Flight to Canada, Ishmael Reed
"77 Seiten nur. Sie war nur kurz , aber sie war sein.
Seine geschichte. Es war alles, das er hatte.
Die Geschichte eines Menschen ist sein kris-kris,
wisst ihr. Und dann wandern menschliche Körper
durch die Straßen der Städte, ihre Augen leer,
ihre Seele hat sie verlassen. Jemand hat ihre
Geschichten gestohlen."
Afro-deutsches Bewusstsein ist schwarzes Bewusstsein in der Diaspora und in einer einzigartigen Position, nämlich derjenigen, keine gemeinsame nationale Geschichte, keinen gemeinsamen kulturellen, geographischen, religiösen oder ethnischen Background zu haben. Was auch immer wir sein mögen, Vielfalt ist unser Name. Diese Vielfalt der Geschichten gilt es zu fördern und vor allem in die Öffentlichkeit zu tragen. Sowohl in die schwarze Öffentlichkeit, als auch in die weiße, um so eigene Strukturen für "Selfempowerment" aufzubauen.
"Wenn die Gruppe zu spielen anfängt,
haben wir keinerlei Konzept davon,
wie sich das Ganze entwickeln wird.
Jeder Musiker hat die Freiheit zu jedem
Augenblick das einzubringen, was er
assoziiert. Wir haben kein vorgefasstes
Konzept von dem Ergebnis, das wir erzielen werden." (aus: Ornette Coleman über Free Jazz)
Postkoloniale Inseln
Die Geschichte der schwarzen Existenz in Deutschland hat viele Aspekte. Ich möchte hier auf den kulturellen eingehen. Deutschland hat lange Zeit ein Umfeld geboten, dass, ähnlich wie Berlin innerhalb Deutschlands, eine Art isolierte Inselexistenz im internationalen postkolonialen Kontext darstellte. Nach der Aufgabe der deutschen Kolonien waren "People of African Descent" in Deutschland anders als in England, Frankreich und den USA nur als das andere, das von Außen kommende, das Besuchende, das Nicht-deutsche denkbar. Inzwischen lassen schwarze Präsenz durch Migration und Geburten in Deutschland einerseits sowie die aus den Gender und Ethnic Studies ausgehenden Diskurse andererseits es nicht mehr zu, dass der Mainstream über Schwarze Existenz in Deutschland hinweg sieht. Ob nun als rechte Abwehrreaktion oder als liberale Begrüßung – Schwarz hat in den Post-MTV- und VIVA-Generationen den öffentlichen Raum ein für allemal, wenn auch durch die Hintertür, betreten. Und langsam geht das kulturelle Definitionsrecht für uns auf uns selber über.
www.sprachetrifftmultimedia.net
Kultur kann allgemein als die Pflege, Ausbildung, Vervollkommnung eines verbesserungs- und veredelungsfähigen Gegenstands durch den Menschen, besonders seiner eigenen Lebenstätigkeit definiert werden. Die schwarze orale Tradition hat sich aufgrund der Unterdrückung durch die weiße Nicht-Kultur als Gegenkultur und als Basis des kulturellen Überlebens erhalten und als Medium des Widerstandes eine spezifische Tradition in den global-urbanen Kontexten herausgebildet.
Sprache als Zeichensystem zur Formierung der Gedanken dient als Medium des Austausches der Gedanken und emotionalen Erlebnisse, als Ort der Fixierung und Aufbewahrung des erworbenen Wissens. Sprache in diesem Sinne liegt nahe an der Definition von modernen Datenbanken. Der Gegensatz von weißer "literate culture" als raum-unabhängiges schriftlich fixiertes Signal stand bisher im Gegensatz zu schwarzer "orale culture". Sprache stand als zeitunabhängiges Signal und unmittelbarer Kommunikationsakt immer der Musik nahe.
