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Freiheit gegen Sicherheit? | Risikogesellschaft | bpb.de

Freiheit gegen Sicherheit?

Prof. em. Dr. Erhard Denninger

/ 3 Minuten zu lesen

Die Freiheit kann nicht ohne die Sicherheit. Aber braucht Sicherheit die Freiheit? Wie ist das Spannungsverhältnis zwischen den beiden im Grundgesetz festgelegt? Und wie definieren sie das Verhältnis zwischen Bürger und Staat? Wie weit kann sich das Verhältnis in eine der beiden Richtungen verschieben?

Lieber sicher statt frei?! (CC, Muslim Quarter Birdcage von Preston Rhea Shop ; Externer Link: Preston Rhea) Lizenz: cc by-sa/2.0/de

Das Grundgesetz kennt keine ausdrückliche Bestimmung über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit. Aus dem Satz "Die Würde des Menschen ist unantastbar" und aus den Garantien der Interner Link: Grundrechte kann man erkennen, dass unsere Verfassung von der Freiheit und dem "Eigenwert" der einzelnen Person ausgeht. Diese ist jedoch nicht "isoliert", sondern "gemeinschaftsbezogen und gemeinschaftsgebunden", wie das Bundesverfassungsgericht gesagt hat. Die im Menschenwürde-Satz ausgesprochene Verpflichtung "aller staatlichen Gewalt" (z. B. der Richter, Polizisten und Abgeordneten) die Menschenwürde zu "achten und zu schützen", bedeutet einerseits die Wahrung der individuellen Freiheit in allen ihren Formen, andererseits aber auch die Pflicht des Staates, Schutzmaßnahmen gegen Angriffe durch Dritte (Kriminelle, Terroristen) zugunsten aller Bürgerinnen und Bürger vorzukehren, kurz: für Sicherheit zu sorgen. Ein "Grundrecht auf Sicherheit" wie dies von Wissenschaftlern gefordert wurde, kennt das Grundgesetz aber nicht.

Freiheit kann als Abwesenheit von physischem und psychischem Zwang und Sicherheit als die Abwesenheit sowohl von Gefahr als auch von Risiko definiert werden. Schädigungen, Gefahren und Risiken können Einschränkungen der individuellen Freiheit bewirken, die als Zwang erlebt werden. Insofern wird man kaum auf Widerspruch stoßen, wenn man behauptet, die Gewährleistung von Sicherheit sei eine Voraussetzung der Freiheitsermöglichung. Die umgekehrte Behauptung, also Freiheitsverwirklichung als Voraussetzung der Sicherheitsgewährleistung, klingt weit weniger selbstverständlich.

Neue Balance

Seit dem 11. September 2001 und den nachfolgenden islamistischen Terroranschlägen (in Madrid, London, Paris, Istanbul, Nizza, Berlin und anderswo) ist überall vielerorts die Rede davon, das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit müsse neu ausbalanciert werden. Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt die Befugnis des Gesetzgebers an, die traditionellen rechtsstaatlichen Bindungen des Polizeirechts (z.B. klare Ermächtigungen durch Gesetz, richterliche Vorbehalte für Durchsuchungen) jeweils nach den Erkenntnissen neuartiger Gefährdungs- und Bedrohungssituationen fortzuentwickeln. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit darf vom Gesetzgeber "Externer Link: neu justiert, die Gewichte dürfen jedoch von ihm nicht grundlegend verschoben werden".

Aber wann liegt eine solche unzulässige grundlegende Gewichtsverschiebung vor? Streit hierüber ist vorprogrammiert. Einige Anhaltspunkte hat das Gericht immerhin vorgegeben: den Schutzanspruch für Leben und Menschenwürde, den "absolut" zu schützenden "Kernbereich privater Lebensgestaltung", die Garantie individuellen Rechtsschutzes, vor allem aber den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das sogenannte "Übermaßverbot" gibt vor möglichst schonend und nur in geeigneter und auch erforderlicher Form in Grundrechte einzugreifen. Doch gerade dieser Grundsatz stößt bei der Sicherheitsgewährleistung gegen Terrorismusgefahren an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Man kann es sich ja nicht so einfach machen wie seinerzeit die Verfassungsrichterin Haas, die einen "untrennbaren Sach- und Sinnzusammenhang" zwischen Freiheit und Sicherheit behauptet und daraus den Schluss gezogen hat, jeder Gewinn an Sicherheit sei zugleich ein "Externer Link: Freiheitszugewinn".

Kein fester Wechselkurs

Zu den Zielen der Europäischen Union gehört es, ihren Bürgerinnen und Bürgern "Externer Link: einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zu bieten. Doch hat dieser Raum keine feststehenden Wände, keine ausmessbaren Grenzen. Ähnlich wie ‚Freiheit’ oder ‚soziale Gerechtigkeit’ benennt ‚Sicherheit’ ein elementares Grundbedürfnis des Menschen, bildet aber keinen klar definierten oder definierenden Begriff. Eher mag man von einem nie ganz erfüllbaren Verfassungsideal sprechen, das allerdings zur Legitimation eines schrankenlosen, ungebremsten staatlichen Aktionismus ge- oder auch missbraucht werden kann. ‚Sicherheit’ ist in sich maß- und grenzenlos; sie bietet keinen Maßstab. Ein jüngstes Beispiel hierzu gibt der Präsident der Vereinigten Staaten, wenn er sich auf seine ganz eigene ‚Auslegung’ der ‚Nationalen Sicherheit’ beruft, um ein generelles, undifferenziertes Verbot der Einreise aus sieben muslimischen Staaten zu begründen. Genau so gut, oder vielmehr: schlecht, hätte er ein totales Einreiseverbot "begründen" können.

Zwischen Sicherheit und Freiheit existiert kein fester Wechselkurs, zu dem die eine in die andere zu tauschen wäre. Welchen Kurs die Freiheit behalten wird, die wir nicht aufgeben wollen, wird allerdings nicht zuletzt von den uns noch bevorstehenden Terror-Erfahrungen abhängen.

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Erhard Denningerist ein deutscher Staatsrechtslehrer und Publizist. Er war Rektor der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.