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"Die Menschen vor Ort wollen diese Abhängigkeit nicht. Wir wollen sie."

Netzdebatte Redaktion

/ 7 Minuten zu lesen

Der Filmemacher Valentin Thurn beschäftigt sich in seinen Dokumentationen mit den Problemen der Welternährung. Wir haben mit ihm über seine Eindrücke gesprochen und über die Frage was sich ändern muss, damit in Zukunft mehr Menschen auf der Erde genug zu Essen haben.

Kommt unser Essen in Zukunft aus dem Labor? Filmemacher Valentin Thurn beschäftigt sich in seinen Dokumentationen mit der Zukunft der Welternährung. (CC, 1604_9 von Neil Palmer Shop ; Externer Link: Neil Palmer) Lizenz: cc by-sa/2.0/de

Redaktion: Herr Thrun, woher rührt Ihr besonderes Interesse für die Zukunft der Welternährung?

Thurn: Als mir während meiner Arbeit klar wurde, dass ein Drittel der Welternte irgendwie entlang der Produktionskette vernichtet wird, wurde mir klar, dass das ein Umstand ist, über den man sich ernsthaft Gedanken machen muss. Während dem Dreh für meinen Film "Taste the Waste", in dem es um Lebensmittelverschwendung geht, wurde mir dann bewusst, dass es eine sehr reale Verknüpfung zwischen unserer Verschwendung und dem Hunger in anderen Ländern gibt, die über die rein moralische Verknüpfung hinausgeht: Die Börsenpreise. Je mehr wir konsumieren, bzw. verschwenden, desto mehr steigen die Börsenpreise für Grundnahrungsmittel in anderen Ländern und Regionen. Mit den damit verbundenen Problemen müssen wir uns in Zukunft noch viel intensiver auseinandersetzen.

Um die Weltbevölkerung 2050 zu ernähren muss die Nahrungsmittelproduktion verdoppelt werden - sagen die einen. Andere sagen es würde bereits heute mehr als genug produziert. Stimmt das? Warum kommt das Essen nicht bei den Menschen an?

Ich bezweifle tatsächlich, dass man die Produktion verdoppeln müsste. Das was letztlich beim Verbraucher ankommt, das müsste verdoppelt werden. Aber das kann man auch erreichen in dem man die Lebensmittelverschwendung verringert, zumindest teilweise. Eine andere Reserve ist der Fleischkonsum. Der sollte auf keinen Fall wachsen, sonst haben wir ein Problem. Denn diese prognostizierte Verdopplung der Bedürfnisse kommt auch daher, weil man damit rechnet, dass der Fleischkonsum ähnlich stark wächst wie bisher, also proportional zur Bevölkerung.

Die Frage ob wir die knapp zehn Milliarden Menschen, die vermutlich Mitte des Jahrhunderts auf der Erde leben werden, ernähren können, hat nicht in erster Linie mit der Frage zu tun, ob wir die Menschen ernähren können, sondern wie sie sich ernähren.

Damit spielen Sie auf die Frage des nachhaltigen Konsums an. Bisher ist das vor allem auch eine sozialpolitische Frage: Eine relativ wohlhabende, gebildete Minderheit kann sich den bewussten Konsum leisten. Die Mehrheit nicht. Was müsste geschehen, damit diese Schere nicht noch weiter auseinandergeht?

Die Schere tut sich natürlich heute schon auf, wobei diese Minderheit recht groß ist: Die Gesellschaft für Konsumforschung sagt 25 Prozent der Menschen interessieren sich dafür wo ihr Essen herkommt. Natürlich essen auch die nicht immer 100 Prozent perfekt regional und biologisch. Aber mit dieser Minderheit kann man arbeiten.

Andersherum kaufen 75 Prozent natürlich nach wie vor nach dem Preis. Ich glaube wir müssen in eine Richtung gehen, nicht nur aus sozialpolitischen Gesichtspunkten, bei der gutes Essen auch für Bevölkerungsschichten verfügbar ist, die finanziell nicht so gut gestellt sind. Dass das nicht einfach ist, ist klar: Einerseits wollen wir den Bauern faire Preise zahlen, andererseits wollen wir die Lebensmittel bezahlbar machen. Das zu schaffen wird die Kür der kommenden Jahre.

