Einleitung
Dies gilt insbesondere aufgrund des erheblichen Wachstums der Nutzer*innen auf diesen Plattformen und ihrer zunehmend dominanten Position am Werbemarkt. Auf der einen Seite sind etablierte Medienunternehmen auf die Plattformen angewiesen, sei es für die Verbreitung von Inhalten oder den Zugang zu Nutzer*innen. Auf der anderen Seite haben sich diese Plattformen zu bestimmenden Akteuren am Werbemarkt entwickelt, wo sie wiederum den Medien ihr Geschäft streitig machen. Besonders deutlich wird diese „Frenemy“-Beziehung (ein Kunstwort aus „Friend“ und „Enemy“, also Freund und Feind) anhand journalistischer Medien und den großen Plattformunternehmen Alphabet und Meta (die die Google-Angebote bzw. Facebook und Instagram betreiben), die zugleich als Kooperationspartner wie auch Konkurrenten am Markt auftreten.
Das wechselvolle Geschäftsverhältnis zwischen Medienunternehmen und Social-Media-Plattformen
Vor der Digitalisierung umfasste das Geschäft journalistischer Medien typischerweise zwei Erlössäulen: einerseits Publikumseinnahmen aus Abonnements und Einzelverkäufen gedruckter Titel, andererseits Werbeerlöse durch (Klein-)Anzeigenvermarktung. Der einschneidende Strukturwandel der vergangenen Jahre hat dieses Geschäftsmodell fundamental erschüttert, sodass sich die Branche nun schon seit einiger Zeit auf der Suche nach neuen Finanzierungsquellen befindet.
Tabelle 1: Drei Entwicklungsphasen der geschäftlichen Beziehung zwischen Social-Media-Plattformen und etablierten Medienunternehmen
Experimentelle Anfangszeit | Hoffnung auf Plattformen als wirtschaftliche Heilsbringer | Wachsende Enttäuschung und Distanzierung |
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Journalistische Inhalte als Anlass für Anschlusskommunikation Kaum wirtschaftliche Ziele seitens etablierter Medien | Social-Media-Plattformen als zentrale Distributionskanäle Anpassung an Empfehlungs-, Ranking- und Distributionsalgorithmen der Plattformen Reichweitenwachstum ➝ Anzeigenerlöse auf eigenen Angeboten Hoffnung auf Lizenzzahlungen und Umsatzbeteiligungen durch die Plattformen | Kooperationswettbewerb am Werbemarkt Umstellung auf Bezahlmodelle für journalistische Inhalte Social-Media-Plattformen für Markenbekanntheit |
Tabellenbeschreibung
Die Tabelle stellt drei Entwicklungsphasen der geschäftlichen Beziehung zwischen Social-Media-Plattformen und etablierten Medienunternehmen dar: Experimentelle Anfangszeit, Hoffnung auf Plattformen als wirtschaftliche Heilsbringer sowie Wachsende Enttäuschung und Distanzierung.
Quelle: eigene Darstellung
In den frühen Jahren der Plattformen ab ca. 2006 wurden Twitter , Facebook , YouTube , MySpace und andere in erster Linie als Infrastruktur für individuelle Kommunikation und für durch Nutzer*innen-generierte Inhalte (sog. User-Generated-Content) betrachtet. Die Inhalte journalistischer Anbieter spielten insofern eine Rolle, als dass sie Anlass für Anschlusskommunikation boten, durch Nutzer*innen weiterverbreitet, empfohlen und kommentiert wurden. Zur damaligen Zeit schaltete beispielsweise CNN.com eine Werbeanzeige, die die medialen Inhalte des Fernsehsenders als geeigneten Anstoß für Twitter-Kommunikation hervorhob. Dort hieß es u.a.: „Why CNN.com is No.1 - It gives you more content to Twitter about.“ („Warum CNN.com die Nummer 1 ist - Es bietet dir mehr Inhalte, über die du auf Twitter sprechen kannst.“) Damit wurden aber auch der Kurznachrichten-Dienst und die dort entstehenden Medienpraktiken prominent in den Vordergrund gerückt. In wirtschaftlicher Hinsicht sahen Medienunternehmen in den neuen Plattformumgebungen vorrangig Experimentierfelder. Nur selten stand hinter ihren Social-Media-Aktivitäten bereits das explizit formulierte Ziel, die noch überschaubare Zahl an frühen Nutzer*innen („early adopters“) der Plattformen auf die eigenen Websites zu leiten, um ihre Aufmerksamkeit dort an Werbungtreibende zu verkaufen.
Durch das exponentielle Wachstum von digitalen Plattformen, die vor allem angetrieben durch Netzwerkeffekte (siehe das Kapitel zu den Geschäftsmodellen von Social-Media-Plattformen) und die rasante Ausbreitung von Smartphones immer stärker Einzug in den Mediennutzungsalltag der Menschen fanden, veränderte sich auch ihre wirtschaftliche Rolle für Medienunternehmen. Als erste erkannten Neugründungen in den Vereinigten Staaten, dass die reichweitenstarken Social-Media-Plattformen als Distributionskanäle erhebliche Wachstumschancen eröffneten. BuzzFeed , Mic . com , Ozzy , NowThis News und andere sog. „Millenial Media“ passten ihre Produktions- und Verbreitungsstrategien größtenteils oder sogar vollständig auf die Empfehlungs-, Ranking- und Distributionsalgorithmen dieser Plattformen an. Diese als „Social Distribution“ bzw. „Distributed Media“ bezeichnete Unternehmensstrategie zielte darauf ab, möglichst viele Klicks von Nutzer*innen der Plattformen auf die eigenen Websites und Medienangebote zu lenken. Da das Online-Geschäftsmodell der Medien zu dieser Zeit wesentlich auf Werbevermarktung beruhte, sollte die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen dort durch den Verkauf von Anzeigen monetarisiert werden. Einige Anbieter versuchten sogar, ausschließlich auf den Plattformen zu agieren, so etwa die Neugründung NowThis News , die auf ihrer Website mit dem aussagekräftigen Slogan warb: „Homepage. Even the word sounds old. Today the news lives where you live“ („Homepage. Schon das Wort klingt alt. Heute finden die Nachrichten dort statt, wo du lebst“).