Der durch die technologische Entwicklung möglich gewordene internationale Austausch über das Internet und der Trend zu Multimedia begünstigt eine Form der Kommunikation, die auf bizarre Weise mit "weißer Technik" eine neue Unmittelbarkeit, eine neue Öffentlichkeit generiert und das "Sampling" als zeitgemäßes "schwarzes Signifying", also als eine moderne Form des "call and response" im weißen Mainstream etabliert. Diese "neue" Form der Kommunikation ist vom Ansatz her transkulturell. Und die entstehenden Netzwerke haben eine strukturelle Ähnlichkeit mit der Existenz der globalen schwarzen Diaspora, deren Überleben auf eben diesen globalen Netzwerken beruht.
www.kultur®evolution.org
Ich gebrauche den Ausdruck Evolution in Abgrenzung zu ®evolution als sprunghafte, oft blutige Veränderung. Weder besteht derzeit die notwendige kulturelle Infrastruktur zu kontinuierlicher Arbeit an der eigenen Identität des Überlebens in Deutschland. Noch sind wir zahlenmäßig bisher genug. Noch ist die soziale Brisanz nicht groß genug, um Ausbrüche wie in den USA, in UK und in SA zu zünden. Gil Scott Heron prägte den Satz "the revolution will not be televised" und begann damit ein neues Kapitel schwarzen Medienbewusstseins.
Natürlich wird die Evolution nicht im Fernsehen stattfinden, jedenfalls nicht im weißen. Aber durch die bisherige zumindest im internationalen Kontext relative, soziale Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems besteht die Möglichkeit für uns Afros in Positionen zu gelangen, die eine verstärkte eigenständige Medienpräsenz ermöglichen. MTV und Hip-Hop haben die Grundlagen für eine größere Akzeptanz gerade im Bereich Jugendkultur geschaffen. Wir müssen die Bilder von uns durch eigene Produktionen (Musik, Film, Theater, Literatur, Multimedia) ändern und wirtschaftlich-politische Verantwortung übernehmen. Denn dann kann die politisch-wirtschaftliche Stellung der BRD als Multiplikator für nationale und internationale Einflussnahmen im panafrikanischem Sinn positiv genutzt werden.
Evolution des Überlebens
Wer im Cyberspace nicht digital existiert, wird auch nicht demokratisch repräsentiert. Darum ist die vorrangige Herausforderung des 21. Jahrhunderts der Versuch, angemessene Wege zu finden und Repräsentation der verletzlichen, sozialen Gruppen in der Gesellschaft zu entwickeln. Die Chance der Informationsrevolution sind Community-Netze, kulturelle Kreativität und Vielfalt zur Demokratisierung der Gesellschaft. Das Bewusstsein um diese Strukturen und ihre Umsetzung definiere ich als Willen zur Kultur(®)evolution.
"cyberNomads": Die Geburt
Zusammen mit meinem langjährigen Freund Abdel Rahman Satti aktualisierten wir im Frühjahr 2001 mein 1996er Konzept für eine Schwarze Deutsche Internetpräsenz. In dreimonatiger Klausur entwarfen wir ein Datenbank-Kultur-Konzept, das die ganzheitliche Darstellung der afrikanischen Diaspora in Deutschland in drei bis fünf Jahren zum Ziel hat. Unsere langjährigen Erfahrungen als Kulturaktivisten dienten als Pool und Basis für vielfältige Kontakte in Deutschland und Europa. "cyberNomads" war der Name, den Satti in der Saharawüste Mauretaniens an einem Internet-Café gesehen hatte und der am besten ausdrückte, wo wir uns befinden.
Im Herbst 2001 entschied die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, einen Teil des Projekts, nämlich die digitale Architektur der Datenbank, als Pilotprojekt durch ISD Berlin e.V. zu ko-finanzieren. Wir fanden ein Büro in Berlin Mitte am Hackeschen Markt und begannen unsere Arbeit im Januar 2002. Im Frühjahr 2002 wählte die Bertelsmann Stiftung "cyberNomads" von über 600 Bewerbungen unter die 15 weltweit besten sozialen Business-Vorschläge. Im Sommer kauften wir ein professionelles Content-Management-System ein, das nun die Basis der Online-Datenbank www.cybernomads.net bildet. Unser Ziel ist es, eine Schwarze Deutsche Plattform zu etablieren, die die unterschiedlichen, weitgehend isolierten "Diaspora-Communities of African Descent" vernetzt. Das "Mothership-Archiv", wie wir es liebevoll nennen, ging im Herbst 2002 online. Im Januar 2003 mussten wir unsere Agenturräume aufgeben und arbeiten nun von zu Hause aus. Die notwendige Redaktionsarbeit leisten wir bisher als Community-Service und finanzieren uns mit Projekten und Aufträgen, die "cyberNomads" im Bereich Multimedia und Event Management realisieren.
