Obwohl viele Deutsche eine Organspende befürworten, sind die Spendezahlen seit Jahren konstant zu niedrig und die Wartelisten zu lang. Das zeigen Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Externer Link: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: 2016).
Anfang April 2019 haben Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Professor Karl Lauterbach (SPD), Dr. Georg Nüßlein (CSU) und Dr. Petra Sitte (LINKE) einen Gesetzesentwurf über eine doppelte Widerspruchslösung vorgelegt: Demnach wird jede/r Deutsche/r automatisch zum Spender bzw. zur Spenderin – es sei denn, er oder sie widerspricht dem zu Lebzeiten.
Dieser Vorschlag wurde unterschiedlich aufgenommen.
Gegen den Zwang
Die Parteivorsitzende der Grünen Annalena Baerbock und neun Abgeordnete sprachen sich für eine Alternative aus. Sie wollen, dass die Organspende eine freiwillige Entscheidung bleibt. Ihr Vorschlag: verbindliche und regelmäßige Befragungen etwa beim Ausweisabholen in Ämtern. "Ich habe große Befürchtungen, dass durch diesen Zwang, den der Staat hier ausübt, eine Abwehrhaltung bei der hohen Spendebereitschaft erfolgt", sagte sie dem ZDF-Externer Link: "heute journal".
"Unser Vorschlag ist deutlich grundgesetzschonender, weil die Widerspruchslösung ein tiefer Eingriff in die Grundrechte ist", sagte Baerbock.
Gegner/-innen der Widerspruchslösung sagen, der Ansatz schränke Persönlichkeitsrechte ein. In der Externer Link: Frankfurter Rundschau schreibt Chirurg und Publizist Bernd Hontschik, dass er die Widerspruchslösung "nicht nur für beunruhigend, sondern auch für wirkungslos" hält. Er sieht darin "einen massiven Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper".
Auch Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, glaubt nicht an die Wirkung der Widerspruchslösung. Im Interview mit Externer Link: Deutschlandfunk sagte er: "Ich finde sie unnötig, weil man im Grunde die Effizienz der Organgewinnung nahezu überhaupt nicht steigert. Sie ist schädlich, weil sie das Vertrauen in das System, das ja nun wirklich schon prekär ist, noch mal unterminiert […]."
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Externer Link: lehnt die Widerspruchslösung ab, befürwortet aber grundsätzlich Bestrebungen, die Organspendebereitschaft in der Bevölkerung als Akt der Nächstenliebe zu erhöhen. Der EKD zufolge geht mit der Widerspruchslösung auch der Charakter einer Spende verloren, weil diese stets eine aktive Zustimmung voraussetzt. Zudem würden die Belange trauender Angehöriger nicht ausreichend berücksichtigt.
Für eine Verpflichtung
Handelsblatt-Korrespondent Gregor Waschinski findet die doppelte Widerspruchslösung hingegen zumutbar. In seinem Externer Link: Artikel schreibt er: "Der Vorteil […] ist, dass der Anreiz für die Menschen viel größer ist, ihren Willen beim Thema Organspende wirklich zu bekunden."
Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, befürwortet den Entwurf. "Medizinisch und ethisch ist die Widerspruchslösung das einzig Richtige“, sagte er der Externer Link: Passauer Neuen Presse. Die Bedenken, Organe könnten bei dieser Variante zu früh entnommen werden, könne er nicht nachvollziehen: "Wir haben mit den Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes klare und gute Regeln, wie man damit umgeht."
CDU-Gesundheitspoltiker Georg Nüßlein bestätigte zwar, dass sich Spendezahlen nicht zwangsläufig durch die Widerspruchslösung steigern ließen, doch sei er ein Befürworter. Dem Externer Link: Deutschlandfunk sagte er, dass die Details der Umsetzung noch zu klären sind: "Es hängt von vielen organisatorischen Dingen ab, bis hin zur Honorierung dieser Krankenhäuser, die Organentnahmen machen."
Auch Gesundheitsminister Spahn verteidigte seinen Gesetzesentwurf in der Fernsehsendung Externer Link: "Hart aber fair“. Er sehe, dass es ein "Eingriff in die Freiheit" sei. Doch er betonte auch, dass auch nach der Widerspruchslösung keine Pflicht zur Spende bestehe, wohl aber "eine Verpflichtung, sich zu beschäftigen".