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Das Darknet als geschützter Raum gegen Überwachung und Selbstzensur | Ambivalente Technologien | bpb.de

Ambivalente Technologien Social Freezing

Das Darknet als geschützter Raum gegen Überwachung und Selbstzensur

Christian Mihr

/ 4 Minuten zu lesen

Der Amokläufer von München tötete neun Menschen mit einer Waffe, die er über das Darknet gekauft hatte. Es ist menschlich, aus der ersten Emotion heraus eine starke Regulierung dieses vermeintlich rechtsfreien Raumes zu fordern. Bei näherer Betrachtung sind Orte digitaler Anonymität, wie sie das Darknet bietet, allerdings essenziell für eine demokratische Gesellschaft: Für Journalisten und ihre Informanten sind sie mitunter die einzige Möglichkeit, gesellschaftliche Missstände aufzudecken.

Als Informant muss man so manche Strapazen auf sich nehmen. Über das Darknet können sich Dissidenten, Informanten oder auch Journalisten vernetzten - ohne dabei auf geheime (Ab-)Orte ausweichen zu müssen. Lizenz: cc by/2.0/de

Zugegeben, wer zum ersten Mal ins Darknet abtaucht, findet weder Schauplätze tiefgreifender Polit-Debatten noch Journalisten, die brisante Informationen über Diktatoren veröffentlichen. Der Einstieg in die dunkle Seite des Internets führt geradewegs zu Marktplätzen für Drogen, Waffen oder gestohlenen Daten. Danach geht es schnell weiter zu Portalen, in denen unverhohlen Videos von Vergewaltigungen oder Kinderpornografie angeboten werden. Einen Auftragskiller zu finden, ist schon deutlich komplizierter – aber machbar.

Dieser Einblick ins Darknet muss jeden verstören, der die grundlegenden Werte unserer Gesellschaft achtet. Es ist inakzeptabel, dass sich Menschen zum Beispiel eine Waffe zulegen wollen, um damit schwere Verbrechen zu begehen. In der öffentlichen Debatte wird zumeist "das Darknet" dafür verantwortlich gemacht, dass ein solcher Handel stattfindet. Richtig ist jedoch: Solchen Handel hat es immer gegeben und es würde ihn auch geben, würde man das Darknet "abschalten" – ein rein theoretischer Gedanke, denn technisch wäre das unmöglich. Nicht das Darknet an sich, sondern seine Nutzer sind verantwortlich für das, was dort passiert.

Die "Bösen" definieren das Profil

Zudem sind es längst nicht nur Kriminelle, die sich mit ihren illegalen Geschäften in dieser digitalen Unterwelt tummeln. Dass sie das Bild des Darknets dennoch dominieren, ist logisch: Ein Drogenhändler hat ein echtes Interesse daran, dass seine Angebote gefunden werden. Er will Kunden anlocken und Drogen verkaufen.

Journalisten dagegen haben kein Interesse, im Darknet sichtbar zu sein. Im Gegenteil: Sie sind ja gerade dort, um ihre Identität vollständig zu schützen und nichts über sich zu offenbaren. Sie finden im Darknet einen geschützten Raum, in dem sie untereinander oder mit Informanten kommunizieren können. Sie können dort recherchieren und Veröffentlichungen vorbereiten, die den gesellschaftlichen Diskurs ihres Landes beeinflussen – selbst wenn sie vom Staat überwacht werden.

Wichtig für den demokratischen Diskurs ist vor allem die Technologie, die hinter dem Darknet steckt. Der Tor-Browser zum Beispiel ermöglicht durch die Anonymisierung des Datenverkehrs, ins Darknet abzutauchen. Dies ist gewissermaßen die stärkste Form der Anonymität, weil hier praktisch alles anonym und stark verschlüsselt ist: wer Seiten aufruft, aber auch, wer diese Seiten betreibt. Der Tor-Browser ermöglicht es jedoch auch jedem Nutzer, anonym im Internet zu surfen und zum Beispiel Google zu nutzen, ohne dass die Suchmaschine die IP-Adresse des Nutzers – und damit mittelbar seine echte Identität – erfährt. So können auch Journalisten Informationen im "normalen" Web anonym veröffentlichen, die sie vorher im Verborgenen des Darknets erhalten haben.

Abstrakte Strukturen können konkret helfen

Reporter ohne Grenzen erlebt wöchentlich, wie wichtig digitale Sicherheit für die journalistische Arbeit ist. Immer wieder erreichen uns Fälle von Kolleginnen und Kollegen, die bei ihrer Arbeit überwacht worden sind und auf diese Weise darin gehindert werden, ihre Recherchen zu veröffentlichen. Das Gefühl permanenter Überwachung kann in diesem Fall zu vorauseilendem Gehorsam und Selbstzensur führen. Nicht zuletzt verliert eine Gesellschaft so das Vertrauen in Medien und hält schließlich Informationen zurück, die im Interesse aller eigentlich veröffentlicht werden sollten.

Ein prominentes Beispiel für die Bedeutung von Anonymität und Verschlüsselung für journalistische Arbeit ist die Gruppe Raqqa Is Being Slaughtered Silently ("Raqqa wird schweigend abgeschlachtet", RBSS). Sie ist ein Zusammenschluss von Bürgerjournalisten und Aktivisten, die über verschlüsselte und versteckte Kommunikationswerkzeuge Videos, Fotos und Informationen aus der syrischen Stadt Rakka heraussenden. RBSS dokumentiert damit die schweren Menschenrechtsverletzungen der Dschihadistengruppe "Islamischer Staat" (IS) in deren selbsternannter Hauptstadt.

Zu Beginn ihrer Arbeit war die Gruppe unvorsichtig und nutzte offene Kommunikationswege wie Facebook, die allerdings vom IS überwacht wurden. Schnell wurden einzelne Journalisten identifiziert und ermordet. Ein Teil der RBSS-Aktivisten floh daraufhin mit Unterstützung von Reporter ohne Grenzen nach Deutschland. Außerdem schulte die Organisation sie in Datensicherheit. Dank verschlüsselter und anonymer Kommunikationswege zu ihren Mitstreitern in Rakka fühlen sich die RBSS-Aktivisten nach eigenen Angaben mittlerweile wieder sicher – und konnten bis heute vom IS nicht an ihren regelmäßigen Veröffentlichungen gehindert werden.

Journalisten brauchen Sicherheit

Wenn nun deutsche Politiker eine stärkere Regulierung des Darknets fordern, ist dies unweigerlich auch ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Indem künftig mit der geplanten "Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich" eine deutsche Behörde zum Beispiel systematisch Verschlüsselung aufbrechen soll, um Einblick in anonyme Kommunikationsströme zu erhalten, wird Journalisten eine weitere Möglichkeit genommen, vertrauensvoll mit Informanten zu kommunizieren. Auch das sollten deutsche Politiker der Vollständigkeit halber sagen. Niemand würde auf die Idee kommen, systematisch Briefe zu öffnen, weil sie ohne Absender und in Geheimschrift verfasst worden sind.

Der langfristige Schaden wäre immens und beträfe alle, denen eine freie Presse wichtig ist. Der Staat würde sich de facto die Möglichkeit einräumen, journalistische Arbeit live zu verfolgen, um im Zweifel kritische Berichterstattung im Keim zu ersticken. Wollen wir das wirklich?

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Christian Mihr ist Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Twitter: @cmihr