"cyberNomads": Die Vision
Unser Ziel ist die Etablierung einer starken Lobby und Online-Plattform für das Überleben und den Austausch innerhalb der eurozentristischen "Power Structures". Es besteht eine große Nachfrage nach Innovation, "Best Practice" und die Notwendigkeit von "Networking" ist existentiell. "cyberNomads" arbeitet an der Visualisierung einer Schwarzen Kulturellen Agenda. Wir publizieren online und sind Ansprechpartner für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus der Community.
Die Ideen von "cyberNomads" können erfolgreich sein aufgrund der vielen Studenten, Journalisten, Erzieher und Aktivisten, die ein lebendiger Teil und zugleich verantwortlich für das Wachstum der Datenbank sind. Diese Community etabliert so die Basis für einen Brainpool neuer Ideen. Die User verstärken wiederum den Austausch und verstehen die lebenswichtigen und komplexen Probleme unserer Community am besten. Viele sind stolz auf ihre Beiträge.
"cyberNomads" existiert, um die kulturellen und spirituellen Aspekte von afrikanischer Diaspora in Deutschland zu entwickeln und die kreative Nutzung der Technologie des 21. Jahrhunderts zu unterstützen. Wir wollen unseren Usern geeignete Werkzeuge anbieten, um erfolgreich als kompetente und respektierte Community innerhalb des sich wandelnden Europas überleben zu können.
Content-Acquisition für das "Mothership"
Schon seit 2001 sind wir bundesweit zu einer Vielzahl von Events gereist, die für die Community in Deutschland wichtig waren. Wir haben Events auf Audio, Video (Mini-DV) und Mini-Disc dokumentiert. Das digitale Archiv unseres Schaffens wird online gestellt, sobald wir weitere Ressourcen schaffen, die es uns ermöglichen, diese wichtige Arbeit zu tun. So haben wir in den letzten zwei Jahren wahrscheinlich bundesweit das größte Archiv inklusive Multimedia-Input für "People of African Descent" in Deutschland geschaffen. "cyberNomads" wuchs aufgrund des aktuellen, hohen Bedarfs an professioneller, transkultureller Dienstleistung schnell über den Fokus Bildung/Politik hinaus, wie anhand der unten aufgeführten Projekte deutlich wird:
Multimedia Spoken Word Performance
Im Frühling 2003 hat "cyberNomads" im renommierten Martin-Gropius-Bau in Berlin eine "Afro-German Multimedia Spoken Word Performance" mit vielen bekannten Gesichtern aus der Community inszeniert. Und damit haben wir erstmalig afro-deutsche Künstlerinnen und Künstler auf einer Plattform der bpb positionieren können.
Der Afro-German Media Bus
Hierbei handelt es sich um ein mobiles Multimedia-Labor mit Internetzugang, das voraussichtlich von Mitte bis Ende 2004 zu Locations und Events in Deutschland reisen wird. Mit an Bord sind Fotos, Videos und Materialien von ISD, bpb und "cyberNomads".
www.blackmediacongressberlin.de 2004
Berlin hatte bereits 2002 und 2003 einen Black Media Kongress und wird vom 29. bis 31. Oktober 2004 einen wichtigen Fokus auf die internationale Anbindung setzen. Es geht um historische Resultate der Berliner Afrika-Konferenz von 1884. Als Kooperationspartner haben wir bereits das "Haus der Kulturen der Welt" in Berlin gewinnen können.
Schwarzer-Literatur-Preis 2004
Für den von uns in Zusammenarbeit mit der Community entworfenen "First German International Literary Prize For The African Diaspora" haben wir das "Haus der Kulturen der Welt" in Berlin gewonnen. Der Preis wird dort am 29. Oktober 2004 verliehen.