Ein Beispiel dafür, wie das funktionieren könnte ist die Solidarische Landwirtschaft: Konsumenten schließen sich zusammen und finanzieren gemeinsam die Arbeit eines Landwirtes. Dabei sind sie nicht nur solidarisch gegenüber dem Landwirt, sondern auch untereinander. Die Geringverdiener zahlen weniger, die Besserverdiener zahlen mehr. Da ist die "soziale Schere" schon mitgedacht worden.

Bei uns gibt es das Modell erst seit drei bis vier Jahren und bisher gibt es nur einige hundert Projekte. Dass das Modell aber auch auf einer größeren Skala funktionieren kann, zeigt das Beispiel Südkorea, wo es solche Modelle schon seit Jahrzehnten gibt. Das größte Projekt hat dort 1,2 Mio. Mitglieder, das Gemüse ist günstiger als im Supermarkt. Bio ist ja schließlich auch deshalb so teuer, weil die Mengen so gering sind und nicht nur, weil der Bauer viel zu tun hat.

Laut Ihnen werden vor allem die Kleinbauern künftig eine tragende Rolle in der Ernährung der Menschen spielen. Wie können die Kleinbauern geschützt werden?

Was die Kleinbauern betrifft gibt es vor allem zwei Probleme, von denen eines hausgemacht ist: Gerade in den Entwicklungsländern hat man sich zu wenig auf die Entwicklung der Landwirtschaft konzentriert. Stattdessen hat man sich auf die Städte gestürzt. Das hat sich zum Glück bei einigen Ländern gebessert. Was sich allerdings überhaupt nicht gebessert hat ist der Freihandel, der aktuell betrieben wird. Wir reden viel über das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP; genau das Gleiche, aber völlig geräuschlos passierte vor einigen Jahren zwischen Europa und einzelnen afrikanischen Ländern. Da wurden Freihandelsabkommen regelrecht erpresst. Da hat man von Europa aus gesagt: "Ihr wollt Kaffee und Bananen exportieren? Das dürft ihr gerne, aber dafür öffnet ihr im Gegenzug eure Märkte für unsere Produkte." Das sorgt dafür, dass dortige Kleinbauern nicht bestehen können. Das liegt teils daran, dass europäische Produkte subventioniert werden und dadurch einen Marktvorteil haben. Teils liegt es aber auch daran, dass es für gewisse Produkte bei uns keinen Markt gibt, die in anderen Ländern aber gut funktionieren. Hühnchen zum Beispiel: Während bei uns vor allem Schenkel und die Brust in den Supermarkt kommen, gehen alle andere Teile Richtung Afrika. In Ghana sind so 90 Prozent aller Geflügelbauern vom Markt verdrängt worden. Dabei gehen nicht nur Arbeit und Wohlstand, sondern oft auch jahrhundertealte Praktiken und Wissen der lokalen Landwirtschaft verloren. Dabei ist das für uns nicht mal ein relevanter Markt. Unsere Freihandelspolitik macht mehr kaputt, als die Entwicklungshilfe jemals wieder aufbauen kann.

Aber ist es denn realistisch, die Bauern vom Markt zu nehmen?

Ein Beispiel: Die Weizenpreise haben sich an den Börsen in den letzten Jahren zweimal verdreifacht - 2008 und 2011. Das hat hierzulande keiner als Welternährungskrise im Gedächtnis. Denn: Unsere Brötchenpreise setzen sich vor allem aus den Faktoren Energie und Arbeitslohn zusammen. Der Rohstoff Weizenmehl spielt dabei fast keine Rolle. Die Brötchenpreise sind damals bei uns vielleicht ein bis zwei Cent gestiegen. In den Entwicklungsländern ist das anders: Da besteht der Brotpreis hauptsächlich aus dem Preis für Weizenmehl, weil die Arbeitskraft im Vergleich so günstig ist. Das heißt, wenn sich der Preis an den Börsen verdreifacht, dann hat er sich in Kamerun, oder anderen Ländern mit Sicherheit verdoppelt. Deshalb ist es für jeden einzelnen dort evident, dass die Abhängigkeit vom Weltmarkt desaströs ist. Ich bin sicher, dass das politisch nicht schwierig durchzusetzen wäre, denn die Menschen vor Ort wollen diese Abhängigkeit nicht. Wir wollen sie.

