Kommunikation und Mobilität
Ausstellungen und Veranstaltungen der letzten 10 Jahre zeigen ein breiteres Spektrum von schwarzen Künstlerinnen und Künstlern als je zuvor. Ob in Malerei, Fotografie, Skulptur, Performance oder Video-Kunst – jedes Genre hat einzelne schwarze Protagonistinnen und Protagonisten. Sie sind auf internationalen Kunstevents vertreten und haben ihren Platz in den örtlichen Galerien. Sie werden angefragt als Kunstschaffende aus Afrika, Amerika oder der Karibik mitunter zu Themen wie: die Situation von Minoritäten, Multikulturalität, Identität.
Die Kommunikations- und Informationstechnologien ermöglichen einen nie dagewesenen Zugang zu Quellen. Künstler haben die Möglichkeit, in Austausch mit Kollegen zu treten und aktuelle Diskussionen zu verfolgen egal über welchen Winkel der Erde, sofern die technischen und ökonomischen Voraussetzungen, ausreichende Schulbildung und eine gewisse Technikbegeisterung gegeben sind.
Der fruchtbare Austausch hat in der westlichen Kunst in Form von Künstlerinnen- und Künstlergruppen sowie –kolonien Tradition. Er setzt neben Privilegiertheit ein hohes Maß an Reisefreudigkeit voraus. Für Künstler aus den Peripherien ist diese Mobilität schwer einzulösen, aber bislang ist das Reisen und Übersiedeln in die ökonomischen Zentren unabdingbar für eine Anerkennung auf dem transatlantischen Kunstmarkt. Eine steigende Anzahl von Künstlerinnen und Künstlern mit mehreren Identitäten, die Ihre Kunst vor dem Erfahrungshintergrund einer weltweiten Diaspora gestalten, hat diese Künstler zumindest weitestgehend von der einengenden Frage nach der Authentizität oder Ethnizität befreit.
Aufbruch in die kulturelle Anerkennung
Der westliche Drang nach Vereinnahmung hatte sich in der Kunst zunächst vornehmlich auf Anleihen aus der Formsprache von Objekten außereuropäischer Kulturen bezogen, auf japanische Zeichnungen oder afrikanische Plastiken. Er weitete sich über Sujets dieser Regionen bis hin auf Künstler selbst aus. Europäerinnen und Europäer begaben sich nun mit entsprechendem Kursangebot in die südliche Hemisphäre auf der Suche nach unverbrauchten Talenten. So erlangten einzelne afrikanische Künstler seit Anfang der 1960er Jahre als Stellvertreter der "Workshopkunst" internationale Bekanntheit. Im kulturell agilen Oshogbo (Duro Lapido Theater, Mbari Mbayo Klub) kamen junge Nigerianer zum Medium der Malerei und bald machten Jacob Afolabi, Rufus Ogundele und Twin Seven-Seven von sich reden. Initiiert und entdeckt für eine westliche Klientel (eine andere bot sich den Künstlern kaum), war die Auswahl der Werke maßgeblich an eine völkerkundliche Erwartungshaltung geknüpft.
Das einseitige Aufklauben vereinzelter Kunst aus der Peripherie herrschte noch auf der "documenta IX", wurde dort aber bereits als Aufbruch zu einer wahrhaftigeren Internationalität begrüßt. Zu den Künstlerinnen und Künstlern, die diesen neuen Flair über Kassel verbreiteten, gehörte der Bildhauer Mo Edoga. Seine Skulptur "Signalturm der Hoffnung" entstand während der "documenta IX". Heute ist Edoga wieder in den Schlagzeilen – als Opfer konservativer Borniertheit. Seine künstlerische Arbeit für seine Heimatstadt Mannheim wurde unlängst mit der Anfrage der CDU an den Gemeinderat diskreditiert, ob er denn deutscher Staatsbürger sei oder ob gegebenenfalls seine Aufenthaltsgenehmigung überprüft werde.
Stephen Lawson, Skulptur "Sankofa Collage". (© Stephen Lawson)
Stephen Lawson, Skulptur "Sankofa Collage". (© Stephen Lawson)
Die Foren gestalten
Schwarze Künstler und Theoretiker aus Afrika, Asien, Amerika, Europa, Künstler der Diaspora sind vitaler Bestandteil der Kunstszene. Sie mitbestimmen zunehmend bewusst den Rahmen, in dem sie präsentiert werden. Sie inszenieren selbst die Foren, in denen Kunst rezipiert, Fragestellungen und Perspektiven entwickelt werden.
