluss zu haben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie einsam ich war! Wochenlang habe ich geheult. Das graue Wetter, das Vierer-Zimmer, die Arbeit in drei Schichten! Ich wollte Deutsch lernen und studieren. Ich dachte: Wo bist du gelandet? Berlin besteht nur aus Arbeit! Siemens bot uns nicht mal einen Deutschkurs an, der uns geholfen hätte, in unserem Alltag klarzukommen. Wenn ich Bus gefahren bin, habe ich dem Fahrer das Portemonnaie hingehalten. Ich wusste nicht einmal, was ein Ticket kostet. Aus dem Wohnheim bin ich nach zwei Monaten ausgezogen. Meine Mutter kam; und ich durfte sie nicht mit auf mein Zimmer bringen, nicht einmal zu Besuch. Mit drei Frauen haben wir etwas Neues gesucht: Eine Scheune in Spandau, am Rand der Stadt, die haben wir dann notdürftig möbliert. Aus der Fabrik wäre ich da auch schon gern weg. Aber ich hatte einen Vertrag über zwei Jahre unterzeichnet. Als die um waren, habe ich sofort gekündigt."

Deutsch lernen

"Mein Deutsch war immer noch nicht gut – mit drei Schichten im Wechsel kannst du nicht zur Schule gehen; das geht nicht. Und die Kollegen in der Fabrik sprachen nur gebrochenes Deutsch mit uns, dabei lernt man auch wenig. Das Studium musste ich weiter verschieben; fünf Jahre musste ich arbeiten, um Anspruch auf BAföG zu haben. Außerdem haben die deutschen Behörden meine türkische Ausbildung dem Hauptschulabschluss gleichgesetzt. Jeden Abend bin ich nach Kassenschluss in die Schule; erst auf die Realschule, dann auf das Abendgymnasium! Der Horror! Aber zu Hause hatte ich gesehen, wie es ist, wenn man nichts hat."

Ein Rückblick

"Ich wollte so viel erreichen in diesem Land, politisch, kulturell, demokratisch; ich habe geredet, geschrieben, diskutiert und aufgeklärt, 30 Jahre lang. Und dann zeigt sich: Nicht einmal in meiner eigenen Familie, nach 13 Jahren Ehe, mit einem gemeinsamen Kind, bin ich auch nur einen Schritt weitergekommen! Als ich gehört habe, dass meine eigenen Schwiegereltern ihrer Enkelin sagen, dass Türken eine Stufe tiefer stehen, war es aus mit meiner Überzeugungsarbeit gegen Rassismus. Heute bin ich der festen Überzeugung: Erstens wird es Rassismus immer geben; zweitens: Warum sollte es ausgerechnet die Aufgabe von Migrantinnen und Migranten sein, ihn zu bekämpfen? Wie tief die Ressentiments sitzen, zeigt sich ja immer wieder. Selbst die dritte Generation, in Deutschland aufgewachsen, gebildet und gut ausgebildet, muss mehr um Stellen kämpfen als ihre urdeutschen Altersgenossen. Ist es ein Wunder, dass so viele in die Türkei abwandern? Warum sollen sie sich das antun? In meinem Beruf, in der Sozialarbeit, hat die Diskriminierung vollends absurde Züge angenommen: Wenn Leute gesucht werden, die mit der türkischen Community arbeiten, dann stellt man lieber einen Deutschen ein, der Türkisch gelernt hat, als jemanden mit einem türkischen Namen."

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