Auch etablierte Medienunternehmen erkannten in den digitalen Plattformen in gewisser Hinsicht wirtschaftliche Heilsbringer, die ihnen Sichtbarkeit und Verbreitung, Reichweitenwachstum sowie neue, jüngere Nutzer*innen verschaffen sollten. Die traditionellen Medienunternehmen hofften teilweise auch darauf, dass die Social-Media-Plattformen ihnen Lizenzgebühren
Gleichzeitig steigerten die großen Social-Media-Plattformen Jahr für Jahr ihre Werbeerlöse, insbesondere da sie die Aufmerksamkeit des Publikums für Werbung (durch die erheblichen Datenmengen sowie durch Algorithmen und Targeting, d.h. zielgenaue Ausrichtung auf spezifische Nutzer*innen) effizienter organisieren können als traditionelle Medien. Google und Facebook verbuchten im Jahr 2018 fast 60 Prozent des weltweiten digitalen Werbebudgets auf sich.
Die Wahrnehmung, dass vor allem die Plattformen im Kooperationswettbewerb profitieren, ging mit enttäuschten Erwartungen und einer gewissen Distanzierung seitens der klassischen Medienunternehmen einher. Eine wachsende Zahl an journalistischen Medien hat ihr Geschäftsmodell in den letzten Jahren von einer primären Anzeigenvermarktung auf eine hauptsächliche Finanzierung aus dem Verkauf digitaler Abonnements umgestellt. In diesem Geschäftsmodell versuchen Medien unmittelbare Beziehungen zu Nutzer*innen aufzubauen, die bereit sind, für den Zugang zu Inhalten zu bezahlen.
Nicht zuletzt sind in jüngerer Zeit immer wieder Zweifel daran aufkommen, inwieweit die digitalen Plattformbetreiber als verlässliche Geschäftspartner gelten können. Spontane, unangekündigte Änderungen an Empfehlungsalgorithmen, z.B. bei Facebook , haben zu erheblichen Reichweiteneinbrüchen bei Medienunternehmen geführt, die das Anzeigengeschäft belasten. Meta hat sein „Journalism Programm“ zur Förderung des Journalismus, das offenbar vorrangig zur Besänftigung journalistischer Medien eingeführt worden war, im Rahmen von Kosteneinsparungen Ende 2022 abrupt beendet. Auch der Kurznachrichtendienst X hat sich unter seinem neuen Besitzer Elon Musk einen zweifelhaften Ruf im Umgang mit klassischen Medien erworben.
Ausblick: Wie können sich Medien in einer plattformisierten Gesellschaft künftig behaupten?
Social-Media-Plattformen haben sich schon im vergangenen Jahrzehnt zu einem zentralen Distributionskanal für die Inhalte klassischer Medienunternehmen entwickelt, wobei die dadurch entstandenen Abhängigkeitsverhältnisse in der Medienbranche mittlerweile sehr kritisch gesehen werden. Insbesondere mit den großen Social-Media-Plattformen befinden sich traditionelle Medien in einem zwiespältigen „Kooperationswettbewerb“ bzw. in einer „Frenemy“-Beziehung.
In Folge der Digitalisierung haben Medien an vielen Stellen die Hoheit über die Verbreitung ihrer Inhalte eingebüßt. Welche Wege können sie beschreiten, um sich graduell aus der bestehenden Abhängigkeit von Social-Media-Plattformen zu lösen? Medienunternehmen treiben seit einiger Zeit den Aufbau eigener Distributionskanäle voran, z.B. Newsletter, bei denen die Kundenbeziehung in ihren eigenen Händen verbleibt und nicht auf die Plattformen übergeht. Digitale Abonnements als Geschäftsmodell streben ebenfalls eine engere Bindung der Nutzer*innen an die Medienmarke an. Auch ein Rückzug von ausgewählten Plattformen steht im Raum. Im Zusammenhang mit der Übernahme von Twitter bzw. X durch Elon Musk hat beispielsweise das lokale Medienunternehmen VRM in Mainz seine dortigen Aktivitäten (etwa mit Titeln wie dem Wiesbadener Kurier ) pausiert. Medienunternehmen machen sich teilweise stark für eine weitere staatliche Regulierung der Plattformen, u.a. im Bereich der Urheber- und Leistungsschutzrechte oder im Kartellrecht. Nicht zuletzt gelten eigene, kooperative Journalismusplattformen, die von den Medienunternehmen selbst an den Markt gebracht werden, als eine aussichtsreiche Strategie, sich Prinzipien der Plattformökonomie zum Vorteil des Journalismus zunutze zu machen.
Das Geschäftsverhältnis zwischen Social-Media-Plattformen und etablierten Medienunternehmen wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft von Ambivalenzen geprägt sein. Selbst wenn eine allmähliche Distanzierung und Loslösung erkennbar ist, nehmen die digitalen Plattformen doch eine so starke Vormachtstellung in der Mediennutzung mehr und mehr plattformisierter Gesellschaften ein, dass es Medienunternehmen sehr schwer fällt, sich vollständig von diesen zurückzuziehen.