Die Biennale in Havanna ist mit der Gründung von 1984 das älteste solcher Foren und versteht sich ganz explizit als Ort der Begegnung, des menschlichen Austauschs. Sie hat begonnen als Ausstellung lateinamerikanischer und karibischer Kunst, nahm dann verstärkt afrikanische und asiatische Künstlerinnen und Künstler auf und ist heute ohne nationale oder regionale Einschränkungen konzipiert. Rasheed Araeen hat mit der Ausstellung "The other Story" 1989 schwarze Künstlerinnen und Künstler der Nachkriegsgeneration Großbritanniens versammelt. Er dokumentiert im Katalog vorangegangene Aktionen und Ausstellungen, die bis Anfang der 1990er Jahre "Black Art" in Großbritannien formten.
Okwui Enwezors Arbeit als Kurator hat mit der zweiten Biennale in Johannesburg 1997, der Wanderausstellung "The Short Century" 2001 oder 2002 mit der "documenta IX" in Kassel Zeichen gesetzt. Auch die kleine Ausstellung "Quite as it's kept" erteilt dem Etikett Ethnokunst eine klare Absage. "Quite as it's kept" fand unter dem Kuratorium von David Hammons statt. Er brachte im Sommer 2002, parallel zur Documenta in Wien drei afrikanisch-amerikanische Künstlerinnen und Künstler zusammen. Ed Clark, Stanley Whitney und Denise Thomasos arbeiten abstrakt. In der intellektuellen Auseinandersetzung gewinnen die Werke ihre politische Bedeutung. Sie geben Hinweise auf die Geschichte der Sklaverei.
Die Rolle von Künstlern, Kunst und Kuratoren
Heute kann transatlantische Kunst nicht länger den Anspruch halten, die internationale Kunst zu sein. Dafür sorgt nicht zuletzt besagte Präsenz einer wachsenden Diaspora. Die Rolle schwarzer Künstlerinnen und Künstler wird im Zusammenhang mit der Globalisierungsdebatte von Kommentatoren als ästhetische Überblende von nicht-gelösten Herrschaftsstrukturen bekrittelt
Theoretiker von Frantz Fanon bis Edward Said sehen dort die Kunst. Auf diese positive Rolle setzten bereits Konzepte um die "Harlem Renaissance" oder die "Négritude" seit den 1930er Jahren. Kunst gibt hier den "l'art pour l'art"- Gedanken der klassischen Moderne auf. Dass Künstler ihre Arbeiten auch oder gerade aus der Analyse der historischen und kulturellen Voraussetzungen verstanden wissen wollen, entspricht nicht länger dem Werkbegriff westlicher moderner Kunst. Schwarze Künstlerinnen und Künstler in ihrer Vielfältigkeit haben keine Scheu, Bezug zu nehmen auf individuelle oder kollektive Erfahrungen, Stellung zu beziehen zu Geschichte oder Gegenwart. Schwarze Künstler und Kuratoren sind keine Garanten für das Ende von kultureller Ausgrenzung und sozialer Marginalisierung auf dem Kunstmarkt. Sie schaffen zunächst eine größere Durchlässigkeit für Künstler als Individuen, die beispielsweise vielfältige Selbstbilder und ein erweitertes kulturelles Gedächtnis erst ermöglichen.
Literatur
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Areen, Rasheed: The other Story: Afro-Asian artists in post-war Britain", London 1989.
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Enwenzor, Okwui/Olu Oguibe (Hg.): African Art from Theory to the Marketplace, 1999.
Fuchs, Max: Kunst, Kultur, Ökonomie und Politik in Zeiten der Globalisierung: Aktuelle Theorien und ihre Bedeutung für die Kulturpolitik – Eine Skizze, Remscheid 2002.
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Kojo Schrade, Daniel: Brother Beethoven, Ausstellungskatalog, München 2000.
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Said, E.W.: Kultur und Imperialismus: Einbildungskraft und Politik im Zeitalter der Macht, Frankfurt/M. 1993.
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The Studio Museum in Harlem (Hg.): Contemporary African Artists: Changing Tradition, New York 1990.
Wegner, Reinhard: Der Exotismus-Streit in Deutschland: Zur Auseinandersetzung mit primitiven Formen in der Bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1983.