Bei uns rüsten die Landwirte mit allerhand technischer Innovationen auf. Können die Kleinbauern in Entwicklungsländern da in Zukunft überhaupt noch mithalten? Müssen sie ihre Produktion effizienter gestalten?

Ich glaube das ist ein grundsätzlicher Denkfehler. In einer wirtschaftlichen Situation wie bei uns, wo die Arbeitslöhne relevant sind, ist das "Smart Farming" natürlich sehr wettbewerbsfähig. In den Entwicklungsländern ist das aber katastrophal, weil es nicht nur Arbeitsplätze freisetzt, sondern weil auch unterm Strich weniger produziert wird pro Hektar Land. Die Kleinbauern in den Entwicklungsländern sind ja nach wie vor gerade deshalb wettbewerbsfähig, weil die Löhne so niedrig sind. Und während man bei uns sagt: "Wir brauchen mehr große, moderne, effektive Farmen", ist dort das Gegenteil der Fall. Tatsächlich erzielen unsere Großbetriebe pro Hektar Land geringere Erträge als die Kleinbauern, das belegen zahlreiche Studien. Und das liegt nicht daran, dass die Kleinbauern besonders modern arbeiten, sondern weil sie es verstehen auf wenig Platz viel anzubauen, z. B. in Etagen: Unten die Süßkartoffeln, auf halber Höhe die Hirse und dann mannshoch die Straucherbse. Das kann man aber nur manuell und nicht mit Maschinen machen. Diese Effizienz wird in Zukunft von noch größerer Bedeutung sein, weil wir es weltweit mit schrumpfenden Agrarflächen zu tun haben. Durch die Ausdehnung der Städte schwinden die Flächen auf denen Nahrungsmittel angebaut werden können. Entsprechend wichtig wird es sein auf geringer Fläche einen hohen Ertrag zu erzielen.

Nahrungsmittelkrisen treffen in der Regel ärmere Regionen zuerst und am heftigsten. Ab wann würden wir in Europa denn ernsthaft etwas von so einer künftigen, weltweiten Krise zu spüren bekommen?

Tatsächlich spüren wir die Auswirkungen indirekt schon heute - und zwar in Form der Flüchtlingsströme. Natürlich spielen da auch Konflikte und Bürgerkriege eine Rolle, aber wie begann denn die arabische Rebellion? Die begann 2008 mit der Externer Link: Brotpreisrevolte in Ägypten. Die steigenden Nahrungsmittelpreise, ausgelöst durch den Börsenboom der Weizenpreise, haben soziale Proteste ausgelöst. Natürlich haben auch politische Gründe eine Rolle gespielt - der zündende Funke aber waren die Nahrungsmittelpreise.

Zwar haben wir jetzt noch keine Situation in der wir eine Nahrungsmittelknappheit erleben, aber im Jahr 2008 ist etwas passiert, was vor allem auch Länder die so stark vom Import abhängig sind wie Deutschland, künftig treffen könnte. So hat damals einer der größten Reisexporteure der Welt, Vietnam, als Reaktion auf die steigenden Weizenmehlpreise seine Reisexporte gestoppt, um die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen. Länder wie Japan und Südkorea, die vom Reisimport abhängig sind, haben da gewaltige Angst bekommen. Die Situation hat sich dann dank fallender Börsenpreise wieder entschärft, aber sie zeigt, welche Mechanismen sich künftig in Gang setzen könnten.

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